Vokuabular der AfD:Völkische Fantasien

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AfD-Anführer Alexander Gauland und Alice Weidel (Foto: AFP)

Die Führungsriege der AfD zündelt mit Begriffen aus dem "Wörterbuch des Unmenschen". Für die Rechtsradikalen ist das NS-Vokabular Lebenselixier.

Von Norbert Frei

Frauke Petry möchte das Wörtchen "völkisch" rehabilitieren. Sie findet, man habe ihm in den vergangenen siebzig Jahren unrecht getan. Immer nur werde es in einem "negativen Kontext" benutzt, dabei sei es doch ein "zugehöriges Attribut" zu "Volk". Ihr Parteivize Alexander Gauland, historisch gewiss gebildeter als die promovierte Chemikerin, sprang Petry dieser Tage mit der Erklärung bei, der Begriff komme aus der deutschen Jugendbewegung zu Anfang des 20. Jahrhunderts, sei also älter als der Nationalsozialismus und "mehr" als der Völkische Beobachter.

Gaulands Erläuterungen sind nicht ganz falsch. Halb richtig daran ist, dass im bürgerlichen Wandervogel vor dem Ersten Weltkrieg alle möglichen Ideen ventiliert wurden - zivilisationskritisch-romantische, reformpädagogische und (homo) erotische aber bei Weitem heftiger als völkische. Umgekehrt war das spätere Zentralorgan der NSDAP schon völkisch, als es noch unter dem Namen Münchner Beobachter firmierte und der Thule-Gesellschaft gehörte, einem geheimen "Orden für deutsche Art". Dessen Gründer Rudolf von Sebottendorf hielt zu Zeiten der Münchner Räterepublik im "Vier Jahreszeiten" Hof und gab das marode Blättchen 1920 an die Nationalsozialisten weiter.

Die Grenzen des Sagbaren sollen weiter verschoben werden - noch weiter nach rechts außen

Worum also geht es wirklich? Wieso operiert nun auch die Parteichefin der AfD mit einer Vokabel, über deren furchtbare Bedeutung im Dritten Reich sich jeder im Klaren ist, der im Geschichtsunterricht nicht nur geschlafen hat? Petrys vermeintlich beiläufige Bemerkung und Gaulands scheinbar so bürgerlich-distanzierte Nachbearbeitung ("Ich persönlich benutze den Begriff nicht, aber die Bewunderung für das eigene Volk war etwas sehr Positives") dienen ein und demselben Zweck: Die Grenzen des Sagbaren sollen weiter verschoben werden. Noch weiter nach rechts außen, also dorthin, wo eine für die AfD offenbar zunehmend interessanter werdende Klientel wartet, die an historisch kontaminierten Begriffen Gefallen findet.

Gemeint sind damit nicht die geschichtlich zumeist eher unbedarften, bei den diesjährigen Landtagswahlen von der AfD schon eingefangenen "Wutbürger" im Westen oder die erkennbar ermatteten Marschierer der in Auflösung begriffenen Pegida im Osten. Gemeint sind die nie ganz verschwundenen, lange jedoch auf ihre publizistischen Nischen beschränkten Anhänger der Neuen Rechten - und die auffallend jungen Leute der noch wenig bekannten "Identitären Bewegung". Deren Name wirkt so stilisiert wie ihr senfgelb-schwarzer Auftritt im Netz, aber er ist Camouflage. Jeder Blick in ihre theoriesimulierenden Texte zeigt, wes Geistes Kind sie sind. Die "Identitären" sind die Vorkämpfer einer Völkischen Bewegung 2.0.

Das Original hatte schon Konjunktur - darin immerhin trog die Erinnerung Alexander Gauland nicht -, als die NSDAP noch gar nicht gegründet war. Aber das macht die Sache nicht besser. Die Völkischen der 1890er-Jahre, das hat, vor mehr als einem halben Jahrhundert, Fritz Stern in einem berühmten Buch gezeigt ("Kulturpessimismus als politische Gefahr"), erblickten ihre Hauptfeinde im westlichen Materialismus, im Liberalismus und in der Macht der Juden. Vor alledem wollten sie das Deutsche Kaiserreich bewahren.

Norbert Frei ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena und leitet das Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts. (Foto: N/A)

Auf der Homepage der "Identitären" lesen sich diese völkischen Fantasien heute so: "Wir lehnen den westlich-liberalen Universalismus mit seiner Globalisierung genau so ab, wie andere religiöse oder politische Utopien, die dem Rest der Welt (notfalls mit Gewalt) ihr Lebenskonzept aufzwingen und so aus Profitgier oder falsch verstandener Moral ethnokulturelle Traditionslinien zerstören."

Wer den Text nur überfliegt und im Weiteren auch noch auf den Begriff des "Ethnopluralismus" stößt, der mag einen Moment lang denken, er habe es mit grün-alternativer Globalisierungskritik zu tun. Tatsächlich verbergen sich hinter der fortschrittlich und antikolonial anmutenden Terminologie nichts anderes als Apartheid und Rassismus: Die unterschiedlichen "Völker und Stämme" sollen bleiben, wo sie hingehören, nämlich "auf ihrem geschichtlich gewachsenen Gebiet". Sie dürfen, geht es nach dem Willen der "Identitären", jedenfalls nicht nach Deutschland.

Aber die "Umvolkung" habe hierzulande ja längst begonnen, twitterte neulich eine Bundestagsabgeordnete der sächsischen CDU. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion fand das zwar prompt "unsäglich", doch bevor der Tweet verschwand, war das Unsägliche wieder ein bisschen sagbarer geworden. Seit der ehemalige Geschichtslehrer Björn Höcke die Thüringer AfD führt, sollen wir uns daran gewöhnen, dass auf öffentlichen Plätzen über "tausend Jahre Deutschland" geraunt wird. Höckes Wort von der "Kanzler-Diktatorin" nahm Alexander Gauland bei einem gemeinsamen Auftritt in diesem Sommer begeistert auf - und erläuterte Merkels "Politik der menschlichen Überflutung" ganz im Sinne der "Identitären": Das sei der "Versuch, das deutsche Volk allmählich zu ersetzen durch eine aus allen Teilen dieser Erde herbeigekommene Bevölkerung".

Deutschland den ethnisch als solche ausgewiesenen Deutschen: Das klingt noch etwas umständlich, ist aber natürlich nichts Neues. Und mittlerweile ist auch klar, dass die emanzipatorisch-freiheitliche Parole vom Herbst 1989 auf ihre antiaufklärerische Nachtseite gedreht werden kann: "Wir sind das Volk" lässt sich durchaus im Sinne der Rechten und Rechtsradikalen verstehen, die mit Biederfrau- oder Biedermannsmiene davor warnen, "völkisch" auf "rassistisch" zu verkürzen.

Genau betrachtet, haben die wortklauberischen Sagbarkeitsaustester von der AfD mit Letzterem sogar recht. Man muss deshalb deutlich machen, worauf, vor wenig mehr als zwei Generationen, die Fantasien und Zwangsvorstellungen der ersten völkischen Bewegung in Deutschland hinausliefen: auf Völkermord.

Norbert Frei , 61, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich -Schiller -Universität Jena und leitet das Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts.

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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