Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Herbst der Widersprüche

Koch und Stoiber ist eine finanzpolitische Antinomie unterlaufen. Der Staat, sagen sie, dürfe einerseits für ein Vorziehen der Steuerreform nur begrenzt Schulden aufnehmen. Andererseits soll der Abbau von Subventionen zur Gegenfinanzierung den Bürgern nicht aus der rechten Tasche nehmen, was ihnen in die linke gesteckt wurde.

Von Robert Jakobi

(SZ vom 10.11.2003) - Die Welt muss einen Anfang haben und hat doch gleichzeitig keinen Anfang. Wenn die Vernunft sich selbst widerspricht, entsteht eine Antinomie - seit Immanuel Kant der treffendere Begriff für das, was gemeinhin als Paradox verstanden wird.

Eine finanzpolitische Antinomie ist nun den Unionschefs unterlaufen. Der Staat, sagen sie, dürfe einerseits für ein Vorziehen der Steuerreform nur begrenzt Schulden aufnehmen. Andererseits soll der Abbau von Subventionen zur Gegenfinanzierung den Bürgern nicht aus der rechten Tasche nehmen, was ihnen in die linke gesteckt wurde.

Dass diese Aussagen unvereinbar sind, wissen auch Edmund Stoiber und Roland Koch. Die Steuerreform zur Entlastung der Bürger wird vorgezogen, und neue Schulden werden die entstehenden Löcher stopfen. Diese unvermeidbare Niederlage will die Union im Vermittlungsausschuss ummanteln, indem sie im Gegenzug ihr Programm für das Arbeitsrecht durchsetzt.

Das ist unsachlich, da hat der Kanzler schon Recht. Doch seine Gegner haben eben von ihm gelernt: Wer wirklich ernsthaft diskutiert, hat schon verloren. Damit es nicht ganz so platt aussieht, gibt die Union ihrer Strategie einen theoretischen Überbau: Wenn die Bürger zwar mehr Geld behalten, aber nicht das Gefühl haben, dass sich der Arbeitsmarkt bewegt, bringe alles nichts.

Das ist zwar Unsinn, weil Lockerungen beim Kündigungsschutz und bei der Tarifautonomie kein sofortiges Beschäftigungswunder auslösen. Immerhin aber dient das politische Taktieren ausnahmsweise dem inhaltlichen Fortschritt: Das Land braucht ein weniger straffes Arbeitsrecht. Und wer sich das wann in diesem Reformherbst wogegen erkauft hat, interessiert später niemanden mehr.

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