Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Schröders Märchenstunde

Reformen sind kompliziert. Die Reformen, über die der Vermittlungsausschuss verhandelt, sind besonders kompliziert.

Von Ulrich Schäfer

(SZ vom 11.12.2003) - Selbst erfahrene Politiker verlieren den Überblick, wenn es um Feinheiten der Arbeitsmarktgesetze geht, um die Fallstricke des Gewerbesteuerrechts, um 2800 Seiten voller Paragraphen nebst alternativen Vorschlägen und Ergänzungen. Nur die Beamten in den Ministerien verstehen noch, was da verhandelt wird, und selbst sie durchschauen nur jene Gesetze, die sie selber geschrieben haben.

Insofern ist es naheliegend, dass der Kanzler und die Medien nun auf etwas starren, was jeder versteht: das Vorziehen der Steuerreform. Ein Jahr früher als geplant soll die letzte Entlastungsstufe in Kraft treten, 2004 statt 2005. Mit großem Bohei wurde dies in Neuhardenberg unter mächtigen Kastanienbäumen beschlossen; mit noch größerem Bohei will Gerhard Schröder das Geschenk den Bürgern nun unter den Weihnachtsbaum legen.

Allianz aus Bossen, Wirtschafts- und Boulevardblättern

Eine seltsame Allianz aus Bossen, Wirtschafts- und Boulevardblättern unterstützt ihn dabei, und fast scheint es so, als hänge allein von dieser Frage die Reformfähigkeit des ganzen Landes ab.

Tatsächlich hat der Kanzler die Bedeutung der Steuerreform allzu sehr überhöht. Natürlich würden die Bürger und Unternehmen gern 15 Milliarden Euro mitnehmen. Doch die Probleme der deutschen Wirtschaft, die Verkrustungen am Arbeitsmarkt, in den Sozialsystemen und der Verwaltung würden dadurch nicht gelöst.

Es gehört zu den Märchen, die die PR-Strategen der Regierung derzeit verbreiten, dass ohne die Extra-Entlastung im nächsten Jahr statt des Aufschwungs eine Rezession drohe. Aber solche Märchen wollen die Menschen in diesen Tagen offenbar hören.

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