Kommentar:Zu schnell geschossen

Das Scheitern des israelischen Premiers Olmert stellt auch eine fest etablierte Militärdoktrin in Frage. Israels Armee kann Diplomatie nicht dauerhaft ersetzen.

Thorsten Schmitz

Kaum ist der Zwischenbericht zu den Versäumnissen im Libanon-Krieg bekannt, schmieden israelische Politiker und die Medien Umsturzpläne. Sie gelten Regierungschef Ehud Olmert. Dass er gehen wird, ist nur noch eine Frage der Zeit, denn er genießt kein Vertrauen mehr. Jenseits des Postengeschachers jedoch hat das Urteil der Kommission deutlich gemacht, dass Israel nicht mehr nur auf seine Allzweckwaffe, die Armee, setzen kann. Olmerts desaströser Libanonfeldzug hat dies bewiesen.

Das Papier der Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Richters Elijahu Winograd lässt sich auch als Appell an Israels Führung verstehen, mehr auf Diplomatie zu setzen statt immer nur auf militärische Überlegenheit. Mehrmals wird in dem Bericht angemerkt, dass die Regierung es unterlassen habe, Alternativen zu einem Waffengang in Betracht zu ziehen.

Der Krieg gegen die Hisbollah hat seine Ziele verfehlt, die Miliz bewaffnet sich neu und hält noch immer israelische Soldaten gefangen. Auch gelingt es Israel nicht, durch Militäraktionen den palästinensischen Terror zu stoppen. Immer wieder werden potentielle palästinensische Selbstmordattentäter festgenommen und Raketen vom Gaza-Streifen aus auf Israel abgefeuert.

Olmert ist handlungsunfähig

Bei seiner Amtseinführung wurde Olmert zugute gehalten, dass er kein Karrieregeneral, sondern ein Zivilist ist. Er versprach einen Rückzug aus großen Teilen des Westjordanlandes und die Aufnahme von Friedensgesprächen mit den Palästinensern. Stattdessen führte er einen Krieg, bei dem 1200 Libanesen und 200 Israelis getötet wurden. Die Kommission stellt die naheliegende Frage: Weshalb? Olmerts Scheitern ist auch ein Scheitern der israelischen Militär-Doktrin.

Nach der Veröffentlichung des Zwischenberichts, der Olmert schwerwiegendes Versagen anlastet, ist der Premier handlungsunfähig. Seine Parteifreundin und Außenministerin Tzipi Livni legt ihm den Rücktritt nahe. Bereits nach den ersten Tagen im Libanon-Krieg hatte sie sich für eine diplomatische Lösung und ein Ende des überhastet angeordneten Krieges ausgesprochen - war aber am kriegslüsternen Olmert, der seine Unkenntnis in militärischen Angelegenheiten durch einen Krieg gegen die Hisbollah wettzumachen suchte, mit ihren pazifistischen Avancen abgeprallt.

Ob sie jetzt den Vorsitz der "Kadima"-Partei und bei Neuwahlen das Amt der Premierministerin erobert, ist möglich, aber nicht sicher. Angesichts der Drohungen aus Damaskus und Teheran sehnt sich in Israel noch immer eine Mehrheit nach einem zweiten Ariel Scharon, nicht nach einer Premierministerin Livni, die an der Allmacht der Armee zweifelt.

Keine überzeugenden Alternativen zu Olmert

Ob Olmert dem massiven öffentlichen Druck nachgibt und schon in den nächsten Tagen zurücktritt oder ob es zu Neuwahlen kommt, ist nicht vorherzusagen. Die Sehnsucht nach einem führungsstarken Premier in Israel ist mindestens so groß wie die Abneigung vor Neuwahlen.

Denn von Livni abgesehen gibt es zu Olmert keine überzeugende Alternative. Zur Wahl stehen zwei ausrangierte Premierminister, die mehr vom Ego getrieben sind als vom Willen, Israel in eine friedliche Zukunft an der Seite der Palästinenser zu führen. Oppositionsführer Benjamin Netanjahu vom rechten Likud und Ehud Barak von der Arbeitspartei, der höchstdekorierte Soldat in der israelischen Armee, wollen beide noch einmal Premierminister werden. Beide eint ihr Misstrauen gegenüber diplomatischen Initiativen und das Vertrauen in die Schlagkraft des Militärs.

Das innenpolitische Chaos hat jedenfalls schon ein erstes Opfer gefordert: Die Beziehungen Israels zu den Palästinensern. Weder kann Olmert die von den USA eingefädelten Gespräche mit Palästinenserpräsident Machmud Abbas fortsetzen, noch ist an einen Gefangenenaustausch zu denken. In den kommenden Wochen und Monaten wird, wieder einmal, Eiszeit in Nahost herrschen.

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