Kommunen - Hanau:Frische Ideen gegen Niedergang der Innenstädte

Deutschland
Passanten gehen in der Hanauer Innenstadt. Foto: Arne Dedert/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Hanau (dpa/lhe) - Mit einem umfassenden Stadtentwicklungskonzept will die Stadt Hanau dem Laden-Leerstand entgegenwirken und ihre Innenstadt attraktiv für Bürger und Geschäftsleute halten. Er sei überzeugt, dass in diesem Jahrzehnt die "Schicksalsfrage der Innenstädte" beantwortet werden müsse, sagte Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) am Freitag. Es gelte, einen gelungenen Mix aus inhabergeführtem Handel und Filialisten, aus Gastronomie, Veranstaltungen, Märkten und neuen, kreativen Konzepten wie Pop-up-Handel und Pop-up-Gastronomie zu schaffen und so eine lebenswerte Innenstadt mit "Wohlfühlfaktor" zu erhalten. Auch in anderen hessischen Städten arbeiten die Planer an solchen Konzepten.

Die Probleme im stationären Einzelhandel hätten angesichts des Online-Booms schon vor der Corona-Krise eingesetzt und seien durch diese nur beschleunigt worden, sagte Kaminsky. Hinzu komme eine beachtliche Immobilienspekulation, bei der die Investoren möglichst rasch ihr eingesetztes Kapital wieder herausholen wollten. An wen dann vermietet werde und wie tragfähig die Geschäftsmodelle der Mieter sind, spiele oft keine Rolle. Auch hessen- und bundesweit müsse diese Entwicklung stärker in den Blick genommen werden, fordert Kaminsky.

Das Stadtentwicklungskonzept "Hanau aufLADEN" umfasst mehrere Elemente, die zusammen dafür sorgen sollen, dass kreative Geschäftsideen Platz finden und junge Unternehmen sich ausprobieren können, um so das Einkaufs- und Erlebnisangebot in der Innenstadt und den Stadtteilzentren zu erweitern. Wichtigster Baustein ist eine Vorkaufsrechtssatzung, mit der sich die Stadt den Erstzugriff auf Immobilien in Innenstadtlagen gesichert hatte.

Die 2019 und damit noch vor Beginn der Pandemie beschlossene Satzung habe sich gerade in der Corona-Krise, die das Ladensterben beschleunigte, als genau richtiger Schritt erwiesen, wie Stadtentwickler Martin Bieberle erläutert. Sie ermögliche, über die Verkaufsverhandlungen frühzeitig ins Gespräch mit den Immobilienbesitzern zu kommen, mit denen man "gemeinsame Sache machen" wolle. "Komplizen gesucht" lautet das Motto bewusst ein wenig frech. Alternativ zum Kauf könne die Stadt eine Immobilie auch anmieten und dann an geeignete Unternehmen untervermieten. Als weitere Elemente kommen ein City-Konjunkturprogramm zur Aufwertung von Fassaden sowie eine "Newcomer-Starthilfe" hinzu.

Davon profitiert auch Anna-Luisa Lamm mit ihrem Lederwarengeschäft: Sie übernahm die "Lederschatulle" im Sommer, nachdem die Vorbesitzer sich zur Ruhe gesetzt hatten, verpasste dem rund 60 Jahre alten Geschäft mit einer Renovierung, neuem Logo und Schild ein frisches Aussehen und gewann auch neue Marken hinzu. Als "Newcomerin" profitiert Lamm in der Anfangszeit von einem monatlichen Zuschuss der Stadt von 500 Euro - bis zu 10 000 Euro kann sie insgesamt in Anspruch nehmen. Ihr Vater Oliver lobt die Unterstützung der Stadt für junge Unternehmen wie das seiner Tochter als "sensationell". Das im Sommer wiedereröffnete Geschäft werde so gut angenommen, dass die Familie bereits die Eröffnung eines weiteren Ladens in Hanau plant.

Mit dem Stadtentwicklungskonzept wolle man auch verhindern, dass Billig-Läden, das soundsovielte Nagelstudio und der x-te Barbier-Laden die Oberhand gewinnen, sagt Bieberle. Erstes Projekt für "Hanau aufLADEN" war der Popup-Kunstkaufladen "Tacheles". In dem ehemaligen Schuhgeschäft können seit einigen Monaten Künstlerinnen und Künstler aus der Region ihre Arbeiten ausstellen und verkaufen - mit großem Erfolg: Binnen drei Monaten wurden über das Geschäft 350 Bilder verkauft - eine Zahl, von der manche Galerie nur träumen kann. Die Stadt ist über Provisionen beteiligt, was zwar wirtschaftlich nicht tragfähig sei, aber darum gehe es auch nicht in erster Linie, sagte Bieberle. Vor allem wolle man Vernetzung fördern, Orte der Begegnung schaffen und auch jungen Unternehmen ermöglichen, sich ohne großes finanzielles Risiko auszuprobieren - um sich dann vielleicht dauerhaft mit einem eigenen Geschäft niederzulassen. Das habe sich bereits über die Stadtgrenzen hinaus herumgesprochen. So hätten sich erste Geschäftsleute aus Frankfurt gemeldet, die mit ihren Läden nach Hanau umsiedeln wollen.

Auch im südhessischen Pfungstadt verabschiedete man jüngst das Vorkaufsrecht. "Politisch ist die Entwicklung der Innenstadt gewünscht", sagte der Sprecher der Stadt, Florian Hagenbruch. Es sei eine Fußgängerzone geplant, da gebe es bereits mehrere Ideen. Aber die Stadt brauche Handlungsspielraum, auch gegebenenfalls für Parkraum.

Wie Hanau und Pfungstadt suchen derweil auch zahlreiche andere hessische Städte nach Wegen, ihre Zentren zukunftsfähig zu machen. Zu dem im Mai aufgelegten Landesprogramm "Zukunft Innenstadt" gingen derart viele Bewerbungen ein, dass die Fördermittel auf 27 Millionen Euro mehr als verdoppelt wurden, wie das hessische Wirtschaftsministerium im September bekanntgegeben hatte.

Ausgewählt wurde beispielsweise die Stadt Mörfelden-Walldorf, die gleich mit mehreren kreativen Projekten wie einem "urbanen Wohnzimmer" auffiel: Flexibel aufstellbare Sitzgelegenheiten und Tische, eine atmosphärische Beleuchtung sowie Veranstaltungen unter freiem Himmel sollen dabei zum Verweilen einladen. Die Stadt Homberg (Efze) will mit der Förderung unter anderem eine Pop-up-Galerie und einen Markt-Campus realisieren. Und in Hessens größter Stadt Frankfurt soll mit Mitteln aus dem Landesprogramm ein Pop-up-Kreativbüro eingerichtet und Leerstand durch eine Zwischennutzung von Künstlerinnen und Künstlern sowie der Kreativwirtschaft entgegengewirkt werden.

© dpa-infocom, dpa:211008-99-527414/3

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