Es muss nach einer dieser Pressekonferenzen von Donald Trump passiert sein, vielleicht war es auch in jener Nacht, in der er als Präsident eine seiner Wutreden vor Tausenden Anhängern hielt: Seither kriege ich das Wort Sanftmut nicht mehr aus dem Kopf. Trump zeigt das exakte Gegenteil davon: Diese Aggression, die verbale und mimische Gewalt, mit der er seinen Machtanspruch an seine Anhänger bringt, sein Vorhaben, die westliche Welt nach seinen Vorstellungen zu verändern. Anhänger erkennen darin vermutlich Führungskraft, eine harte Hand, die sich durchzusetzen weiß.
Trumps Auftritte sehe ich mir möglichst live an, es ist fast eine Sucht. Einige fragen inzwischen, weshalb ich mir das antue. Ganz einfach: Ich muss mich jedes Mal aufs Neue vergewissern, dass es wirklich so gekommen ist. Diese aufwiegelnde Dreistigkeit ist nun der Ton des mächtigsten Amtsinhabers der Welt. Selten fallen mir Bibelzitate ein, aber kürzlich stieß ich auf diesen Satz aus der Bergpredigt, und fühlte ihn von der Gegenwart verraten: "Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben." Derzeit erben die Jähzornigen und Ausbruchswütigen.
Härte gegen sich selbst bedeutet auch zu wenig Sanftmut gegenüber anderen
Sie erben das Land demokratisch, doch das macht es nicht besser. Im Gegenteil. Wie groß wohl diese Armee der Zornmütigen ist und wie weit sie reicht? Man könnte meinen, die deutsche Politik bilde derzeit in weiten Teilen eine Ausnahme. Nicht jeder muss, wie die New York Times, die deutsche Kanzlerin zur Verteidigerin der westlichen Welt erklären, aber wenn in diesen Zeiten Politiker wie Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier regieren, einer wie Martin Schulz ein ernst zu nehmender Herausforderer ist in diesem Land, dann ist leichter zu verstehen, weshalb Barack Obamas letzte Reise als Präsident nach Deutschland führte. Deutschland kennt noch die Form der sanftmütigen Herrschaft. Deutschlands seriöse Politiker müssen nicht auf jeden verbalen Anschlag mit dem Gegenschlag reagieren. Sie vermögen es, Grenzen zu setzen, ohne sich jenen anzubiedern, die nach Machtdemonstrationen schreien.
Selbst Merkels Besuch bei Trump, wie sie da gelassen neben ihm saß und sich von einem verweigerten Handschlag nicht aus der Ruhe bringen ließ, wurde weltweit in sozialen Medien gefeiert. Trump wirke neben ihr wie ein Schuljunge, der sein Zimmer nicht aufgeräumt habe, hieß es. Steinmeiers Antrittsrede war bestimmt, er zeigte Haltung, ohne zu poltern. Doch spätestens seit Pegida montags anfing zu marschieren, haben sich auch die Menschen hierzulande an das Grelle, Respektlose und Erniedrigende als Alltagsphänomen mit Nachrichtenwert gewöhnt. Jeder Terroranschlag der vergangenen Jahre wurde schamlos missbraucht, um aus der Verletzbarkeit des Menschen politisch Kapital zu schlagen. Bisweilen sieht es so aus, als könnte es nur schlimmer werden.
Sanftmut ist kein Wort, das in den Wertedebatten einen gesicherten Platz hätte. Es ist leider auch kein Wort mehr, das mit Stärke in Verbindung gebracht wird. Marc Aurel, römischer Kaiser und Philosoph, definierte den Tapferen noch so: "Nicht derjenige ist tapfer, der sich Ausbrüchen des Zornes überlässt, sondern derjenige, der Milde und Sanftmut besitzt." Mag sein, dass die Sehnsucht nach Sanftmut im öffentlichen Raum ein Zeichen persönlicher Ermüdung ist. Vielleicht ist der Mangel an Sanftmut jedoch auch eine gesellschaftliche Erschöpfungserscheinung.
Es wird oft so getan, als sei das Grobe und Ungehemmte durch die Kommentarzeilen der Zeitungsportale oder die sozialen Medien in die Öffentlichkeit getreten. In Wirklichkeit setzt es viel früher ein. Es beginnt mit den maßlosen Forderungen einer Gesellschaft an den Einzelnen. Eine Gesellschaft, die bei Leistung auf Gemeinschaft macht, bei ersten Anzeichen von Verletzbarkeit jedoch die Solidarität nicht überstrapazieren möchte. Es beginnt bei Kindern, die bereits im Bauch der Mutter optimiert werden, um ihr bestmögliches Selbst zu werden - als wären sie es nicht schon. Es steckt eine Brutalität in der ständigen Forderung nach Nützlichkeit. Der Einzelne hat sich seinen Wert und somit seinen Platz hart zu erkämpfen. Dieser Platz, einmal erlangt, ist uns jedoch nicht sicher, er verlangt den Non-Stop-Modus der Effizienz; und so fürchten wir jene, die kommen, obwohl wir schrumpfen.
Es scheint zu wenig Platz zu geben für die vielen Erfolgsgeschichten, die Individuen von heute sich zu erträumen gelernt haben. Einfach gesprochen: Man schenkt sich nichts mehr. Das ist im Alltag spürbar, auf den Straßen, es ist keine Eigenheit der digitalen Welt. In den vergangenen Jahrzehnten wurde dem Einzelnen immer mehr abverlangt. Vieles davon ist nur durch Härte gegen sich selbst zu erreichen. Härte gegen sich selbst, das bedeutet auch zu wenig Sanftmut für die anderen. Es ist eine Lose-Lose-Situation der Einzelnen gegenüber den anderen Einzelnen, mit denen sie verbunden sein könnten. Diese Vereinzelung hat zu einer Verhärtung geführt. Über die Verrohung der Gesellschaft wird viel gesprochen. Es werden Strategien der Gegenwehr entwickelt. Im Internet nennt sich dies "Counter Speech". Man feiert die digital Schlagfertigen, die hassende Trolle mattsetzen können. Doch auch hier feilt man an seinem Können, um es besser zu können, um den anderen zu besiegen. Für immer mehr Menschen heute ist dabei der Sanftmütige dem Zornmütigen unterlegen. Man muss nur "Der Fremde in uns" gelesen haben, das Buch des Geschwister-Scholl-Preisträgers Arno Grün, um die Hoffnungen jener, die auf einen Herrscher wie Trump setzen, verstehen zu können. Um die Furcht vor den Schwachen zu verstehen, die schon morgen wir selbst sein könnten.
Als Trump die Wahl gewann, fragten viele verzweifelt: Wie erkläre ich nun meinem Kind, dass all das, was ich ihm von klein auf untersagt habe - Abwerten, Verbalattacken, Erniedrigung - nun die rhetorischen Register des mächtigsten Mannes der Welt sind? Sanftmut ist ein Wort, das man so sprechen kann, wie es sich anfühlt. Man könnte anfangen damit, es wieder in die Welt zu tragen. Als sanftmütige Herrschaft. Als Tonlage. Als Wert.