Auch im niedersächsischen Kommunalwahlkampf ist immer wieder die Rede davon gewesen, man müsse die Ängste der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen. In der Samtgemeinde Amelinghausen zum Beispiel vertraten die Bürgermeister-Kandidaten Dominik Wehling (CDU) und Claudia Kalisch (parteilos) diese Meinung ganz ausdrücklich. Wobei es diesmal nicht um die Angst vor Terrorismus oder vermeintlicher Islamisierung ging. Sondern um die Angst vor dem Wolf, der seit 2012 bei Amelinghausen im Landkreis Lüneburg wieder heimisch ist. Abschuss ja oder nein? Das war die Frage, die die Bürger bewegte und zu der die Kandidaten gerne eine Meinung kundtaten - obwohl beide im Falle eines Wahlerfolges gar nicht so einfach die internationalen Regelungen kippen könnten, die einen Abschuss des geschützten Wildtieres verbieten.
Die Kommunalwahl in Niedersachsen an diesem Sonntag führt die Menschen wieder zurück auf die Themen, die sie unmittelbar betreffen. Vor einer Woche bei der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern staunte man noch, warum die AfD so einen massiven Erfolg feiern konnte, obwohl ihre wichtigsten Wahlkampfthemen, Flüchtlinge und innere Sicherheit, gar nicht die drängendsten Probleme im Nordosten beschrieben. Dass die CDU heftig verlor, galt prompt als Absage an die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin. Und jetzt? In Niedersachsen? Der nächste Stimmungstest? Der nächste AfD-Triumph?
Die Themen der AfD in Mecklenburg-Vorpommern sind hier unwichtig
Dirk-Ulrich Mende, SPD-Oberbürgermeister in Celle, glaubt nicht daran. "Kommunalwahlen in einem Land wie Niedersachsen lassen sich nicht als Stimmungstest wahrnehmen", sagt er. Mende ist einer von 37 Verwaltungschefs, die am Sonntag auch persönlich zur Wahl stehen, der Wahlkampf in seiner 70 000-Einwohner-Stadt wurde mit viel Prominenz begangen. Am Mittwoch trat die Bundeskanzlerin für den CDU-Bürgermeister-Kandidaten Jörg Nigge ein. Tags darauf warb Außenminister Frank-Walter Steinmeier für seinen SPD-Genossen Mende. Die Themen, die der AfD in Mecklenburg-Vorpommern in Scharen Wähler brachte, waren dabei Randaspekte.

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Die AfD-Chefin findet, eine Gleichsetzung der NS-Vokabel mit dem Wort "rassistisch" sei eine Verkürzung.
Mende ahnt auch, warum das so ist. Seine Verwaltung reagierte pragmatisch und schnell, als sie im vergangenen Herbst von Freitag auf Montag eine Zeltstadt als Notunterkunft für 500 Flüchtlinge aufbauen sollte. Die Reihen der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe schlossen sich. Die Stadt gründete eine Zuwanderungsagentur als zentrale Anlaufstelle mit qualifiziertem Bildungsangebot, richtete Sozialstationen in den Ortsteilen ein, organisierte die dezentrale Unterbringung im Stadtgebiet und Dialogveranstaltungen. Alles spielte sich ein. Es gab in Celle keine große Raumnot, weil eine frühere britische Kaserne zur Verfügung stand. Und jetzt kommen wegen der EU-Grenzpolitik ja ohnehin kaum noch Flüchtlinge.
Die Kommunalwahl in Niedersachsen ist eine Mammut-Abstimmung für 6,5 Millionen Niedersachsen mit 2200 Entscheidungen zu den Vertretungen in Städten und Gemeinden. Sie bildet eine Bandbreite an Themen ab, die fast so groß ist wie die Zahl der zu bestückenden Räte. Diese Fülle wird noch begünstigt durch den Umstand, dass das zweitgrößte deutsche Flächenland sehr unterschiedliche Landschaften aufweist: Nordseeküste, Inseln, weite ländliche Räume, Mittelgebirge. Jede Region hat ihre eigenen Herausforderungen. Wenn man übers Land an den Wahlplakaten vorbeifährt, hat man sogar den Eindruck, jedes Dorf hat sein eigenes Thema, seine eigene Wählergemeinschaft.
In der Kommunalpolitik interessiert der konkrete Bedarf am Ort. Es geht um neue Brücken, Umgehungsstraßen, Bauvorhaben, um Dinge, die aus der Berliner Perspektive winzig aussehen, im lokalen Alltag aber riesengroß sind. In Hannovers Stadtbezirk Mitte zum Beispiel beschäftigt viele Menschen mehr, ob der Steintorplatz bebaut werden soll, als die sogenannte Flüchtlingskrise. Und in Celle dreht sich der Wahlkampf um Verkehrsprojekte, den Leerstand in der Innenstadt, die Wirtschaftskraft, die wegen der darbenden Erdöl- und Erdgas-Industrie beeinträchtigt ist, und um den hohen Schuldenstand. Celle ist mehr mit sich als mit der Bundespolitik beschäftigt.
Die AfD ist da - aber sie kommt in Niedersachsen schlechter an
Aber natürlich ist die AfD da. Ihr Wesen, das zwischen ökonomischer Strenge und menschenrechtsfeindlicher Parolen-Politik schwankt, gehört ja im Grunde auch schon zum Establishment. Mende rechnet mit einem einem AfD-Mitglied im nächsten Stadtrat. Aber mit keiner neuen AfD-Welle. Die Positionen der Partei in Celle hält Mende für "belanglos und beliebig auf jede andere Stadt kopierbar".
Thomas Ehrhorn, der Vorsitzende des AfD-Kreisverbands Celle, sieht das natürlich anders und verweist auf das online verfügbare elfseitige Kreiswahlprogramm. Ehrhorns online verfügbarer Wahlaufruf dreht sich allerdings vor allem um Sabotageakte gegen Plakate, Stände und Wahlveranstaltungen seiner Partei. "Wir sind hier einer großen Anzahl von Repressionen ausgesetzt", sagt Ehrhorn. Aber nicht nur wegen dieser Straftaten stellt er fest, dass die AfD in Niedersachsen schlechter ankommt als in den neuen Bundesländern. Für Ehrhorn hat das damit zu tun, dass die Menschen, die im autoritären DDR-Staat groß geworden sind, ein feineres Gespür für die Willkür von Obrigkeiten hätten.
Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass Menschen, die in einer freien Gesellschaft aufgewachsen sind, ein feineres Gespür für die populistischen Entgleisungen von AfD-Rednern haben. Der Kommunalwahlkampf zeichnete jedenfalls ein buntes Stimmungsbild. Es ging dabei auch um die Ängste der Leute vor der Zuwanderung - allerdings vor allem vor der Zuwanderung des Wolfes.