Kommunen - Hannover:Bürgermeister beklagen Gewalt in kommunalen Verwaltungen

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Lüneburg (dpa/lni) - In fast 90 Prozent der befragten Rathäuser Niedersachsens haben schon Bürger randaliert. Das hat eine im Auftrag des Niedersächsischen Städtetages (NST) entstandene Studie ergeben, die am Mittwoch auf der Städteversammlung des NST in Lüneburg vorgestellt wurde. So würden Gegenstände umhergeworfen, Schilder abgerissen und Türen beschädigt. In fast 30 Prozent der Fälle geschieht das nach Angaben der befragten Bürgermeister mindestens einmal im Monat, in mehr als 20 Prozent sogar mindestens einmal pro Woche. Für die Studie wurden im August die Bürgermeister der 121 Städte und Gemeinden im NST befragt, 84 von ihnen nahmen teil.

Nach Auskunft der Befragten wurden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Rathäusern darüber hinaus in mehr als 60 Prozent der Fälle schon mindestens einmal bedroht - etwa mit Mord und Brandanschlägen - und in gut 40 Prozent der Fälle körperlich angegriffen. So wurden Behördenmitarbeiter getreten, angerempelt, mit Gegenständen beworfen und mit ätzenden Flüssigkeiten besprüht.

Auch die Bürgermeister selbst sind nach der Studie betroffen, vor allem per E-Mail und über die sozialen Netzwerke. Rund 35 Prozent von ihnen wurden danach schon bedroht, gut jeder dritte also. Einige schützen sich auch privat etwa per Kameraüberwachung oder haben Pfefferspray dabei.

"Die Übergriffe nehmen zu", sagte Autorin Johanna Groß, Professorin an der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen. Auch nach anderen Studien habe die Gewalt in den vergangenen Jahren zugenommen. Auch aktuelle und extreme Fälle wie der Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hätten den Wunsch entstehen lassen, sich ein genaueres Bild der Lage zu machen. Lübcke war Anfang Juni vor seinem Haus erschossen worden, dringend tatverdächtig ist ein Rechtsextremist.

Die befragten Bürgermeister machten für die Gewalt in den Behörden vor allem eine geringe Frustrationstoleranz der Kunden verantwortlich. Dazu kämen "problematische Einstellungen und Werte". Auch falsche Erwartungen und als unverständlich empfundene Entscheidungen seien Auslöser, außerdem wurde die fehlende Angst vor Konsequenzen oft genannt. Auffällig sei, wie oft die Besucher alkoholisiert in die Behörden kämen.

"Solche Straftaten müssen mit allen Instrumenten des Rechtsstaates konsequent verfolgt werden", forderte Ulrich Mädge (SPD), Präsident des Niedersächsischen Städtetages und als Lüneburgs Oberbürgermeister Gastgeber der Städteversammlung. "Unsere Sicherheitsbehörden müssen gleichzeitig personell und finanziell entsprechend ausgestattet sein." Jede Straftat solle auch angezeigt werden. "Es geht im sozialen Bereich, bei der Agentur für Arbeit und in den Notaufnahmen von Krankenhäusern nicht mehr ohne Sicherheitsdienste", sagte er am Rande des Treffens.

Auf Bundesebene müssten die Rechtsnormen bei der Verfolgung von Bedrohungen geändert werden, forderte Mädge mit Blick auf die Studie. Auch ohne Androhung konkreter Verbrechen müsse eine Verfolgung möglich sein. Er kündigte zudem an, sich für die Nennung von Klarnamen im Netz wie bei Leserbriefen einsetzen. Eine entsprechende Resolution wollte die nichtöffentliche Städteversammlung bis Donnerstag auf den Weg bringen. Sie umfasste auch eine ganze Reihe von weiteren Forderungen an das Land, so die Einbeziehung des Landespräventionsrates, einen speziellen Ombudsmann als Ansprechpartner für Betroffene sowie organisatorische und bauliche Maßnahmen. Auf sogenannten schwarzen Listen stehende Amts- und Mandatsträger müssten unverzüglich darüber unterrichtet werden.

Bis Donnerstag beraten die Bürgermeister und Ratsmitglieder aus niedersächsischen Städten in Lüneburg aktuelle kommunalpolitische Themen. Auf der zweitägigen Städteversammlung geht es auch um kommunale Strategien für den Klimaschutz, Digitalisierung und kommunale Wohnungsbaugesellschaften. Die Städteversammlung findet alle zweieinhalb Jahre statt, in diesem Jahr bereits zum 20. Mal.

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