Kommentar:Die Justiz und der Papagei

Die große Justizreform ist notwendig. Wenn sie aber nur an Einsparungen denkt, ist sie schädlich.

Von Heribert Prantl

Hätte ich einen Papagei, so hat der alte CDU-Sozialpolitiker Norbert Blüm gesagt, würde ich ihn drei Wörter lehren: Kostensenkung, Deregulierung, Privatisierung.

Damit nämlich, so Blüm, sei das neoliberale Programm ausreichend beschrieben. Womöglich hat Blüm das Lehrprogramm schon absolviert und seinen Vogel nun an die Justizministerkonferenz ausgeliehen: Deren Plan zur großen Justizreform sieht nämlich so aus, als habe bei seiner Abfassung das Papageien-Motto die Feder geführt: Bei der geplanten Kastration der Rechtsmittel geht es augenscheinlich weniger um mehr Transparenz und mehr Übersichtlichkeit als darum, auf Kosten der Rechtsgewährung Geld zu sparen.

Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) hat dazu soeben auf der Konferenz der CSU-Juristen in Regensburg das Richtige gesagt: "Eine große Justizreform darf keine kleine Justiz zur Folge haben."

Die Justiz ist die wichtigste Garantin für den sozialen Frieden im Land. Wer glaubt, man könne diese Garantie für noch weniger als für einen Apfel und ein Ei haben, macht einen schweren Fehler. Die Justiz kostet in allen Bundesländern weit weniger als fünf Prozent der Gesamtausgaben - wovon sie sogar noch knapp die Hälfte durch eigene Einnahmen wieder erwirtschaftet.

Wenn die Justizreform eine möglichst billige Zack-Zack-Justiz zum Ziel hätte, verdiente sie den Namen Justizreform nicht.

Kein Aktionsfeld für die Kettensäge

Es ist richtig, dass das deutsche Rechtsmittelsystem unübersichtlich ist; es ist richtig, dass es da seltsame Verästelungen, dass es da viel Wildwuchs gibt, und dass dies weniger der Rechtsgewährung als der Rechtsverwirrung dient.

Und es ist richtig, dass eine Justizreform sehr viel Arbeit damit haben wird, hier für einen ordentlichen Beschnitt zu sorgen - das beginnt schon beim verheerend komplizierten Gerichtsgebührenwesen. Die radikale Verkürzung des Rechtsschutzes zumal in Strafsachen auf eine einzige Tatsacheninstanz ist aber kein Beschnitt, sondern eine Verstümmelung. Justizreform ist kein Aktionsfeld für die Kettensäge.

Das Strafverfahren, so sagt es die bayerische Justizministerin Beate Merk zu Recht, baut derzeit darauf auf, neunzig Prozent der einfachen und mittleren Kriminalität vor den Amtsgerichten in erster Instanz in einem arbeitsökonomischen Verfahren endgültig zu beenden.

Das setzt aber voraus, dass der Angeklagte für den Fall der Fälle immer noch eine Berufung als zweite Tatsacheninstanz zur Verfügung hat, eine Instanz also, in der er notfalls nochmals Beweismittel vorlegen und prüfen lassen kann.

Wird das - wie mit der großen Justizreform geplant - verhindert, dann wird die erste Instanz maßlos aufgebläht, die Beweisaufnahme dort aufgepumpt, dann dauert eine Verhandlung, die bisher in einer Stunde über die Bühne ging, womöglich den ganzen Tag.

Der Angeklagte und sein Verteidiger müssen ja auf Nummer sicher gehen. 86 von 100 Verfahren werden derzeit, weil keine Berufung eingelegt wird, rechtskräftig.

Aber die bloße Möglichkeit der Berufung sorgt heute dafür, dass die Verfahren in der ersten Instanz einigermaßen zügig abgewickelt werden können.

Fällt die Berufung weg, wird sich das ändern. Der Vorschlag, ein "Wahlrechtsmittel" einzuführen, ist da ein guter Ausweg: Der Angeklagte kann sich dann aussuchen, ob er Berufung oder Revision einlegen will.

Im Übrigen sollte man damit aufhören, die Justiz schlecht zu reden, um damit für schlechte Reformen zu werben. Die Justiz arbeitet schneller, als dies landläufig bekannt ist.

Zivilverfahren am Amtsgericht dauern knapp drei, am Landgericht fünf Monate. Wer die immer noch ziemlich bescheidene Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften mit Computern kennt, darf solche Werte für ein Wunder halten.

Wer eine seriöse Gerichtsreform will - sie ist bitter nötig -, der muss damit anfangen, das Schäbigkeitsprinzip aus den Gerichten zu vertreiben.

(SZ vom 24.11.2004)

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