Kommentar zu Protesten in Bulgarien:Diplomaten können auch Klartext

Korrupt und den Wirtschaftskriminellen zu Willen: Die Demonstranten der täglichen Proteste in Sofia klagen ihre Politiker an und bringen Bulgarien an den Rand der Unregierbarkeit. Nun hat der deutsche Botschafter die Proteste gelobt - und verärgert damit die Regierung.

Von Klaus Brill, Warschau

Es ist jeden Tag das gleiche Ritual. Seit fast einem Monat demonstrieren in Sofia Tausende Menschen am Vormittag und am Abend in der Innenstadt gegen die neue bulgarische Regierung und gegen das politische System. Wie üblich begannen sie am Donnerstag mit einem Kaffeetrinken vor dem Parlament.

Nach einer Meldung des bulgarischen Rundfunks wurde das Gebäude dabei erneut mit Eiern und Tomaten beworfen. In Sprechchören skandierten die Menschen ihre Forderung nach einem Rücktritt des Kabinetts, das nach einer Neuwahl erst vor sechs Wochen ins Amt gekommen ist. Zu Fuß und auf Fahrrädern ging es dann weiter durch die größten Straßen der Stadt.

Ein weiterer Protestmarsch formierte sich gegen Abend an anderer Stelle vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten. Von hier bewegten sich die Teilnehmer den 28. Tag in Folge zur Adler-Brücke, wo jeden Tag Blockaden und Versammlungen stattfinden. Auch hier sind die Vorwürfe und Forderungen die gleichen: Der neuen Regierung, die von dem parteilosen Finanzexperten Plamen Orescharski geführt und von der Sozialistischen Partei dominiert wird, halten die Bürger vor, dass sie verschiedenen Oligarchen und Wirtschaftskriminellen zu Willen sowie durch und durch korrupt sei.

Die Fortdauer der Kundgebungen, deren Teilnehmerzahl von den Veranstaltern seit Tagen mit mehr als 10.000, von der Polizei mit eher 5000 angegeben wird, bringt das Land zunehmend an den Rand der Unregierbarkeit. Die Regierung gerät immer mehr unter Druck, doch weist sie die Forderung nach einem Rücktritt nach wie vor zurück. Offenkundig setzt sie darauf, dass mit zunehmender Sommerhitze im traditionellen Ferienmonat August die Kräfte der Demonstranten erlahmen und die Lage sich beruhigt.

Internationale Sympathie für die Demonstranten

Indessen wächst auch die Kritik aus dem Ausland, darüber kam es jetzt zu einem kleinen diplomatischen Eklat. Außenminister Kristian Wigenin empfing am Mittwoch in Sofia die Botschafter Deutschlands und Frankreichs, Matthias Höpfner und Philipp Autir, nachdem diese gemeinsam öffentlich Kritik geäußert hatten.

In einem Beitrag für die Zeitung 24 Chassa (24 Stunden) brachten sie ihre Sympathie für die Demonstranten zum Ausdruck, indem sie schrieben, eine "aktive Bürgergesellschaft" sei ein Hauptpfeiler jeder Demokratie und auch der Zukunft Bulgariens. Für das oligarchische Modell gebe es in der EU-Kultur keinen Platz. Zudem begrüßten sie die Haltung des Staatspräsidenten Rossen Plewneliew, der ebenfalls die Demonstranten gestützt und die Regierung kritisiert hatte.

In allen Bereichen sei Transparenz bei der Besetzung von Staatsämtern ein integraler Teil des Kampfes gegen die Korruption und die organisierte Kriminalität, hieß es weiter in klarer Anspielung auf den Skandal um die dubiose Berufung eines jungen Medienmoguls zum Geheimdienstchef, an der sich die Proteste vor einem Monat entzündet hatten. Die beiden Diplomaten kritisierten auch den schon von der früheren Regierung ausgeübten Druck auf die Presse.

Außenminister Wigenin erklärte, die von den Botschaftern aufgebrachten Probleme hätten sich über Jahre entwickelt und könnten also nicht der neuen Führung zugerechnet werden. Bulgarien als Mitglied der Europäischen Union erwarte, dass die Interaktion mit seinen Partnern über die etablierten Mechanismen des Dialogs und der Zusammenarbeit verlaufe und nicht über die Medien.

Indessen hat der frühere amerikanische Botschafter James Pardew sich ebenfalls hinter die Demonstranten gestellt. Der Diplomat, der von 2002 bis 2005 in Sofia residierte, sprach in der Zeitung Sega von "einer Revolution der Würde, an der ich mich, wenn ich ein Bulgare wäre, ebenfalls beteiligen würde". Die Demokratie befinde sich im Niedergang, sagte Pardew und bezog dies auch auf die frühere bürgerliche Regierung des Premiers Bojko Borissow, der nach der Wahl am 12. Mai nicht mehr zum Zuge gekommen war.

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