Israel:Ein ruchloser Flirt mit dem Faschismus

Israel: Steht auch in der Kritik: Justizministerin Ajelet Schaked.

Steht auch in der Kritik: Justizministerin Ajelet Schaked.

(Foto: Jack Guez/ AFP)

In einem Wahlwerbespot provoziert Israels Justizministerin mit einem "Faschismus"-Parfum. Ihre Taktik erinnert an das Vorgehen der AfD in Deutschland.

Kommentar von Norbert Frei

In der Nähe von Tel Aviv gibt es Raketenalarm, unter den einfachen Leuten im Gazastreifen herrschen Wut und Verzweiflung angesichts ihrer ökonomischen Lage, und eineinhalb Wochen vor der Wahl zur Knesset ist ein neuer Waffengang zwischen dem israelischen Militär und der palästinensischen Hamas nicht ausgeschlossen.

Vor diesem Hintergrund mag manchem die Aufregung künstlich erscheinen, die Ajelet Schaked unlängst mit der Wahlwerbung für ihre Partei "Die Neue Rechte" ausgelöst hat. Doch der 44-sekündige Videoclip hat es in sich. Fotografiert im Stil teurer Kosmetikreklame, will sagen: schwarz-weiß und in Zeitlupe, zeigt er die bildschöne israelische Justizministerin, wie sie ihren Schmuck anlegt, die Freitreppe eines eleganten Appartements hinabsteigt und an deren Ende zum Parfumflakon greift. Allein der Name des Dufts schimmert leicht golden - "Fascism". Schaked drückt auf den Zerstäuber, blickt in die Kamera und befindet: "Für mich riecht es wie Demokratie."

Worauf sich der Satz genau bezieht, bleibt erst einmal ebenso unklar wie die Frage, ob er ernst oder - was der des Hebräischen nicht mächtige Betrachter instinktiv hofft - ironisch gemeint ist. Aber dann schaltet man die Untertitelung ein und liest im zweiten Durchlauf die Übersetzung der wenigen Worte, die eine vom Piano untermalte Stimme aus dem Off in den Sekunden flüstert, bevor die anmutige Hauptdarstellerin ihr Parfum "Faschismus" auflegt.

Nun ist kein Zweifel mehr, wofür die Ministerin steht und wofür sie das Wahlvolk gewinnen will: für eine harte Hand gegenüber Kritikern der israelischen Armee und anderen zivilgesellschaftlichen Aktivisten, für die Berufung scharfer Richter und für die Beschränkung der Macht des von den Rechten für viel zu lasch und liberal gehaltenen Obersten Gerichtshofs. Am Ende dann ein Satz, der wie einst bei Carl Schmitt auf die Unterscheidung zielt zwischen Freund und Feind, und den die einen als Versprechen, die anderen nur als Drohung verstehen können: "Die nächste Revolution kommt."

Dobrindt landet mit seiner Wortwahl in den frühen Dreißigerjahren

Eine "konservative Revolution" hatte, vor gut einem Jahr, auch Alexander Dobrindt angekündigt - offenbar im Glauben, abtrünnig gewordene Unionswähler mit strammen Parolen gegen eine angebliche "linke Meinungsvorherrschaft" wieder einfangen zu können. Mag sein, dass der Landesgruppenchef der CSU nicht wusste, welchen historisch hochkontaminierten Begriff er damit aufrief; erstaunlich auch, dass er als Spitzenrepräsentant einer demokratischen Partei die Revolution in Aussicht stellte. Terminologisch war Dobrindt mit seiner Wortwahl jedenfalls in den frühen Dreißigerjahren gelandet beziehungsweise bei dem aus Basel stammenden Armin Mohler. Der nämlich, in jungen Jahren ein begeisterter SS-Mann, hatte die rechtsintellektuellen Totengräber der Weimarer Republik (Jungkonservative, Nationalrevolutionäre, Völkische) in seiner 1950 abgeschlossenen Dissertation unter dem Etikett der "konservativen Revolution" zusammengefasst und verniedlicht. Heute bemühen sich die Neuen Rechten im Umkreis der AfD um die Ehrenrettung dieser Antidemokraten und um die Wiederbelebung ihres Denkens. Der enorme rhetorische Aufwand, den sie dabei betreiben, erklärt sich aus dem am Ende natürlich illusorischen Versuch einer Abgrenzung gegenüber dem real existiert habenden Nationalsozialismus.

