Das Schwimmen in öffentlichen Bädern ist mir ein Graus. Es beginnt schon damit, dass mir, als ausgewiesenem Fröstel, das Wasser zu kalt ist. Auch kann ich es nicht leiden, ordentlich in Bahnen zu schwimmen wie ein braves Versuchstier in einem abgesteckten Parcours. Ich bin immer entweder zu langsam oder zu schnell, drohe wahlweise mit einem Rentner zusammenzustoßen oder mich von einem Olympioniken-Avatar überholen zu lassen. Auch das Prinzip des aufsehenden Bademeisters bereitet mir nicht wirklich Freude. Kaum im Wasser, sehne ich den Moment herbei, da ich wieder draußen bin. Eigentlich gefällt mir nur der anhaltende Geruch von Chlor.
Obgleich meine Vorstellung des guten Lebens also definitiv kein Schwimmen in öffentlichen Bädern enthält, bin ich vehement dafür, sie mit staatlichen Mitteln zu fördern. Ich werde das Angebot nicht wahrnehmen, aber ich finde unbedingt richtig, dass ich es durch meine Steuern mitfinanziere. Mir leuchten Schwimmbäder als öffentliche Räume ein, die manche lieben, weil sie dort einem einsamen Leben entkommen und andere Menschen kennenlernen können, andere wiederum, weil sie dort günstig trainieren und ihre Kondition verbessern können, manche gehen schwimmen, weil sie dort gut nachdenken können, andere, weil sie endlich aufhören wollen zu denken.
Etwas muss mir nicht gefallen, damit ich es für wertvoll halte, etwas muss nicht meinen individuellen Neigungen entsprechen, damit ich es öffentlich wollen kann, und ich erwarte von einem Staat nicht, dass er nur das fördert, was mit meinen partikularen Bedürfnissen oder denen meiner Lebenswelt korrespondiert. Ich erwarte stattdessen, dass jene Infrastrukturen erhalten werden, die das soziale Miteinander aller bedingen und ermöglichen. Orte des Lernens und der Fürsorge, Instrumente des Transports und der Vernetzung, Institutionen der Information und demokratischen Willensbildung.
Am 4. März wird in der Schweiz über die sogenannte No-Billag-Initiative per Volksentscheid abgestimmt. Also über die Frage, ob in die Bundesverfassung ein Passus aufgenommen werden soll, der es dem Staat untersagen würde, Empfangsgebühren zu erheben oder Radio- und Fernsehsender zu subventionieren. Die Billag ist die schweizerische Erhebungsstelle für die Beiträge. Würde die Vorlage angenommen, wäre es das Ende der Finanzierung der 17 Radio- und sieben Fernsehstationen, die zusammen die Radio- und Fernsehgesellschaft der Schweiz (SRG) ausmachen - und damit das Ende der SRG und ihrer 6000 Mitarbeiter.
Sich für etwas einzusetzen, das der Res publica dient, ist nachhaltiges Eigeninteresse
Unter den vielen schwachen Argumenten der Gegner der Gebühren ist jenes, persönlich nutze einem das Angebot nichts, eines der schwächsten. Die Haltung, nur das finanzieren zu wollen, was auch den eigenen Geschmack oder die eigene soziale Gruppe spiegelt, hat etwas erstaunlich Regressives. Als ob Menschen, die keine Kinder haben, sich weigern würden, öffentliche Kindergärten oder Schulen zu finanzieren, weil sie glauben, sie profitierten nicht davon, oder Menschen, die sehen können, keine Brailleschrift an Ampeln akzeptieren würden. Das ist zu kurz gesprungener Egoismus. Sich für etwas einzusetzen, das der Res publica dient, ist kein elitärer Altruismus, sondern schlicht nachhaltiges Eigeninteresse.
Nun ließe sich einwenden, die für eine Demokratie existenziellen Informationen würden auch von privaten Sendern und vom Pay-TV angeboten, der freie Markt könne regeln, welche Formate gewünscht und gebraucht würden. Das ist berechtigt. Aber wie jüngst ausgerechnet der notorische Kritiker des öffentlich-rechtlichen Systems, der Schweizer Journalist Roger Schawinski, kommentierte: Die Werbeeinnahmen, die es für einen privaten Anbieter bräuchte, um ein hochwertiges Informationsprogramm zu gestalten, seien kaum zu erzielen. Abonnement-TV wiederum sei ökonomisch nur für Sport, Film und Pornos erfolgreich.
Rechte Bewegungen und Parteien sehnen sich nach sozialer und kultureller Zersplitterung
Es sind nicht nur libertäre, sondern auch rechtsradikale Ambitionen, die eine Institution ausschalten wollen, die einem allgemeinen Gut dienen soll: der Möglichkeit, sich zu informieren und sich über die gemeinsam geteilte Welt zu verständigen. Letztlich geht es nicht einmal darum, die Legitimität oder Qualität der öffentlich-rechtlichen Sender zu bezweifeln, sondern darum zu bestreiten, dass es das überhaupt geben kann: etwas allen Gemeinsames. Der radikale Angriff, den rechte Bewegungen und Parteien führen, entspringt der Sehnsucht nach sozialer und kultureller Zersplitterung. Deswegen wenden sie sich gegen alle jene, die eine gemeinsame Wirklichkeit vermitteln, die unterscheiden zwischen Belegen und Behaupten, Wissen und Vermuten, Kritisieren und Zensieren, Wahrheit und Dichtung, Aufklärung und Stenografie oder auch Journalismus und Lobbyismus.
Das "Unwort des Jahres" war 2014 "Lügenpresse". Im Jahr 2017 ist es "Alternative Fakten" - das ist kein Zufall, sondern Symptom eines Strukturwandels der Öffentlichkeit, der die Frage aufwirft, wie in offenen, demokratischen Gesellschaften Wissen (anstatt Desinformation) vermittelt werden kann. Die Monopolisierung der Distribution von Informationen durch Unternehmen wie Facebook, die intransparente Agitation von Lobbyorganisationen und Geheimdiensten - das ist die eigentliche Herausforderung. Öffentlich-rechtliche Sender gehören massiv kritisiert für ihre bürokratische Lethargie, ihr mitunter fahrlässig trashiges Programm, ihre voyeuristische Lust am populistischen Eklat, ihren Quoten-Fetischismus und ihre fehlende Diversität. Aber gäbe es sie nicht schon, müsste man sie erfinden. Ohne Institutionen, die der Allgemeinheit verpflichtet sind, die die Würde des Menschen zu achten haben, die Informationen prüfen und gewichten müssen, wäre die Auseinandersetzung um das, was gerecht, was begründbar, was universal gültig ist, schon verloren.