Kommentar:Die zwei Regime der SPD

Auch nach dem geglückten Platzeck-Coup bleibt die Lage der Sozialdemokraten prekär.

Christoph Schwennicke

Bei der Arbeit unter Hochdruck entstehen manchmal Diamanten, aber nicht unbedingt. Die SPD hat sich nun - unter dem Hochdruck der Ereignisse und dem Zeitdruck eines bevorstehenden Parteitages sowie laufender Koalitionsverhandlungen - nach der Demontage Franz Münteferings innerhalb von weniger als 48 Stunden eine neue Personalspitze gegeben.

Das ist eine Leistung und ein Wert an sich. In einer Großorganisation mit 600.000 Mitgliedern zählt in Phasen der Konfusion jede Stunde.

Im designierten Vorsitzenden Matthias Platzeck und seinem ersten Stellvertreter Kurt Beck hatte die SPD mehr oder minder zufällig die richtigen Temperamente für dieses Krisenmanagement.

Besonnen, entschlossen und ohne wechselseitiges Belauern regelten sie erst den Vorsitz unter sich und dann alle übrigen Personalfragen zur Abstimmung auf dem Parteitag in Karlsruhe. Sie haben unter den obwaltenden Umständen dabei getan, was sie tun konnten. Und dennoch bleiben gewaltige Probleme.

Wer hat das Sagen?

In den Koalitionsverhandlungen sitzen nun das Ancien Regime, bestehend aus Franz Müntefering und Bundeskanzler Gerhard Schröder, und das Nouveau Regime mit Matthias Platzeck und dem neuen Generalsekretär Hubertus Heil.

Wer hat hier nun Prokura, wer führt die Verhandlungen wirklich? Mit wem trifft Angela Merkel die entscheidenden Verabredungen? Mit Müntefering, der Vizekanzler werden soll, aber jetzt ein Parteivorsitzender auf Abruf ist?

Oder mit Platzeck, seinem Nachfolger als SPD-Chef, der sich jetzt in kürzester Zeit auf den Stand von Verhandlungen bringen muss, die schon zur Hälfte vorüber sind? Oder mit dem designierten Finanzminister Peer Steinbrück, auf den es am Ende beim Showdown ums Geld ohnehin verstärkt ankommen wird?

Die Entscheidung von Franz Müntefering, ins Kabinett zu gehen, fußte auf der Überlegung, dass dort die drei Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD gemeinsam Politik gestalten würden. Diese Überlegung war richtig. Ihr ist mit seinem Rückzug und der Flucht Edmund Stoibers aber jetzt die Grundlage entzogen.

Angela Merkel wird sich deshalb an ihrem vordergründigen Machtgewinn nicht nur erfreuen, weil sie an einem Scheitern der Verhandlungen kein Interesse haben kann. Andere in ihrer Delegation schon eher. Die haben jetzt einen Hebel, indem sie nur sagen müssen: Mit dieser Sponti-Truppe der SPD ist nichts hinzukriegen.

In der Kürze der Zeit ist das SPD-Personaltableau überdies teilweise wie in einer Lotterie zustande gekommen. Die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der SPD-Frauen, Elke Ferner, betrat das Willy-Brandt-Haus nichts Böses ahnend und verließ es zur eigenen Überraschung als Platzecks Stellvertreterin.

Nicht viel anders verhält es sich mit dem neuen Generalsekretär Hubertus Heil. Wenn der Druck nicht zum Diamanten reicht, entsteht bekanntlich Kohle. Guter Brennstoff, aber eben auch kein Edelstein.

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