Derlei Komplikationen kennt die israelische Rechte nicht. In einer seit Jahrzehnten durch äußere Belagerung, Krieg und Besatzungspolitik geprägten politischen Kultur, in der entsprechend raue Sitten herrschen, ist der provozierende Umgang mit der Geschichte nur eines der Instrumente im Besteckkasten populistischer Politik. Ajelet Schaked arbeitet damit auf fast schon abstrakt zu nennende Weise - anders als hierzulande etwa Alexander Gauland, der sich noch ganz konkret mit braunem "Vogelschiss" abmüht und seinen Stolz bekundet auf die "Leistungen" der deutschen Soldaten in den beiden Weltkriegen.

Doch in dem, was ihr ruchloser Flirt mit dem Faschismus bezwecken soll, unterscheidet sich die radikale Rechte in Israel wenig vom Umgang der AfD mit dem Nationalsozialismus und von ihren Spießgesellen überall sonst: Der Skandal der historischen Sinnzerstörung, der Relativierung und der Verharmlosung verspricht öffentliche Aufmerksamkeit, und um die zu erheischen, ist jedes Mittel recht. Denn nur, wer das Ohr des Publikums findet, kommt dem erklärten Ziel der Rechten näher - der Transformation der liberalen Demokratie in die vermeintlich "wahre" Herrschaft des Volkes. Gut möglich, dass der laufende Wahlkampf die einzige funktionierende Demokratie des Nahen Ostens ein Stück weiter in diese Richtung verschiebt.

Menschenfeindlichkeit verbindet den Rechtspopulismus von heute mit dem alten Faschismus

In Israel wie in großen Teilen Europas, in den USA des Donald Trump und in Gestalt von Jair Bolsonaro jüngst auch in Brasilien feiert eine populistische Rechte politische Erfolge, die sich gegen das System der repräsentativen Demokratie und deren Eliten stellt, die auf den Rechtsstaat pfeift und dessen Institutionen zu ruinieren trachtet. So wie Präsident Trump den Supreme Court mit willfährigen Richtern besetzt, will Ministerin Ajelet Schaked das bislang bemerkenswert selbstbewusste und demokratisch standfeste israelische Justizsystem politisch an die Leine nehmen und letztlich die Gewaltenteilung untergraben.

Was den historischen Faschismus mit dem Rechtspopulismus unserer Gegenwart vereint, sind die Ingredienzen gezielter Menschenfeindlichkeit: Nationalismus, Rassismus und die Herrschaft des gesunden Volksempfindens. Als Demokratie gilt den Rechten, wenn ihre Mehrheit über alle Minderheiten triumphiert.

Gegen dieses "Missverständnis" sind klare Worte geboten, aber auch stärkere Anstrengungen in der politischen Bildungsarbeit. Und gefragt ist das Vorbild des respektvollen Streitens unter Demokraten. Wer in Zeiten wie diesen die Politik der eigenen Kanzlerin mit dem Begriff der "Gleichschaltung" belegt - der perfiden Nazi-Vokabel aus dem Frühjahr 1933 -, der hat als neuer Bundesvorsitzender der Jungen Union hoffentlich nur einen bösen Anfangsfehler gemacht.

Zur SZ-Startseite
Kolumne von Norbert Frei

Norbert Frei ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena, er leitet das Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts. Alle Kolumnen von ihm lesen Sie hier.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: