Kolumne:Selbstgefälliger Präsident

Seit einem halben Jahr tagt der "Ibiza-Ausschuss" mit seinen komplexen Themen und Aktenbergen voller kleiner und großer Skandale.

Von Cathrin Kahlweit

Seit einem halben Jahr tagt ein Untersuchungsausschuss des Parlaments in der Hofburg, wohin die Abgeordneten wegen des Umbaus ihres Ringstraßen-Prachtbaus übersiedelt sind; diese Woche wurde Halbzeitbilanz gezogen. Offiziell heißt er "Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Regierung", was eigentlich knackig genug ist, inoffiziell flapsig "Ibiza-Ausschuss", weil er in der Folge des Ibiza-Videos und des daraus resultierenden Auseinanderbrechens derr FPÖ-ÖVP-Regierung einberufen wurde.

Manche Parlamentarier nennen ihn aber auch, ziemlich verzweifelt, "Sobotka-Ausschuss", weil der Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka in seiner multiplen Rolle als Ausschuss-Vorsitzender, Zeuge, selbst ernannter Verfahrensrichter, ÖVP-Beschützer und manchmal auch Schläfer (unlängst ist er bei einer Befragung eingenickt) eine höchst dubiose Rolle spielt. Seriös und ethisch verantwortlich ist es schließlich nicht, wenn ein Ausschuss-Chef, der den Staat und das Parlament repräsentiert, in seiner Rolle als Vorsitzender eines ÖVP-nahen Vereins (Sobotka nennt ihn flott "Think-Tank") und als Dirigent eines niederösterreichischen Orchesters gleich doppelt in die Rolle eines Verteidigers von Praktiken gerät, die in fast jeder Ausschuss-Sitzung zum Thema werden: Spenden an parteinahe Vereine, Inserate und Gegengeschäfte, die enge Kooperation der Politik mit Lobbyisten und Wirtschaftsunternehmen bis hin zu bestellten Gesetzen und bestellten Vorstands- und Aufsichtsratsmandaten - all das wurde und wird offenbar nicht nur von vielen Regierungsmitgliedern der alten Koalition für normal, vor allem aber für nützlich gehalten. An Rücktritt denkt der selbstgefällige Herr Sobotka nicht.

Ich gehe, das gebe ich zu, viel zu selten in den Ausschuss, dabei lernt man dort ungeheuer viel darüber, wie das System Österreich funktioniert. Aber man muss schon eine Freundin langer Geschäftsordnungsdebatten sein und es aushalten, wenn Zeugen Mal um Mal die Aussage verweigern, Minister sich ahnungslos bis zur Dämlichkeit geben, Kabinettsmitarbeiter ihre politischen Aufstiege als Günstlinge von Parteifreunden und Firmenbossen als Eigenleistung darstellen, wenn Wirtschaftsführer alle Anwesenden mit ihrer Arroganz überfahren und andere sich mit fadenscheinigen Begründungen entschuldigen, wenn Beweismittel geschwärzt oder gar nicht geliefert werden und eine große, fleißige, unermüdliche Gruppe von Oppositions-Abgeordneten jeder Couleur, die ihren Job machen will - man kann es nicht anders sagen - veräppelt wird.

Zum Glück gibt es den Liveticker von einer kompetenten Standard-Kollegin und die TV-Berichte vom ORF und einer klugen Puls24-Redakteurin, es gibt Hintergrund- und Vorbereitungsgespräche. Die wirklich unglaublich gut eingearbeiteten und engagierten Abgeordneten Stephanie Krisper von den Neos und Jan Krainer von der SPÖ scheinen jede Akte, jede Seitenzahl, jeden Schlenker, jede Ausrede zu kennen. Sie sind dennoch zusehends frustriert, weil die Obstruktionspolitik der Regierenden so offensichtlich ist. Auch wenn sie, wie Krainer und Krisper sagen, das "System Kurz" studieren konnten: "Verfilzungen zwischen dem Glückspielkonzern Novomatic und der Politik" (Wir erinnern uns: Heinz-Christian Strache sagte auf Ibiza: "Novomatic zahlt alle"), "das mafiöse System" von Privatklinikbetreibern, die bei der Politik wirtschaftliche Vorteile und entsprechende Gesetze bestellten, die Schikanierung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Postenschacher, Machtmissbrauch. Krisper nennt das ein "Sittenbild Österreichs" und stellt fest, von Kurz und der ÖVP bekomme man "nichts umsonst". Regieren habe in Österreich immer mit Gier und Macht zu tun; nicht zuletzt deshalb ermittle in zahlreichen Fällen nun die Justiz - gegen FPÖ- und ÖVP-Akteure.

Der Ausschuss mit seinen komplexen Themen und Aktenbergen voller kleiner und großer Skandale, dem Österreichs an solche Dinge gewöhnte Bevölkerung mit gewissen Ermüdungserscheinungen begegnet, wird im kommenden Jahr weitergehen. Ich verspreche, ich werde häufiger hingehen. Die Opposition hat - nach dem ungekürzten Ibiza-Video - auch die Chatprotokolle zwischen Kurz und Strache im Visier. Es bleibt spannend, und vor allem: wichtig.

Diese Kolumne ist zuerst am 18. Dezember 2020 im Österreich-Newsletter erschienen.

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