Süddeutsche Zeitung

Studie:Großstadtpolitiker erleben häufig Anfeindungen

Fast zwei Drittel der Kommunalpolitiker in großen deutschen Städten sind mit Aggressionen konfrontiert. Manche denken deshalb über einen Rückzug nach. Doch die Zahlen sind nicht überall gleich.

In Dresden muss man als Kommunalpolitiker ein besonders dickes Fell haben. Fast 90 Prozent der Mandatsträger geben hier an, bereits Anfeindungen erlebt zu haben. Direkt darauf folgen Erfurt und München. Eine Studie im Auftrag der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung hat Kommunalpolitikerinnen und Politiker in deutschen Großstädten befragt, ob sie in ihrem Amt bereits mit Anfeindungen und Angriffen konfrontiert waren.

In ganz Deutschland trifft das der Umfrage zufolge auf 60 Prozent der Mandatsträger zu. Zu den meisten Aggressionen kommt es bei persönlichen Begegnungen. Vergleichbar häufig ist auch Hass über soziale Netzwerke oder per Post. Bei knapp 11 Prozent der Fälle handelt es sich um Sachbeschädigung, bei fast 10 Prozent um körperliche Angriffe.

Einige denken darüber nach aufzuhören

Kommunalpolitiker, die sich selbst einer niedrigen sozioökonomischen Schicht (Unterschicht, Arbeiterschicht oder untere Mittelschicht) zuordnen, geben dabei besonders häufig an, bedrängt oder angegriffen worden zu sein. Die selbe Gruppe bestätigt in der Umfrage auch überdurchschnittlich oft, als Folge von Anfeindungen ihr Verhalten geändert zu haben, also beispielsweise bestimmte Themen oder Orte zu meiden.

Bei manchen Amtsträgern gehen die Anfeindungen so weit, dass sie über einen Rückzug aus der Politik nachdenken. Knapp fünf Prozent geben dies an. Auch hier sind Frauen, Engagierte mit Migrationshintergrund und Personen, die sich einer niedrigen sozioökonomischen Schicht zuordnen, überproportional vertreten.

Diese Ergebnisse seien alarmierend, sagt Andreas Blättle, Politikwissenschaftler der Universität Duisburg-Essen und Mitautor der Studie. Vor dem Hintergrund, wie schwer es mittlerweile geworden sei, Menschen für demokratische Ämter auf kommunaler Ebene zu motivieren, sei dieser Befund "ein ernstzunehmendes Hindernis".

AfD-Mitglieder berichten von den meisten Bedrohungserfahrungen

Blättle fordert mit Blick auf die Ergebnisse eine Stärkung der Schutzstrukturen. Die müssten auf lokal unterschiedliche Situationen abgestimmt sein. So seien andere Unterstützungsangebote für Fälle von Vergewaltigungsandrohungen nötig, als bei zerstochenen Reifen. "Wir brauchen zudem Strafverfolgungsbehörden, die gut genug ausgestattet sind, um Anzeigen nachzugehen."

Unter den politischen Parteien berichten in der Umfrage Mitglieder der AfD mit Abstand von den häufigsten Bedrohungserfahrungen. Blättle führt dies auf eine gesamtgesellschaftlich niedrige Toleranz gegenüber der AfD zurück. Das werfe die Frage auf, "ob in einem demokratischen Rechtsstaat Intolerante zu tolerieren sind". Die Studie weist aber auch auf eine mögliche Verzerrung der Zahlen hin: Es sei nicht unwahrscheinlich, dass einzelne AfD-Mitglieder bewusst an der Umfrage teilgenommen haben, um auf ihre subjektive Situation aufmerksam zu machen.

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