Süddeutsche Zeitung

Kommunen - Spar oder stirb (4): Oberhausen:Saftige Sex-Steuer

Geld hat Oberhausen schon seit 17 Jahren nicht mehr. Dafür aber mehr als 300 Sparideen und eine ganz besondere Steuer für ein ganz besonderes Vergnügen.

Susanne Klaiber

Sechs Euro für Sex. Seit einem Jahr muss jede Prostituierte in der Stadt im Ruhrgebiet diesen Betrag pro Arbeitstag abdrücken. Die Stadt formuliert das natürlich vornehmer: Offiziell firmiert die Sonderabgabe unter der Rubrik "Vergnügungssteuer", schließlich gilt sie auch für Tanzveranstaltungen und Glücksspiele. Und ein Tag, an dem eine Frau oder ein Mann anschaffen geht, nennt sich "Veranstaltungstag".

Mit dieser Idee hat Oberhausen im vergangenen Jahr seine Kasse schätzungsweise um 200.000 Euro aufgebessert. "Abzocke, ein widerlicher Zustand, unverschämt", schimpft Bordellchefin Nina Welkowa-Haas über Stadt und Finanzbehörden. Zumal man die Steuer nicht per Preiserhöhung an die Kunden weitergeben könne - "wegen der Krise".

Die Steuer-Idee hat sich Oberhausen von Köln abgeguckt, wie Ralf Katernberg erzählt, Leiter des Bereichs Finanzen. "Die Bezirksregierung sagt, die Stadt muss alle Finanzquellen ausschöpfen." Noch ist die Steuer allerdings rechtlich nicht wasserdicht. Die endgültige Genehmigung von den zuständigen Ministerien stehe noch aus, sagt Katernberg. Es könnte also sein, dass die Stadt das Geld wieder zurückzahlen muss. Doch bis dahin kassiert sie.

Oberhausen ist klamm. Chronisch klamm. Seit 1993 hat die Stadt nur rote Zahlen geschrieben, wie Kämmerer Bernhard Elsemann sagt. Damals hätten die Zechen dichtgemacht, mit einem Schlag fehlten in der Kohle- und Stahlindustrie die Hälfte von 100.000 Arbeitsplätzen. Die Stadt musste viele Kredite aufnehmen, hat also auch mehr Zinsen zu bezahlen als viele andere.

Größte Krise seit 80 Jahren

Geldnot ist also nichts Neues für die Stadt. Doch jetzt sieht es noch schlimmer aus: "Wir stehen in der tiefsten Krise der kommunalen Finanzen seit 80 Jahren", sagte Oberbürgermeister Klaus Wehling im November - und das, obwohl sich die Gewerbesteuer in den vergangenen Jahren "über dem Durchschnitt" entwickelt habe. Einer der Gründe für die leeren Kassen: Bund und Länder schieben laut Wehling den Städten mehr und mehr Aufgaben zu, aber kein Geld dafür. Im Grundgesetz stehe aber sinngemäß: "Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch."

Und da ist noch eine paradox anmutende Sache, die weder dem Bürgermeister noch dem Kämmerer in den Kopf will: Oberhausen muss trotz seiner desolaten Situation Solidarzuschläge für den Osten zahlen. Elsemann meint dazu: "Das ist, als würde man einen Sozialhilfeempfänger zu Steuern verdonnern, die er nur zahlen kann, wenn er einen Kredit aufnimmt."

Elsemann ist seit zwölf Jahren Kämmerer in Oberhausen und meint, dass in der Vergangenheit so manche falsche Entscheidung getroffen worden sei. Zum Beispiel habe die Stadt sieben Bäder gebaut, weil man davon ausging, die Bevölkerung würde wachsen. Stattdessen ist sie geschrumpft, vier Bäder mussten dichtmachen. Die Stadt hat ein Musical-Haus gebaut, weil das neue Stadtzentrum auch ein bisschen Kultur statt nur Kommerz bieten sollte. Dann geriet die Musical-Branche in die Krise, das Haus wurde mit Verlust verkauft. Aber: "Wer ist schon Hellseher", sagt Elsemann.

300 Sparideen

Auch an seinem Theater spart Oberhausen. Musikaufführungen gibt es dort schon lange nicht mehr. Und nun hat der auch für Oberhausen zuständige Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow in einem Interview mit der WAZ bemerkt, dass nicht jede Stadt ein eigenes Theater brauche. In Oberhausen zum Beispiel sei jede Karte im Jahr 2007 mit 146 Euro bezuschusst worden. Intendant Peter Carp hält, wie zu erwarten, von einer Schließung gar nichts. Seine Argumentation: Da der Kulturetat nur zwei Prozent des Haushalts betrage, könne man den Haushalt mit seinen 1,8 Milliarden Euro Schulden damit auch nicht sanieren. Außerdem sei Kultur "wahnsinnig wichtig". Sonst gebe es in Oberhausen nur noch Autobahnauffahrten, eine halbleere Fußgängerzone und eine Bevölkerung, die sich als Verlierer fühle.

Die Situation in Oberhausen ist allerdings so angespannt, dass unter den 300 Sparmaßnahmen auch Ideen zu finden sind, die ungewöhnlich sein mögen, aber noch weit weniger ins Gewicht fallen als das Theater mit seinen Zuschüssen von 7,25 Millionen Euro pro Spielzeit. Künftig will sich Oberhausen zum Beispiel keine ganze Seite mehr im Telefonbuch leisten, auf der alle Abteilungen der Verwaltung aufgeführt sind, sondern nur noch die Nummer der Zentrale abdrucken lassen. Außerdem sollen die Grünflächen seltener gemäht werden und die Stadtplaner werden sich keine Modelle zur Veranschaulichung mehr anfertigen lassen.

Weniger originell aber einträglicher: Oberhausen hat die Grundsteuer erhöht, ebenso die Gewerbesteuer, die nun dem Kämmerer zufolge eine der höchsten in Deutschland ist.

Beförderung verboten

Auch am Personal knausert die Stadt. Von den einst 4100 Mitarbeitern sind noch etwa 3100 im Dienst - und in diesem Jahr darf kein Einziger von ihnen befördert werden. Die Motivation fördert das nun wirklicht nicht, wie Elsemann zugibt: "Sie tendiert gegen null."

Selbst wenn die Mitarbeiter im Rathaus das die Bürger nicht spüren lassen, müssen diese sich inzwischen doch mit kürzeren Öffnungs- und längeren Wartezeiten herumschlagen.

Sicherlich kein Vergnügen. Aber vielleicht ist das gut so. Sonst würde das möglicherweise auch noch besteuert.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.71094
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/plin
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.