Süddeutsche Zeitung

Kommunen:In der Vergeblichkeitsfalle

Die Corona-Krise zeigt, wie verletzlich Deutschlands Kommunen sind. Doch sie trifft arme Städte anders als reiche - zum Beispiel Gera und Coburg.

Von Thomas Balbierer, München

Am Ende des Interviews will Julian Vonarb noch einen Wunsch loswerden: "Es wäre schön, wenn Gera nicht nur als die gepeinigte Stadt rüberkommt, die sie mal war, sondern auch ein wenig von dem Esprit der letzten Jahre zu spüren wäre." Es ist die Woche vor Weihnachten, und Vonarb, Oberbürgermeister von Gera, hat gerade eineinhalb Stunden über den Zustand seiner Stadt gesprochen. Über die hohe Arbeitslosigkeit, den großen Leerstand, das hohe Durchschnittsalter, die schrumpfende Einwohnerzahl, die geringe Wirtschaftskraft. Öffentliche Gebäude werden noch zum Teil mit Heizungen aus der DDR-Zeit gewärmt. Probleme, an denen ein Rathauschef schon in normalen Zeiten verzweifeln könnte.

In diesem Jahr kam auch noch die Corona-Pandemie hinzu. Sie trifft schon weniger arme Kommunen finanziell hart: Bauprojekte werden verschoben, Zuschüsse gekürzt, Kitagebühren erhöht. Und in Thüringens drittgrößter Stadt? "Bei uns ist kein einziges Projekt von der Corona-Krise betroffen", sagt Julian Vonarb. "Wir können alle geplanten Maßnahmen umsetzen und müssen pandemiebedingt nicht sparen."

In Gera kann die Pandemie nicht zerstören, was es gar nicht gibt

Es schwingt ein wenig Stolz mit in den Worten des parteilosen Oberbürgermeisters, und es wäre ja auch eine gute Erzählung: Gera, die Stadt, die der Zerstörungswut des Virus widersteht. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Pandemie kann nicht zerstören, was es gar nicht gibt. Geras knapp 300-Millionen-Euro-Budget bedient gerade mal die grundlegendsten Bedürfnisse: Schulsanierungen, Straßenbau, Theater. "Enger als wir kann man den Gürtel nicht mehr schnallen", sagt Vonarb.

Die Corona-Krise hat verdeutlicht, wie verletzlich Deutschlands Städte und Gemeinden sind. Weil schwächelnde Unternehmen weniger Gewerbesteuer abwerfen und Mitarbeiter in Kurzarbeit geringere Lohnabgaben zahlen, verlieren Kommunen laut Steuerschätzung im Vergleich zum Vorjahr Einnahmen von zehn Milliarden Euro, auch im kommenden Jahr drohen hohe Ausfälle. Bund und Länder springen zwar in die Bresche, indem sie die diesjährigen Ausfälle der Gewerbesteuer ersetzen.

"Aber", sagt Carsten Kühl, "den Kommunen mit niedriger Steuerkraft, denen es schon vorher schlecht ging, ist relativ wenig geholfen." Kühl war zwischen 2009 und 2014 SPD-Finanzminister in Rheinland-Pfalz, seit 2018 ist er Chef des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) in Berlin, das das Handeln von Kommunen wissenschaftlich untersucht. Seine Prognose: "Die Schere zwischen armen und reichen Städten wird sich weiter öffnen."

Schneller, höher, teurer - das geht erst einmal nicht mehr

Wenn Gera der Ruf einer finanziell gepeinigten Stadt anhängt, darf man Coburg wohl als Goldkind der Republik bezeichnen: sprudelnde Gewerbesteuern, hohes Vermögen, lebendige Innenstadt (wenn nicht gerade Lockdown ist). Hinter der Stadt liegen Rekordjahre, dank großer Unternehmen wie der Versicherung HUK und dem Autozulieferer Brose. Die 41 000-Einwohner-Stadt in Oberfranken kann Mega-Investitionen jonglieren: Das Landestheater soll generalsaniert, für die Zwischenzeit ein hübsches Ausweichquartier gebaut werden. Außerdem steht der Bau eines neuen Krankenhauses an. Schätzungen zufolge könnten die Projekte Coburg zusammen etwa 130 Millionen Euro kosten.

Spricht man mit Coburgs Oberbürgermeister Dominik Sauerteig (SPD) über die kommenden Jahre, legt sich seine Stirn in Falten. "Das Motto schneller, höher, teurer werden wir in den kommenden Jahren hinterfragen müssen." Laut Prognosen gehen die Einnahmen bei der Gewerbesteuer von 100 Millionen im vergangenen Jahr auf 66 Millionen in 2021 zurück. Zum Vergleich: Gera nimmt nicht einmal 30 Millionen Euro an Gewerbesteuer ein.

