Kommentar:Auf zum letzten Gefecht

Die SPD ist nur noch eine Partei der neuen Mitte, mehr nicht. Die von den neuen Gesetzen Betroffenen ahnen noch kaum, was ihnen blüht. Wenn sie es aber merken, wird Feuer am Dach der Republik sein.

Von Heribert Prantl

Die Kürzel für den weiteren Niedergang der SPD lauten Hartz IV und Alg 2. Diese Kürzel stehen für die Entfremdung der SPD von den neuen sozialen Unterschichten der Republik; die SPD ist nicht mehr deren Partei.

Das war zwar schon längere Zeit klar, nun wird es amtlich. Die SPD kappt die Verbindung nach unten. Sie ist nicht mehr rot, sie ist allenfalls noch rosé. Mit den neuen Gesetzen, in denen nun die Langzeitarbeitslosen ins Heer der Sozialhilfeempfänger eingereiht werden, macht die SPD klar, was sie noch ist: eine Partei der neuen Mitte, aber mehr nicht mehr.

Sie ist die Partei derer, für die ein Franz Müntefering als Typus steht. Müntefering ist, denkt und handelt, so hat das der Parteienforscher Franz Walter beschrieben, wie die meisten Deutschen.

Er verkörpert das Bewusstsein des durchschnittlichen Deutschen der Mittelklasse. Dass sich das in Wahlen nicht auswirkt, liegt daran, dass die SPD unter Gerhard Schröder in einen Zustand tiefer Unsicherheit geraten ist; sie hat ihre alte Selbstgewissheit als Arbeiterpartei verloren und keine neue gewonnen.

Deshalb verliert sie nicht nur die neue Unterschicht, sondern auch die neue Mitte, die sie an sich repräsentiert. Hinzu kommt, dass der Kanzler sich lange benommen hat wie ein Pilot, der von sich glaubt, er sei so gut, dass er auch ohne Flugzeug fliegen kann. Nun bräuchte er das Flugzeug, aber es funktioniert nicht mehr richtig.

Hartz IV; Arbeitslosengeld 2, genannt Alg 2: Es handelt sich um Gesetze, mit denen die sozialdemokratische Generation der heute Fünfzig- und Sechzigjährigen ihren Aufstieg besiegelt und den Aufstieg derer verhindert, die noch immer unten stehen oder schon wieder nach unten gefallen sind.

Die SPD beendet ihr "Projekt sozialer Aufstieg". In der Zeit der Bildungsoffensive der 60er und 70er Jahre ist die SPD-Klientel in die Mittelschicht aufgestiegen. Die Kinder kleiner Handwerker und strebsamer Facharbeiter sind zu Hunderttausenden auf der Strickleiter, die ihnen das BaföG geknüpft hat, nach oben geklettert.

Wer sich heute in den Lehrkörpern der Schulen und Universitäten, in Gerichten und Parlamenten umschaut - der sieht überall die etablierten Aufsteigerkinder.

Strickleiter einziehen

Die Spitzenpolitiker dieser Generation ziehen nun die Strickleiter ein. Die neuen Gesetze sorgen für neue Armut - bei 500.000 Langzeitarbeitslosen sofort am 1.Januar; eine weitere Million wird ihnen später in die Sozialhilfe folgen.

Die Auswirkungen von Hartz IV werden den sozialen Frieden schwer stören. Der Streit, der im Vermittlungsausschuss über die Gesetze geführt wurde, drehte sich aber nicht darum; es ging um Zuständigkeits- und Finanzierungsfragen. Die von den Gesetzen Betroffenen haben noch gar nicht kapiert, was ihnen droht.

Wenn sie es kapiert haben, wird Feuer am Dach der Republik sein, dann kann die nächste Bundestagswahl zum letzten Gefecht der SPD geraten; die Wähler werden in Massen zur Union laufen. Die wird, wie es heute aussieht, die Politik der McKinseyisierung Deutschlands noch ärger fortsetzen.

Stunde der Populisten

Die noch mehr frustrierten Wähler werden also auch der Union weglaufen, aber nicht zur SPD zurückkehren. Dann könnte die Stunde des heute noch unbekannten Populisten schlagen. Hartz IV kann der Startschuss zu dieser fatalen Entwicklung sein.

Die Grundidee mag gut vertretbar sein: Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe werden zusammengeführt. Die Ausführung ist unvertretbar. Schon die neue Bezeichnung Arbeitslosengeld 2 ist Augenwischerei; es handelt sich schlicht um bloße Sozialhilfe für die Menschen, die bisher mehr Geld, nämlich Arbeitslosenhilfe, bekommen haben; vom 1. Januar an wird es so sein, dass Arbeitslose, meist schon nach einem Jahr, in die Sozialhilfe fallen.

Das ist hart. Noch härter aber sind die Details: Arbeitslose müssen ihr kleines Vermögen (so vorhanden) verscherbeln. Die Anrechnungsvorschriften, die bisher für Sozialhilfeempfänger galten, werden nun auch auf die Arbeitslosen erstreckt - auf Leute also, die oft jahrzehntelang gearbeitet und Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bezahlt haben.

Wer künftig in der Arbeitslosigkeit vom Staat unterstützt werden will, der muss zum Beispiel seine Lebensversicherung zum läppischen Rückkaufswert veräußern, der muss sich seine kapitalisierte Unfallversicherung anrechnen lassen, der muss, so er sich ein Häuschen erspart hat, womöglich dieses Häuschen verkaufen.

Der Sozialstaat kassiert privates Kleinvermögen von anständigen Leuten, die nichts dafür können, dass es kaum Arbeit gibt, die auch nicht schuld daran sind, dass der Arbeitsmarkt Fünfzigjährige wie Aussätzige behandelt.

Verfassungsrechtlich bedenkliche Enteignungspolitik

Eine solche Politik ist nicht sozialdemokratisch, sondern unanständig. Es handelt sich um verfassungsrechtlich bedenkliche Enteignungspolitik. Zugleich verhöhnt diese Politik ihre eigenen Empfehlungen: Sie fordert die Menschen tagtäglich auf, auch selber Vorsorge für Notfälle zu treffen; und jetzt nimmt sie ihnen bei Eintritt des Notfalls das so Ersparte weg. Die Leute werden arm gemacht - kriegen aber keinen Job.

Der Schutz des Eigentums gilt auch für das Eigentum kleiner Leute. Wenn man das der SPD nach 140 Jahren SPD-Geschichte erklären muss, wird klar, warum es dieser Partei so schlecht geht.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: