Einwanderung:Die Frage "Woher kommst du?" ist nicht ungehörig

Einwanderung: Hinter jeder Geschichte eines Eingewanderten stecken Träume, Hoffnungen, Enttäuschungen - Menschen eben.

Hinter jeder Geschichte eines Eingewanderten stecken Träume, Hoffnungen, Enttäuschungen - Menschen eben.

(Foto: Ben White / Unsplash)

Viele Menschen mit Migrationshintergrund empfinden es als ausgrenzend, nach ihrer Herkunft gefragt zu werden. Dabei zeigt die Frage auf, wie vielfältig Deutschland längst geworden ist.

Kolumne von Jagoda Marinić

Nach einer Veranstaltung kam neulich ein Zuhörer zu mir und gestand, er sei irritiert davon gewesen, dass ich über meine kroatische Herkunft gesprochen hätte. In letzter Zeit habe er oft gehört, er solle nicht "Woher kommst du?" fragen. Ich antwortete ihm: "Ja, manche empfinden das als ausgrenzend. Andere jedoch nicht."

Zu diesen anderen gehöre ich. Ich verstehe nicht mehr, wie viele mühevolle Schleifen dieser sogenannte Integrationsdiskurs noch drehen möchte. Jetzt heißt es plötzlich, auf die Frage "Woher kommst du?" sollte ich antworten: aus der schwäbischen Provinz. Irgendeiner deutschen Stadt. Dabei weiß jeder, die Frage hinter dieser Frage lautet, wie mein Name in dieses Land eingewandert ist. Was ist die Geschichte zu diesem Namen in Deutschland. Natürlich nervt es einen, wenn die eigenen Äußerlichkeiten für andere ein Merkmal sind, das verrät: Du gehörst nicht dazu. Doch man könnte es auch so verstehen, dass hier einer fragt: "Erzähl mir mehr, denn du gehörst jetzt dazu." Das Erzählen dieser Geschichte ist vielmehr der Beweis, wie sehr sich das Deutsche verändert hat. Es reicht eben nicht mehr, als Antwort Bottrop zu sagen. Es sind nicht mehr nur die Hugenotten, es sind jetzt auch die Türken, Jugoslawen, Griechen, Syrer und Afghanen.

Ein Einwanderungsland, wie Deutschland es ist, birgt eine Vielzahl von Geschichten in sich. Hinter jeder Geschichte stecken Träume, Hoffnungen, Enttäuschungen, Menschen eben. Was für ein kollektives Verstummen, was für ein Verschweigen der Einwanderungsgesellschaft, wie Deutschland eine ist, wenn die Geschichten nun alle aus Bottrop kämen.

Jahrzehntelang war da ein Mangel im Diskurs: Es fehlten die Stimmen der Eingewanderten. Sie fehlten in der Literatur, den Medien, der Musik. Jetzt, da endlich die Kinder von Einwanderern gebildet genug sind, Teil dieser Gesellschaft sind, stellen sich viele hin und meinen, auf die eigenen Herkunft angesprochen zu werden, wäre der Beweis dafür, dass man nicht mehr dazugehöre. Es sei ausgrenzend, über andere Kulturen sprechen zu müssen, die einen auch geprägt haben, über andere Regionen der Welt. Man solle jetzt so tun, als gäbe es keine Unterschiede. Dabei fordern viele gleichzeitig Identitätspolitik, eine Politik, die Differenzen wahrnimmt und notfalls Maßnahmen trifft, Benachteiligungen entgegenzuwirken.

Gleichheit zu behaupten verleugnet Realitäten

Dieser Wunsch vieler Menschen mit hybriden Biografien, endlich in Ruhe gelassen zu werden mit der Frage, woher sie kommen, ist eine ungewollte Absage an die Vielfalt in sich selbst und somit an die Vielfalt dieser Einwanderungsgesellschaft. Es ist seltsam, einerseits Vielfalt zu fordern, doch andererseits von der Vielfalt im eigenen Leben nicht mehr erzählen zu wollen. Wenn viele nun meinen, sie möchten nicht mehr darüber sprechen, dann letztlich, weil der Blick der Mehrheitsgesellschaft gesiegt hat: Sie wollen nicht mehr über das sprechen, was für andere "fremd" ist. Sie assimilieren sich vorauseilend selbst. Ich bin nicht mehr oder weniger deutsch, nur weil mein Name, meine Haut oder mein Akzent erzählen, dass jemand aus meiner Familie nach Deutschland eingewandert ist. Je mehr wir die Bindestrich-Identitäten in den Alltag einbinden, desto selbstverständlicher wird die Einwanderungsgesellschaft sich selbst werden.

Es gibt in der US-Literatur über Rassismus das Konzept der Farbenblindheit: "color blind". Insbesondere Vertreter der Linken meinen es besonders gut und möchten Differenzen nicht wahrhaben oder sehen. Wir sind gleich - das möchte dieser Ansatz behaupten. Doch Gleichheit zu behaupten, wo es Differenzen gibt, löscht die Erfahrungen der Minderheiten aus. Es ist befremdlich, wenn nun in Deutschland viele Minderheiten eben genau diese Farbenblindheit einfordern, um sich nicht ausgegrenzt zu fühlen.

Ich gebe offen zu, nach 20 Jahren Integrationsdebatten habe ich Ermüdungserscheinungen. Wann haben wir sie satt, die Verkrampftheit im Umgang miteinander? Natürlich, es wäre eine einfache Regel für die Einwanderungsgesellschaft: "Verhalte dich bitte so, als ob die Eltern deines Gegenübers nicht eingewandert wären!" Ein solcher Imperativ kann den zwischenmenschlichen Umgang nur belasten. Verneinung und Verunsicherung. Es geht nicht darum, sich festschreiben zu lassen auf die eigene Herkunft, es geht darum, dass nur durch ein Geschichtsbewusstsein der Nachfahren von Eingewanderten für die eigenen Biografien Deutschland lernen kann, wie sehr es längst Einwanderungsland ist.

Wenn ich diese Haltung nun zum Ausdruck bringe, dann sicher nicht, um all jenen in den Rücken zu fallen, die nicht auf ihre Herkunft angesprochen werden möchten, sondern nur, um zu bedenken zu geben, dass wir diese Forderungen in einem Land stellen, das seine Erinnerungskultur noch kaum auf die Einwanderung ausgeweitet hat. Es gibt noch nicht einmal das lange geforderte Einwanderungsmuseum in Deutschland. Das Leitbild für eine Einwanderungsgesellschaft war politisch nicht gewollt, geschweige denn, im Zuge der Feiern zum 70-jährigen Bestehen des Grundgesetzes laut zu fordern, einen neuen Satz hineinzuschreiben: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Die Furcht vor der Selbstverständlichkeit der Einwanderung ist so groß, dass es wichtiger wäre, die Debatten mit der Vielfalt der Einwanderung zu konfrontieren, statt den Menschen diese Geschichten zu ersparen und sie so im Bereich des Exotischen zu halten.

"Geschichte ist wichtig. Wenn du nichts über Geschichte weißt, dann ist es, als wärst du erst gestern geboren worden." Das ist ein großartiger Satz des Historikers Howard Zinn. Er begründet diesen Satz damit, dass nur der Geschichtsbewusste den Mächtigen die Stirn zu bieten weiß. Es gibt viel zu tun in diesem Einwanderungsland. Wenn die Kinder der Nachfahren nicht anfangen, die Vielfalt stärker statt weniger einzubringen, helfen sie ungewollt jenen, die sich gegen Vielfalt aussprechen. Man muss diese Geschichten ans Licht bringen. Sie sind nicht die Abweichung von der Norm. Sie werden immer mehr zur Regel. Menschen haben mehr als eine Herkunft. Sie haben mehr als einen Ort, an dem sie Einheimische sind.

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Kolumne von Jagoda Marinić

Jagoda Marinić, Jahrgang 1977, ist Schriftstellerin, Kulturmanagerin und Journalistin. Auf Twitter unter @jagodamarinic. Sie studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Anglistik an der Universität Heidelberg. In ihrem aktuellen Debattenbuch "Sheroes" plädiert sie für ein lebhaftes Gespräch unter den Geschlechtern. Alle Kolumnen von ihr finden Sie hier.

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