Kommentar:Warnstufe: Ente in Orange

Die Bürger in New York leben seit dem 11. September ununterbrochen und doch recht gelassen mit der zweithöchsten Warnstufe Orange. Übertreibungen verharmlosen letztlich die Gefahr, die von den Fanatikern der islamistischen Terror-Organisationen ausgeht. Wenn es richtig ernst wird, schaut niemand hin.

Von Hans Leyendecker

Seit dem 11. September 2001 tobt ein Krieg im Dunkeln, und die Abläufe sind mittlerweile für das Publikum kaum noch nachvollziehbar. Zumindest in dieser Woche drohten die Zuschauer angesichts der Warnmeldungen aus den USA die Übersicht zu verlieren.

Kommentar: Alltag in New York: Erhöhte Sicherheit.

Alltag in New York: Erhöhte Sicherheit.

(Foto: Foto: dpa)

Planten oder planen islamistische Terroristen Anschläge auf Finanzzentren in drei amerikanischen Städten oder hatten beziehungsweise haben sie doch eher den Flughafen London-Heathrow im Visier?

Atemlos melden Sicherheitsbehörden, dass Top-Terroristen festgenommen wurden, deren Namen nicht mal Experten kannten. Die angeblichen Hauptfiguren bleiben so schattenhaft wie ihre Alias-Namen. Wer soll die fatalen Aufzeichnungen für angeblich neue Attentatspläne gespeichert haben: der Gotteskrieger aus London oder doch der aus Pakistan, wie hieß der doch gleich?

"In dubio pro Alarm" lautet die Devise

Und was ist mit dem frisch inhaftierten Saudi? Ist einer der Festgenommenen der Mastermind von allem oder sind die Sistierten doch nur Bauern in einem größeren Spiel? So obskur wie die Motive der mutmaßlichen Terroristen ist mittlerweile auch der Umgang der US-Regierung mit den vielen Warnmeldungen und Schreckensnachrichten - in dubio pro Alarm lautet die Devise.

Auch weil der Krieg gegen die islamistischen Kämpfer so lange dauern kann, sollte diese Woche ein Lehrstück gewesen sein: So geht es nicht weiter. Notwendig ist Transparenz, Offenheit, keine Verwirrung. Die entsteht, wenn die selben Quellen mal als zuverlässig, mal als unzuverlässig eingestuft werden. Mal waren die Informationen ganz frisch, nein, sie waren doch drei bis vier Jahre alt. Stopp. Die Erkenntnisse waren ganz neu.

Die Bürger in New York leben seit dem 11. September ununterbrochen und doch einigermaßen gelassen mit der zweithöchsten Warnstufe Orange, aber für den Rest der Welt ist die alltägliche Warnung vor der Apokalypse nur schwer zu ertragen.

Oberwarner vom Dienst warnt ganz im Ernst

Es war schon verblüffend, dass der Oberwarner vom Dienst, der amerikanische Heimatschutzminister Tom Ridge, erklärte, die neuen Warnungen basierten nicht auf dem "üblichen Geschwätz". Der von Präsident George Bush berufene Minister lobte in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Führungsqualitäten des Präsidenten.

Was aber sagt das über Ridges früheres Vorgehen aus - beispielsweise als er half, mit Warnmeldungen die Sicherheitsgesetze des Patriot Act durchs Parlament zu peitschen? War es damals Geschwätz und, wichtiger noch, gibt es in den USA eine Politik der Angst? Themen der nationalen Sicherheit sind Wahlkampfmunition - sie kommen dem Amtsinhaber mehr als dem Herausforderer zugute.

Aus Sicht der meisten Bush-Gegner ist der Fall klar: Dieser Präsident hat die Welt belogen, als er die Gründe für den Irak-Krieg destillierte. Er hat eine Zusammenarbeit des Regimes von Saddam Hussein und al-Qaida erfunden, und er hatte seine Helfer in den Geheimdiensten, die ihm das Alibi für die Lüge lieferten.

Aktion Wasserschlag

Also lügt er weiter. Dieser Argumentation zufolge wird die Welt bis zur Wahl am 2. November in den USA noch viele Warnungen und Beschreibungen der Apokalypse erleben.

Die innere Logik der Ereignisse der letzten Woche lässt jedoch an diesem schlichten Schwarz-Weiß-Befund Zweifel zu. Auch Geheimdienstler sind nur Behördenmitarbeiter, und Behörden geraten gewöhnlich in Panik, wenn sie, wie jüngst durch den Untersuchungsbericht der unabhängigen Kommission zum 11.September geschehen, wegen Untätigkeit gerügt werden. Warnungen, die normalerweise im Aktenschrank blieben, werden öffentlich präsentiert: Aktion Wasserschlag.

Die Gefahr, die von den Fanatikern der islamistischen Terror-Organisationen ausgeht, wird jedoch durch Übertreibungen verharmlost. Wenn es richtig ernst wird, schaut niemand mehr hin.

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