Kolumne:Staatsfunk

Frei

In ihrer Agitation gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk scheuen manche Verleger nicht einmal die begriffliche Nähe zur AfD. Das schadet den Medien insgesamt.

Von Norbert Frei

Joseph Goebbels' "Wollt Ihr den totalen Krieg?" klang noch allen in den Ohren, und jeder wusste, was Staatsfunk und Lügenpresse angerichtet hatten, als die Alliierten im Sommer 1945 begannen, das deutsche Mediensystem neu zu ordnen. Ein nicht staatlicher, aber auch vor dem Zugriff finanzstarker Einzelner geschützter, mithin öffentlich-rechtlicher Rundfunk, dazu große, wirtschaftlich lebensfähige Tageszeitungen in der Hand von überzeugten Demokraten: Das war die Idee.

Eigens dafür abgestellte Besatzungsoffiziere planten diesen Neuanfang. Sie gingen auf die Suche nach Persönlichkeiten, die fachlich geeignet und möglichst unbelastet durch die Nazizeit gekommen waren. In München zum Beispiel war es Ernst Langendorf, ein in amerikanischer Uniform aus dem Exil zurückgekehrter Sozialdemokrat, der "Lizenzträger" für die neu zu gründende Süddeutsche Zeitung auswählte. Aufs Ganze gesehen entwickelte sich in den drei Westzonen (im Unterschied zur sowjetischen Zone, wo die anfangs überall praktizierte politische Kontrolle sehr bald in ein neues Zensursystem mündete) erstaunlich rasch ein respektabler Zeitungs- und Rundfunkjournalismus, der seine Aufgabe ernst nahm: die postnationalsozialistischen Deutschen mit den Regeln der Demokratie vertraut zu machen - und die ebenfalls neu lizenzierten politischen Parteien mit den Regeln einer kritischen Öffentlichkeit.

Konrad Adenauer wünschte sich als Pressechef einst einen "demokratischen Goebbels"

Von 1949 an galt die "Generallizenz". Nun konnte jeder, der wollte, Verlage und Zeitungen gründen; auch die sogenannten Altverleger, die trotz des wachsenden Monopolanspruchs der NSDAP unter Hitler hatten weitermachen dürfen. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass die in den Besatzungsjahren entstandenen Blätter einen kaum einzuholenden Vorsprung hatten. Beim Rundfunk war die Sache noch eindeutiger: Hier hatten die Alliierten dafür gesorgt, dass die nach dem Vorbild der BBC geschaffenen öffentlich-rechtlichen Strukturen in Landesrundfunkgesetzen festgeschrieben wurden, gegen manche Widerstände aus der Politik und auch der für die Sendeanlagen einst zuständigen Post.

Als 1949 die Bundesrepublik ins Leben trat, ging das medienpolitische Tauziehen in neuer Besetzung weiter: Kanzler Adenauer, der sich als Pressechef der Bundesregierung eigentlich "'ne demokratische Goebbels" gewünscht hätte und nur handverlesene Korrespondenten zu "Teegesprächen" empfing, träumte von einem Regierungsradio, später von einem eigenen Fernsehsender. Aus beidem wurde nichts. Denn nicht nur pochten die Ministerpräsidenten der Länder auf ihre Rechte; als Hüter der nicht kommerziellen, einem besonderen Bildungsauftrag verpflichteten Rundfunkordnung erwies sich vor allem das Bundesverfassungsgericht. Seinem Urteil von 1961 ist es zu verdanken, dass anstelle einer ominösen, von Adenauer eingestielten "Deutschland-Fernsehen GmbH" das ZDF entstand, wiederum als Anstalt des öffentlichen Rechts.

Zugleich verhinderte das Fernseh-Urteil, dass die Zeitungsverleger - ihr größter Drängler war Axel Springer - auf dem lukrativen neuen Fernsehmarkt zum Zuge kamen. Ein Vierteljahrhundert und diverse Untersuchungskommissionen später allerdings sahen sich Konzerne wie Bertelsmann, Springer, Holtzbrinck und Burda am Ziel: Im Mai 1983 verkündete Kanzler Kohl, die von Karlsruhe nun auch mit Frequenzmangel nicht mehr abzuweisende Einführung von privatem Hörfunk und Fernsehen in der Bundesrepublik werde mehr Meinungsvielfalt bringen (und ihm selbst, so mag er gehofft haben, gewogenere Kanäle). Zum Entsetzen gerade auch vieler Konservativer zeigte sich jedoch alsbald die Einfalt und Derbheit der meisten Privatprogramme.

Spricht man heute mit ausländischen Kennern der deutschen Medienlandschaft, dann erfährt man, wie sehr wir um unsere öffentlich-rechtlichen Sender und zumal um deren vorzügliche Spartenkanäle beneidet werden, nicht zuletzt natürlich auch, Auflagenkrise hin oder her, um die großen Qualitätszeitungen. In den USA zum Beispiel hat es der Präsidentschaft Donald Trumps bedurft, ehe die New York Times den jahrelangen Rückgang ihrer gedruckten Auflage durch digitale Abos mehr als ausgleichen konnte. Einen solchen "Glücksfall" wird sich niemand wünschen, der für guten Journalismus eintritt.

Wer über letzteren in seiner Eigenschaft als Präsident des Bundesverbands der Deutschen Zeitungsverleger spricht, der sollte seine Worte wägen. Das gilt zumal, wenn er einem international agierenden Medienkonzern vorsteht, der sich aus dem Zeitungsgeschäft immer mehr zurückgezogen hat und sein Geld mittlerweile hauptsächlich in der Algorithmenwirtschaft des Internets verdient. Tatsächlich aber hat Mathias Döpfner, Vorstandschef der Axel Springer SE, unlängst das genaue Gegenteil getan: Mit Begriffen, die an das Vokabular der AfD erinnern, hat er der ARD den Krieg erklärt, weil sich deren Nachrichtenangebot im Netz nicht allein auf bewegte Bilder beschränkt. Die "Flut textbasierter Gratis-Angebote" der Öffentlich-Rechtlichen sei nichts anderes als "gebührenfinanzierte Staats-Presse". Unerwähnt ließ Döpfner freilich, dass sich auf den Online-Seiten fast aller großen Printmedien, namentlich auch auf Springers Welt/N24-Portal, regelmäßig Nachrichtenfilme finden - die Formatangleichung mithin aus beiden Richtungen erfolgt.

Döpfners Warnung vor einer "lebensbedrohlichen Schieflage" zulasten der Zeitungen mutet deshalb an wie eine Neuauflage der Kampfparolen des Verlegerverbands aus den Sechzigerjahren.

Dass er seinen Lobbyismus in einen demagogischen Irrealis kleidet, macht die Sache nicht besser: "Nur Staatsfernsehen und Staatspresse im Netz - das wäre eher etwas nach dem Geschmack von Nordkorea." Der ernsten, Presse und Rundfunk gleichermaßen tangierenden Krise des Qualitätsjournalismus, für den, wie Allensbach soeben ermittelt hat, zwei Drittel der Leser im Netz nach wie vor nichts bezahlen wollen, kommt man auf diese Weise nicht bei.

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