Kommentar zur Wahl in Russland:Patriotismus reicht nicht

Kommentar zur Wahl in Russland: Präsident Wladimir Putin nach seiner Wiederwahl bei einem Auftritt in der Nähe des Kremls.

Präsident Wladimir Putin nach seiner Wiederwahl bei einem Auftritt in der Nähe des Kremls.

(Foto: Denis Tyrin/AP)

Der Präsident ist wiedergewählt. Doch wenn sich das Leben vieler Russen endlich zum Besseren wenden soll, ist Wladimir Putin auch darauf angewiesen, dass er sich wieder der Europäischen Union annähert.

Kommentar von Frank Nienhuysen

Die nächste Krönungszeremonie im Kreml kann vorbereitet werden. Wladimir Putin hat triumphiert und wie gewünscht mehr als 70 Prozent der Stimmen geholt. So gesehen ist Russland auch ein sehr berechenbares Land, denn überraschende Machtwechsel sind in der politischen Choreografie nicht vorgesehen. Sehr wohl aber lässt sich der Kurs in Russland nach Gusto verändern. Als Putin vor 18 Jahren erstmals seinen Amtseid ablegte, versprach er noch, "die demokratischen Freiheiten der Menschen und Bürger zu schützen". Aber von diesen Freiheiten ist im Laufe der Jahre immer weniger übrig geblieben. Der Begriff "demokratisch" ist sogar beinahe verpönt, und das Verhältnis zum Westen ist so zerrüttet wie nie seit dem Ende des klassischen Ost-West-Konflikts. All das ist ein hoher Preis für so viel machtpolitische Kontinuität.

Ja, viele Russen mögen Putin, aber diejenigen, die ihn nicht mögen, trauen sich immer seltener, dies auch offen zu sagen. Russland erlebt ein Klima der Einschüchterung, das Versammlungsrecht ist eingeschränkt, die Meinungsfreiheit beschnitten, und auch das Internet bietet Russen nicht mehr den freiheitlichen Fluchtraum wie noch vor einigen Jahren. Dies alles soll der Führung dabei helfen, Kontrolle und Macht zu behalten. Die Massenproteste rund um die Präsidentenwahl 2012 hatten den Kreml sichtlich nervös gemacht, das sollte sich nicht noch einmal wiederholen. Nun hat sich Putin die Macht für weitere sechs Jahre gesichert. Zeit also, dass er endlich einige von jenen Versprechen einlöst, auf welche die Bevölkerung schon lange vergeblich hofft.

Der Kreml muss sich entscheiden, ob er es sich leisten will, so weiterzumachen wie bisher. Das Lebensniveau der Russen hat sich im Vergleich zu den Industriestaaten verschlechtert, das lässt sich langfristig auch mit noch so viel Patriotismus und Atomwaffen-Prahlerei schwer aufwiegen. Seit Putins Rückkehr ins Präsidentenamt vor sechs Jahren haben Hunderttausende Russen ihr Land verlassen. Die meisten von ihnen sind enttäuschte gebildete Mittelständler und damit Teil einer Elite, die Russland für den dringend benötigten Aufschwung eigentlich daheim gebrauchen könnte.

Putin steht unter Zugzwang

Das Kalkül Moskaus, es könne sich im Sanktionsstreit mit dem Westen selber helfen, ist bisher kaum aufgegangen. China hat sich nicht als jener verheißungsvolle Alternativ-Partner herausgestellt, als den Russland ihn präsentiert hat. Es ist doch eher so, dass Moskau nicht umhin kann, nun an einem besseren Verhältnis zur Europäischen Union zu basteln. Ohne deren Hilfe dürfte es schwer werden mit mehr Wohlstand in Russland. Putin steht also durchaus unter Zugzwang.

Dazu müsste er aber erst einmal das mühsam kultivierte Bild wieder verändern, sein Land sei von lauter bösen Feinden aus dem Westen umzingelt. Die Gelegenheit dazu ist günstig, jedenfalls günstiger als noch vor der Präsidentenwahl, die mit möglichst aufgebauschten Ängsten gewonnen werden musste. In drei Monaten beginnt in Russland die Fußball-Weltmeisterschaft, und natürlich sollen in den vier WM-Wochen möglichst viele Freunde ins Land kommen und nicht etwa Feinde.

Entscheidend wird jedoch sein, ob Putin und seine Regierung langfristig die eigene Gesellschaft stärken wollen oder lieber deren Kontrolle. Im Moment spricht leider alles für das Letztere.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: