Kommentar:Der Osten wählt anders

Der CDU sind bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg so viele Wähler davongelaufen, weil nicht klar ist, wofür sie steht.

Von Kurt Kister

Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt ist der größte direkte Verlierer des jüngsten Wahltags. Weil seine CDU um mehr als 15 Prozentpunkte abgestürzt ist, muss er jetzt wohl eine große Koalition mit der SPD eingehen.

Es handelt sich eigentlich um eine kleine Koalition, denn die Sozialdemokraten sind in Sachsen nur ein paar Zehntelprozentpunkte stärker als die NPD, und dies sagt nichts Gutes über die politische Kultur in Sachsen.

Mit diesem Wahlergebnis - 9,2 Prozent, 191087 Stimmen für die NPD - ist Sachsen zum Zentrum des politischen Irrationalismus in Deutschland geworden.

Dies gefährdet nicht die demokratische Stabilität der Bundesrepublik. Aber es ist bedrückend, wie in Brandenburg und vor allem in Sachsen das Leckt-uns-doch-alle-sonstwo-Gefühl einer Minderheit dazu führt, dass NPD und DVU in den Landtagen sitzen.

Sachsen ist nun die Hochburg all jener, die es den anderen, egal ob CDU, SPD oder PDS, mal so richtig zeigen wollten. Sie tun das zu Gunsten einer Partei, deren Spitzenkandidat Holger Apfel der Parteijugend vor Jahren empfahl, sich "einzig und allein" an Wehrmacht und Waffen-SS zu orientieren.

"Angst, abgehängt zu sein"

Es mag ja sein, dass in Sachsen, wie Milbradt sagt, viele "Angst haben, abgehängt zu sein auf Dauer". Das aber erklärt nicht und entschuldigt schon gar nicht, dass viele eine Partei gewählt haben, die auch jene Zeit verklärt, in der die Menschen aufgehängt wurden auf Dauer.

Die größte indirekte Verliererin des jüngsten Wahltages ist Angela Merkel. Bei allen Wahlen vor diesem Sonntag hat sie stets gesagt, mit der jeweils regionalen SPD hätten auch und vor allem Gerhard Schröder und Rot-Grün in Berlin verloren.

Nun denn, was für Schröder gilt, gilt auch für Merkel. Nach der einhelligen Aussage vieler Wahlkämpfer von CDU und SPD in Brandenburg und Sachsen dominierte auch diesmal die Bundespolitik.

Der Hartz-Effekt schädigte die Sozialdemokraten, wenn auch moderater als bei früheren Wahlen. Der CDU aber liefen die Wähler noch drastischer davon, und dies haben sie ja wohl nicht getan, weil sie Schröders Politik verwerflich fanden.

Regionale Enttäuschung gegen Hartz-Effekt

In Dresden hat Merkels Milbradt-CDU mehr verloren als Lafontaines Maas-SPD im Saarland; in Brandenburg hat die CDU unter Jörg Schönbohm kaum ein Fünftel der Stimmen bekommen.

Hier wirkten regionale Enttäuschung, Ärger über den allgemeinen Zick-Zack-Kurs der CDU im Bund sowie der Merkel-Malus zusammen.

Der Osten wählt anders

Auf die Frage, ob er denn im Wahlkampf genug Rückenwind aus Berlin verspürt habe, sagte der zweistellige Verlierer Milbradt am Montag: "Die Unterstützung durch Frau Merkel war mehr als ausreichend."

Großartig, könnte da Siegmund Freud aus dem Grabe rufen. Merkel bemüht sich seit Monaten vor dem Hintergrund einer lebensgefährlich schwächelnden SPD, die neue, einige, stark geführte Union zu repräsentieren.

Allein, kaum einer weiß, was an dieser Union in diesen Tagen neu, einig oder stark geführt sein soll. Merkels Kopfpauschale für den Zahnersatz geht den Bach hinunter; ihrer Türkei-Politik wird in der CDU öffentlich widersprochen; Stoibers Distanzierung von der Berliner Leichtmatrosin und ihrem Kombüsengefährten Westerwelle wird auch im CDU-Präsidium mit Grinsen quittiert.

Wind aus allen Richtungen

Nein, aus dem Konrad-Adenauer-Haus bläst derzeit der Wind aus allen Richtungen und sicher nicht in den Rücken der Wahlkämpfer in den Ländern.

Zu wenige wissen, wofür Angela Merkel wirklich steht. Und zu viele befürchten, dass sie vom Schröder-Virus - "Ich will da rein" - infiziert ist, ohne Schröders zaunbrechende Fähigkeiten zu haben.

Für die CDU war, um Müntefering zu paraphrasieren, der Wahlsonntag so: Brandenburg schlecht; Sachsen noch schlechter; Glück ab, Angela Merkel.

Für uns alle hat er gezeigt, dass der Osten anders ist als der Westen und deswegen auch anders wählt. In keinem Bundesland westlich der Elbe würden Rechtsradikale in die Nähe der Zweistelligkeit kommen.

Nach Sachsen-Anhalt 1998 (die DVU bei 12,9 Prozent) ist Sachsen 2004 der zweite Fall und hoffentlich nicht der Beginn einer widerwärtigen Serie.

Ossi, und stolz drauf

Die PDS hat sich, von der aktuellen Wutwelle beschleunigt, als die Regionalpartei der Enttäuschten stabilisiert. Trotz ihrer kursorischen Versuche, im Westen die Nostalgie-Sozialisten abzugreifen, bleibt sie jene Partei, die am ehesten das Lebensgefühl vieler zwischen Saßnitz und Plauen widerspiegelt: Ossi, und stolz darauf.

Hartz IV wird im Osten vielerorts als West-Gesetz verstanden. Solange diese Kategorien bedeutend bleiben, wird die PDS gedeihen.

Das Wahlverhalten der Menschen im Osten ist, wie man so schön sagt, volatiler als das der Bürger im Westen. Im Osten kommen Politiker an die Spitze - zum Beispiel Harald Ringstorff oder Wolfgang Böhmer - , die im Westen mutmaßlich vor ihrem Aufstieg in den Parteigremien zerrieben würden.

Der relative Erfolg der SPD in Brandenburg ist ohne die Person des Ministerpräsidenten Matthias Platzeck nicht zu erklären. Platzeck ist so etwas wie eine unrasierte, modernere Ausgabe von Manfred Stolpe - und der war in Brandenburg trotz aller ökonomischen Misserfolge populär wie die Kiefern im märkischen Sand.

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