Kolumne: Terrorismus:Angst

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Terroristische Gewalt wird nie normal werden, nicht in Bagdad und Istanbul, nicht in Brüssel oder Paris. Sie wird nur häufiger. Man muss mit Angst und Zorn leben.

Von Carolin Emcke

Alles schmerzt sich einmal durch bis auf den eignen Grund/ und die Angst vergeht", heißt es in einem Vers des Dichters Jan Skácel in dem Gedichtband "Wundklee". Ich weiß nicht, wie weit es bis zum Grund ist, aber es hat sich noch nicht bis dahin geschmerzt. Zumindest nicht bei mir. Ich wünschte, ich könnte etwas anderes behaupten. Aber die Angst ist noch da. Sie ist unter die Haut gekrochen. Mit jedem neuen Anschlag durchfährt sie einen wieder. Ich würde gern versichern, diese menschenverachtenden Kriminellen bereiteten mir keinen Schrecken. Das Kalkül des Terrors, der Angst und Schrecken verbreiten will, ginge nicht auf. Aber das stimmt eben leider nicht. Dieses willkürliche Morden: jederzeit, an beliebigen Orten, am Strand, in einem Konzertsaal, einer Redaktion, in der Bahn, vor einer Moschee, in einem jüdischen Museum, wo auch immer, zu töten, diese apokalyptische Ideologie mit ihrem Opferkult, in dem sich Todessehnsucht und Mordlust überblenden, dieses ganze widerliche Amalgam der Gewalt jagt mir infernalische Angst ein.

Zorn und Angst unterwandern unser Vertrauen in andere

Zur Angst gesellt sich bald der Zorn. Aber das macht es nicht besser. Zorn auf die salafistischen Ideologen, die diese Erzählung aus Tod und Zerstörung so metaphysisch überhöht haben, dass junge Menschen an sie glauben (oder glauben wollen), auf die dschihadistischen Rekrutierer, die mit ihren Filmen, ihrer Poesie, ihrer Ansprache, ihrem Geld tatsächlich junge Europäer anlocken und aufs Töten programmieren, Zorn auf diejenigen, die ihnen folgen, die eine freie Gesellschaft offensichtlich überfordert, in der sie selbst darüber nachdenken müssen, wie sie leben wollen, die eine machistische Ordnung der Gewalt für einen Ausweg aus ihrem trostlosen und anscheinend sexfreien Leben halten, überhaupt: Zorn auf dieses ekelerregende Phantasma der wartenden Jungfrauen als Belohnung fürs Morden (als sei eine Frau ein militärischer Orden, der ans Revers geheftet wird), Zorn auch auf die hofierten Höfe in Saudi-Arabien oder Katar, die zugelassen haben, was sich nun weltweit entlädt, Zorn schließlich auch auf den Beitrag, den unsere eigenen Gesellschaften dazu geleistet haben, dass es im Leben dieser Menschen ein soziales Vakuum gibt, in das sich die Ideologen einnisten können.

Aber im Zorn wie in der Angst erfüllt sich nur die Absicht des Terrors. Und wer will schon zu dem deformiert werden, was Terroristen wollen, das man sei? Zorn wie Angst beschädigen jeden. Sie rauben einem die Mündigkeit, frei zu denken und zu leben. Im Zorn wie in der Angst werden wir den Terroristen nur ähnlicher. Zorn wie Angst unterwandern unser Vertrauen in andere, ohne das eine Gesellschaft nicht existieren kann. Es lässt sich nicht leben in einer Welt, in der permanent misstraut wird, in der permanent damit gerechnet wird, belogen oder verletzt zu werden. "Wenn man sich nicht darauf verlassen kann, dass der andere einen nicht umbringt", schrieb der britische Philosoph Bernard Williams in "Wahrheit und Wahrhaftigkeit", "kann man sich erst recht nicht darauf verlassen, dass er sein Wort hält." Vielleicht ist es das, was ich mir am wenigsten nehmen lassen will: das Vertrauen in andere. Die grundsätzliche Unterstellung, dass mich der oder die andere nicht verachtet, nicht missbraucht, nicht verletzt. Vielleicht auch, weil ich es mir nur schwerlich abgewöhnen könnte: die offene Zugewandtheit anderen gegenüber, ganz gleich wie ähnlich oder verschieden sie zu mir sind.

Bleiben also die Trauer und die düstere Einsicht, dass die privilegierten Zeiten vorbei sind, in denen die Gewalt anderswo, weit weg, stattfand, in denen Kriege immer ferne Kriege waren, in die höchstens Soldaten entsandt wurden, die sich ansonsten aber aus der Distanz der Abendnachrichten am Bildschirm betrachten ließen. Der Terror wird so schnell nicht aufhören. Die Gewalt wird andauern. Aber deswegen gewöhnt man sich doch nicht daran. Das wissen alle, die schon einmal jemanden durch einen Terroranschlag verloren haben. Terroristische Gewalt wird nie normal. Nicht in Bagdad oder Dhaka, nicht in Istanbul oder Beirut, nicht in Brüssel oder Paris. Sie wird nur häufiger.

Es mag leicht sein, nun den belgischen Sicherheitsdiensten Inkompetenz nachzuweisen. Im Nachhinein erscheint immer offensichtlich, welche Spuren verfolgt, welche Personen überwacht, welche Wohnungen durchsucht hätten werden sollen. Aber es ist unrealistisch anzunehmen, jeder potenzielle Gefährder, jeder sich radikalisierende Kleinkriminelle, jeder Ein- oder Ausreisende ließe sich umfassend überwachen. Daten allein, vor allem in diesen gigantischen Mengen, reichen ja nicht aus. Daten müssen auch geordnet und gedeutet werden. Nein, alle Maßnahmen, die jetzt wieder eilig beschlossen werden, laufen nur Gefahr, eben die Werte zu unterwandern, die sie angeblich schützen wollen. Nicht der die Grundrechte aushebelnde Ausnahmezustand ist die souveränste Antwort auf den Terror, sondern der stoische Rechtsstaat, der die Freiheitsrechte auch dann garantiert, wenn es ungemütlich wird.

Die historische Erfahrung des Terrors lehrt, dass die Gewalt erst dann nachlässt, wenn es keine Claqueure mehr gibt, wenn das geifernde, applaudierende Publikum verstummt. Erst wenn es keine Anerkennung mehr gibt für die Gewalt, keinen obszönen Ruhm, wenn der Terror nicht mehr als Eintrittskarte zu einer Gemeinschaft funktioniert, wird der Sog nachlassen. Erst wenn die Sympathisanten der Gewalt ihren Zuspruch verweigern, verliert sie auch ihre symbolische Macht. Dazu gehört auch, dass diejenigen, die von Muslimen nichts anderes als Terror erwarten, sich befragen, wozu ihr Generalverdacht führt. Die Missachtung von Muslimen im Kollektiv fördert eben jene soziale Ausgrenzung, derer sich die Radikalen anschließend bedienen. Insofern wird es auch darauf ankommen, ob wir in Europa es schaffen, die attraktivere Erzählung, die inklusivere Gemeinschaft, die sinnvollere Utopie, das gerechtere, gute Leben anzubieten. Wem sein eigenes Leben wertvoll ist, der wird es nicht mordend wegwerfen wollen.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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