Bildung in Baden-Württemberg:Desaströse Ergebnisse im Mathetest beunruhigen Eltern

Lesezeit: 3 Min.

Grundschulunterricht in Baden-Württemberg. Um den Test Kompass 4 in der vierten Klasse entzünden sich nun Debatten. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Eine neue Prüfung in Mathematik für Viertklässler soll in Baden-Württemberg mitentscheiden über den weiteren Bildungsweg. Nach ersten Ergebnissen erreichten nur sechs Prozent das Gymnasialniveau. Was ist schiefgelaufen?

Von Roland Muschel, Stuttgart

Die Macher des neuen Mathematik-Tests für Baden-Württembergs Viertklässler hatten offenbar damit gerechnet, dass viele Schülerinnen und Schüler vor Ende der Prüfungszeit alle Aufgaben lösen würden. Denn neben den Testfragen erhielten die Schüler ein Zusatzblatt mit einem Sudoku-Rätsel. Damit sollten sie sich die Zeit bis zum regulären Ende des 45-minütigen Tests vertreiben können.

Doch zum Sudoku kamen die wenigsten, als Ende November 2024 landesweit knapp 100 000 Viertklässler den Test Kompass 4 schrieben. Überraschend viele scheiterten an den Aufgaben oder den Zeitvorgaben. Laut ersten Ergebnissen erreichten im Fach Mathematik nur sechs Prozent der Viertklässler das gymnasiale Leistungsniveau. Dabei lag die Übergangsquote aufs Gymnasium zuletzt bei etwa 44 Prozent. Und nun sagen die Stichproben, dass 86 Prozent lediglich auf Hauptschulniveau rechnen können und acht Prozent auf Realschullevel.

Die Ergebnisse in Deutsch fielen nicht ganz so verheerend aus

Angesichts der Diskrepanz bedarf es keiner großartigen mathematischen Fähigkeiten, um zu erahnen:  Da ist etwas gewaltig schiefgelaufen. Die Frage ist nun: Was? Und Eltern und Schüler wollen wissen: Was folgt daraus?

Dass die Ergebnisse im ebenfalls getesteten Fach Deutsch nicht ganz so verheerend ausfielen, ist für viele Eltern kein Trost. Denn Kompass 4 ist Teil der neuen, verbindlichen Grundschulempfehlung, die näher rückt. Und damit relevant für die Schulkarriere eines ganzen Jahrgangs.

Die neu konzipierte Empfehlung hat drei Komponenten: die Einschätzung der Lehrkräfte, den Elternwillen und Kompass 4. Dabei reicht es, wenn zwei Komponenten übereinstimmen. Wenn die Klassenkonferenz also das Gymnasium empfiehlt und die Eltern es ebenfalls als passende Schulart sehen, steht die Gymnasialempfehlung, unabhängig vom Testergebnis.

Kinder, die aufs Gymnasium wollen, aber weder eine Empfehlung der Klassenkonferenz erhalten noch den Test auf Gymnasialniveau bestehen, haben trotzdem noch eine Chance: Sie können den Potenzialtest machen, eine Aufnahmeprüfung für ihre Wunschschulart. Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) versucht daher, die Eltern mit dem Argument zu beruhigen, dass es gar keine Nachteile für die Viertklässler gebe, die bei der Kompass-4-Premiere verzweifelten.

Es gibt offenbar ein generelles Problem mit Mathe

Am Instrument selbst wollen Schopper wie auch der Koalitionspartner CDU festhalten. „Wir stellen Kompass 4 nicht infrage, wir sehen aber erheblichen Verbesserungsbedarf“, sagt der CDU-Bildungsexperte Andreas Sturm. Die Ministerin hat versprochen, den Test weiterzuentwickeln. Die Rückmeldungen der Lehrkräfte ließen darauf schließen, dass die Aufgaben teils zu anspruchsvoll und die Bearbeitungszeit zu knapp bemessen gewesen seien. Gleichzeitig zeigten fast alle Bildungsstudien, dass es ein generelles Problem mit Mathematik gebe, sagt Schopper.

Nicht nur die Testaufgaben, so darf man die Ministerin wohl interpretieren, sollen besser werden. Sondern auch die Mathematik-Leistungen der Schüler.

Die Beschwichtigungsversuche der Regierung haben indes nur bedingt zur Beruhigung der Lage beigetragen. Die Unruhe sei groß, berichtet etwa die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Uns erreichen Anfragen von Eltern, die sich nach Empfehlungen für auf Schulrecht spezialisierte Anwälte erkundigen“, sagt der Vorsitzende des Landeselternbeirats, Sebastian Kölsch. Es gebe bereits Nachhilfe-Anbieter, die spezielle Programme für die Potenzialtests bewerben, das könne es nicht sein. Er habe zudem die Sorge, „dass der Potenzialtest genauso schiefläuft wie Kompass 4“.

Kölsch rät der Landesregierung, in diesem „Übergangsjahr“ noch das bisherige Verfahren der Grundschulempfehlung anzuwenden. „Andernfalls wäre das neue Verfahren komplett diskreditiert.“ Bislang hatten die Eltern bei der Wahl der weiterführenden Schule das letzte Wort.

Dass sich daran etwas ändert, war bei Abschluss des Koalitionsvertrags 2021 nicht vorgesehen. Vielmehr hatten sich Grüne und CDU angesichts grundverschiedener Vorstellungen da noch gegenseitig versichert, „dass keine grundlegenden Strukturdebatten geführt werden“. Doch eine Elterninitiative sammelte mehr als 100 000 Unterschriften gegen das achtjährige Gymnasium (G8) als Regelform und zwang Grün-Schwarz so zur Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium.

Zum Schuljahr 2025/26 kommt nun G9 als Regelform zurück, beginnend ab Klasse 5. Doch weil innerhalb der Regierung die Sorge groß war, dass damit der Zulauf auf die Gymnasien zulasten der anderen Schularten überhandnehmen könnte, verabschiedete sich die Koalition bei der Grundschulempfehlung von der Prämisse des Elternwillens.

Kompass 4 soll also durchaus eine gewisse Steuerungsfunktion haben. Dass die Ergebnisse nun eher wie ein Stoppschild wirken, war dagegen nie der Plan.

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