Kolumne:Seifig

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Die Rede des AfD-Politikers Björn Höcke ist nicht einfach eine strategische Provokation, sondern ein menschenverachtendes Programm und eine Drohung gegen unsere Gesellschaft.

Von Carolin Emcke

Warum überhaupt auf diese Rede reagieren? Warum die 47.09 Minuten dauernde Aufzeichnung des Auftritts von Björn Höcke mit der berüchtigten Passage über das Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" anschauen? Warum der kalkulierten Einladung folgen und riskieren, zur Spielfigur einer revisionistischen Choreografie zu werden mit der vorgeschriebenen Abfolge aus rhetorischem Tabubruch, öffentlicher Empörung und lapidarer Gegen-Empörung (das sei ein mutwilliges Missverständnis). Wäre es nicht klüger, diesen Auftritt zu ignorieren und sich anderen Menschen zuzuwenden, solchen, die medial unterrepräsentiert bleiben, weil sie zu vernünftig, zu anständig oder zu repräsentativ für die Mehrheit der Gesellschaft sind? Das sieht nach dem klassischen Catch 22 aus, einer paradoxen Konstellation, bei der jede mögliche Handlung falsch ist.

Nicht der Antisemitismus soll tabuisiert werden, sondern die kritische Beschäftigung damit

Um das zu beantworten, muss man die Rede des Thüringer AfD-Vorsitzenden anschauen. Die ganze. Nicht nur einzelne Sätze. Vielleicht auch mehrmals. Weil sich mit der Zeit der eigene Fokus von den lauten, pathetischen Passagen zu den leisen, nüchternen verschiebt und so deutlich wird, dass es hier nicht um Tabubruch geht. Das ist auch keine Versuchsanordnung mehr, in der taktische Störungen des politischen Systems erprobt werden. Oder in der soziale Übereinkünfte darüber unterwandert werden, was sagbar sein sollte und was unsäglich, nur um diese Übereinkünfte kurz darauf mit gespielter Zivilität wieder zu bestätigen. Das ist keine punktuelle Provokation, das ist ein langfristiges Programm.

Die Rede folgt zunächst dem gewohnten neonationalistischen Erzähl-Schema: Erst lobt Höcke die Gastgeber für ihren "Mut", einen so "unbequemen Redner" einzuladen. Das Publikum, die "Spaziergänger" von Pegida, ja die Stadt Dresden insgesamt werden sodann zur Avantgarde einer historischen Bewegung erklärt, die sich der vorgeblich "staatsgefährdenden Politik der Alt-Parteien" entgegenstellten. Die Regierung sei keine Regierung mehr, sondern "zu einem Regime mutiert". Es ist eine Verfallsgeschichte, die die Folie bildet, vor der sich die eigene Position als legitimer Widerstand darstellen lässt. Der Staat solle nicht abgeschafft, sondern "geschützt" werden vor jenen, die ihn angeblich gefährden. Mehrmals verweist Höcke darauf, dass es "keine strukturelle", sondern eine "inhaltliche Fundamentalopposition" geben müsse. Mag sein, dass mit dieser Selbstbeschreibung schon potenzielle Zweifel an der Verfassungs-Konformität der AfD ausgeräumt werden sollen.

Und dann führt Höcke aus, was es vormals in ungetrübter Größe gegeben haben soll: "Unser einst weltweit beneideter sozialer Friede" sei unter anderem "durch den Import fremder Völkerschaften" bedroht, "unsere einst geachtete Armee" sei zu einer "durchgegenderten, multikulturalisierten Eingreiftruppe im Dienste der USA verkommen". Es ist nicht ganz klar, was er mit dem Verb "durchgendern" (er spricht das mit harten "g") meint und was eine "durchgegenderte" Eingreiftruppe sein soll. Noch unklarer ist, wann die Armee "hochgeachtet" war? Welche? Das Reichsheer? Die Wehrmacht? Das lässt sich nicht verstehen, solange nicht das "einst" bestimmt wird. Wann war dieses Vormals, an dem alles grandioser gewesen sein soll? Und schließlich: Wer ist dieses "wir", dem das "einst" angeblich gehörte?

Das völkische Wir, von dem hier die Rede ist, muss homogen (gewesen) sein, eines, das noch nicht "multikulturalisiert" oder "amerikanisiert" wurde, es muss ein irgendwie reines Wir (gewesen) sein, so rein, dass Höcke seine völkische Fantasie in der Metapher der "Seife" verdichtet: "Sie lösen unser liebes deutsches Vaterland auf wie ein Stück Seife unter einem lauwarmen Wasserstrahl". Sauber also, oder säubernd, das ist die Assoziation zum "deutschen Vaterland". Und es wird auch schnell deutlich, was diese "Seife" auflöst, was der Schmutz oder das "lauwarme Wasser" sein soll, das ihr angeblich zusetzt. Es ist die Erinnerung. Die Erinnerung an die Schoah. Sie wird in diesem Text nicht einmal benannt. Auschwitz, Bergen-Belsen, Dachau, das wird nicht ausgesprochen. Das Mahnmal in Berlin wird erwähnt. Sonst nichts. Als sei das, woran es gemahnt, die Wahrheit über die nationalsozialistischen Verbrechen, das Leid der Opfer, das neue Tabu. Als müsse geschwiegen werden über Schuld. Als sei diese nun unsäglich. Nicht der Antisemitismus soll tabuisiert werden, sondern die kritische Beschäftigung damit. Auf dass in den Schulen "die nachwachsende Generation mit den großen Vorbildern (...) in Berührung" gebracht werden kann. Die Erinnerung soll ungetrübt bleiben, gleichsam frei und sauber, ohne die belastende Reflexion über die historische Wirklichkeit.

Das ist im Einzelnen nicht neu. Dieses narzisstische Selbstmitleid, das die Erinnerung an die Schoah als lästige Störung der inneren Balance empfindet, das gab es schon früher und gibt es noch heute gelegentlich im bürgerlich-publizistischen Milieu. Was diese Rede so bemerkenswert macht, ist nicht der ethische Nihilismus, das stolze Ablehnen der Verantwortung für das historische Erbe, das sich eben nicht bereinigen lässt um das, was schuldhaft war, nicht die Ignoranz gegenüber all den Angeboten der Museen und Kultureinrichtungen, die mit moderner Didaktik Jugendlichen die Geschichte vermitteln, nicht die rassistische Fantasie eines seifig-sauberen Vaterlandes, sondern die unmaskierte, unstrategische Eindeutigkeit, mit der hier gedroht wird. Da ist die Passage, in der von der AfD als der "letzten evolutionären Chance für unser Vaterland" gesprochen wird. Wenn also die Partei nicht an die Macht kommt, wenn es keine Mehrheit für diese Partei gibt, was folgt dann? Gewalt? Und dann ist da das Publikum. Es jubelt, es buht, es fordert "Merkel nach Sibirien", es skandiert "Ausmisten" und meint keineswegs Unrat, sondern Menschen. Es scheint dankbar zu sein für den ideologischen Navigations-Assistenten, mit dessen Hilfe es seine irrlichternde Lust an der Aggression ausrichten und legitimieren kann. Immerhin: Hier liegen alle Absichten und Visionen wirklich offen. Nun lässt sich nichts mehr beschönigen.

© SZ vom 21.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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