Der Oberbürgermeister verordnet eine "neue Coburger Bescheidenheit"

Bei den ersten Projekten müsse man schon "abspecken", sagt Sauerteig. Zum Beispiel beim Umbau eines Veranstaltungszentrums: Um Kosten zu reduzieren, strich der Stadtrat bei der Sanierung einer alten Pakethalle einen Aufzug und eine moderne Belüftungsanlage. Für Sauerteig ein Signal dafür, dass es künftig "nicht mehr auch noch Schokostreusel auf dem Cappuccino geben wird". Der Stadt hat er eine "neue Coburger Bescheidenheit" verordnet.

Eine Bescheidenheit, von der man in Gera nur träumen kann. Die Stadt im Osten Thüringens zählte dank ihrer Textilindustrie zu den reichsten deutschen Städten des 19. Jahrhunderts. In der DDR war sie mit Bergbau, Werkzeug- und Maschinenherstellern ein industrielles Zentrum. Mit dem Zusammenbruch der DDR zerbröselte aber auch die Wirtschaftskraft Geras. Die Hoffnung verließ die Stadt. Von den 135 000 Einwohnern, die zu Hochzeiten im Ort lebten, sind weniger als 95 000 geblieben. Vor einigen Jahren gingen sogar die Stadtwerke pleite - einmalig in Deutschland. Die Verzweiflung machte die AfD zur stärksten Kraft im Stadtrat. "Der Niedergang einer deutschen Stadt", überschrieb der Spiegel mal ein Porträt des Ortes.

Es ist eine Erzählung, von der sich Oberbürgermeister Vonarb wünscht, sie möge um ein positives Kapitel weitergeschrieben werden. Schließlich habe er die Kommune seit seinem Amtsantritt doch konsolidiert. 2018 setzte sich der aus Freiburg stammende Banker und Unternehmensberater in einer Stichwahl gegen den AfD-Kandidaten durch. Seitdem sei viel passiert, sagt er: Drei schuldenfreie Haushalte in Folge, der Online-Riese Amazon baue ein Logistikzentrum, im nächsten Jahr siedle sich ein großes Möbelhaus an. Die Lebensqualität sei mit Theater, Schwimmbad, Tierpark, Museen und niedrigen Mieten besser als man denke.

Die Krisenstadt will aufsteigen - aber geht das im Weltkrisenjahr?

Man kann Vonarb schon abnehmen, dass er die Hoffnung auf eine bessere Zukunft wirklich hat. Aber ein Aufstieg der Krisenstadt Gera ausgerechnet im Weltkrisenjahr? "Zu sagen, wir kommen gut durch die Krise - so vermessen bin ich nicht", bremst Vonarb dann doch. "Schließlich können wir die Langzeitfolgen noch gar nicht abschätzen."

Difu-Chef Carsten Kühl sieht für ärmere Kommunen wenig Anlass für Optimismus. Zwar begrüßt er, dass Gewerbesteuerausfälle kompensiert werden und der Bund seinen Beitrag an der Bezahlung von Unterkunftskosten für Arbeitslose erhöht hat. Das löse jedoch nicht das Problem jener Kommunen, "die in der Vergeblichkeitsfalle sitzen", sagt Kühl: Städte mit hohen Altschulden, die keinerlei Kredite mehr bekämen. "Die können gar nicht investieren und bleiben weit zurück." Der Investitionsstau in den Kommunen wuchs in diesem Jahr auf 147 Milliarden Euro.

Weil eine Altschuldentilgung, wie sie SPD-Bundesfinanzminister Olaf Scholz im Frühjahr ins Spiel brachte, zum Beispiel am Widerstand aus Bayern scheiterte, müsse man andere Wege finden, die strukturelle Unterfinanzierung zu korrigieren, sagt Kühl. Er hält etwa eine Anhebung des kommunalen Anteils an der Umsatzsteuer für sinnvoll. Die verbleibende Ungleichheit zwischen den Städten müsste weiterhin über den kommunalen Finanzausgleich kompensiert werden - ein Mechanismus, mit dem die Länder Geld an ärmere Kommunen umverteilen. In Thüringen ist Gera mit Zuweisungen von 38 Millionen Euro zweitgrößter Empfänger.

Auf den Finanzausgleich schielt nun auch das reiche Coburg. "Wir sind eine von drei kreisfreien Städten in Bayern, die keine Schlüsselzuweisungen bekommen", sagt Oberbürgermeister Sauerteig. Doch wenn man die teuren Investitionen der kommenden Jahre verwirkliche, werde man vermutlich einen großen Teil der mehr als 100 Millionen Euro hohen Rücklagen aufgebraucht haben. Dann müsse man auch über Geld aus dem Finanzausgleich nachdenken. "Was sich aber niemand wünscht", schiebt Sauerteig hinterher. So unterschiedlich können Oberbürgermeister-Wünsche sein.

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