Kolumne:Freiheit

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(Foto: N/A)

Der deutsche Journalist Deniz Yücel wurde von der Polizei in Istanbul festgesetzt. Worum es jetzt geht, ist die Pressefreiheit, nicht der Migrationshintergrund Yücels.

Von Jagoda Marinic

Der amerikanisch-israelische Journalist Daniel Pearl wurde 2002 bei Recherchen für das Wall Street Journal in Pakistan ermordet. Nur wenige Tage nach seiner Entführung tauchte ein Video von seiner Enthauptung auf. Mariane Pearl, seine Frau, war damals im fünften Monat schwanger. Jedes Jahr halten berühmte Kollegen wie Larry King, Christiane Amanpour oder Bernard-Henri Lévy an der Universität Stanford, Pearls Alma Mater, eine Vorlesung zu Ehren des Verstorbenen. Das unbescheidene Ziel der Reihe ist es, Daniel Pearls Hingabe zu würdigen, sich bedingungslos für die Conditio Humana einzusetzen.

Vorige Woche hielt der mit dem PulitzerPreis ausgezeichnete Kolumnist Bret Stephens die Vorlesung. Er sprach über intellektuelle Integrität in Zeiten von Trump und der Zunahme autoritärer Herrschaft. Es sei die Pflicht eines jeden Schreibenden, die Dinge, die er vor sich sehe, beim Namen zu nennen, nicht gefallsüchtig oder gefällig zu sein. Schreiben, das bedeute, den klaren Blick auf die Geschehnisse zu verteidigen, das Gesehene nicht vom Wunschdenken trüben zu lassen. Schreiben, das heiße auch, mit aller Kraft des Wortes demokratische Institutionen zu verteidigen, allen voran die freie Presse. Bret Stephens schließt mit dem Appell: "Die Wahrheit zu sagen, ganz gleich, was das für unseren Einfluss oder unsere Beliebtheit bedeutet." Daniel Pearl habe für diese Werte sterben müssen, das sei sein Erbe. Die meisten müssten nicht, wie Daniel, ihr Leben dafür geben. Es gebe keine Entschuldigung mehr, nichts zu wagen.

Doch immer mehr Journalisten zahlen für dieses Wagnis mit ihrer Freiheit. Auch ein deutscher Journalist, der ganz anders auftritt als Daniel Pearl, hat genau das riskiert: Deniz Yücel schrieb über die Türkei. Er wertete die vorliegenden Informationen aus und blieb seinem Blick treu. Nun befindet Yücel sich in Istanbul in Polizeigewahrsam. Beweise gegen ihn wurden der Öffentlichkeit noch keine vorgelegt.

Bei einem sogenannten deutschen Journalisten wäre dies ein Angriff auf die Pressefreiheit und Punkt. Doch Yücel ist ein deutscher Journalist mit Doppelpass. Bei so einem lässt sich die ethnische Zugehörigkeit gleich mitdiskutieren, dachte sich ein Kollege und veröffentlichte einen entsprechenden Text. Das wirkt, als lauerten in Deutschland manche Meinungsmacher ständig vor einem Zehnmeterbrett, um bloß keine Gelegenheit für einen effektheischenden Rückwärtssalto in der Integrationsdebatte zu verpassen, als bekämen sie so die alte Deutungshoheit zurück. Deutschland gewährt derzeit dem türkischen Journalisten Can Dündar Asyl, weil man die Gefahr für ihn anerkennt; wenn jedoch ein in Deutschland Geborener in Gewahrsam genommen wird, muss er Diskussionen über sich ergehen lassen, ob er als deutscher Berichterstatter mit diesem Hintergrund nicht ewig Türke bleibt. In der Folge wird diskutiert, ob man Journalisten mit Migrationshintergrund herkunftsgerecht oder herkunftsunabhängig einsetzen sollte. Journalisten mit Migrationshintergrund beteuern, dass sie konsequent und kritisch reflektieren, ob sie auf das Türkeithema abonniert sind oder es selbst wählen. Verleger und Chefredakteure betonen, wie eigensinnig jene Mitarbeiter seien, die ihre Teams divers machen.

Türkisch ließe sich durch griechisch, italienisch, marokkanisch, bosnisch oder anderes ersetzen. Französisch und dänisch verliefe wohl eher diskussionsarm. Im 21. Jahrhundert, sechzig Jahre nachdem Millionen von Gastarbeitern die Erfolgsgeschichte Deutschlands mitgeschrieben haben, soll man sich als Nachfahre von Einwanderern immer noch fremd finden lassen. Für manche soll die ethnische Herkunft der Einwandererkinder Marker und Makel bleiben. Und wenn Nachfahren der zweiten und dritten Generation es schon schaffen, sich vorbildlich zu integrieren, dann bitte ohne dauernde Bezüge zur Herkunftskultur. Einfach so aus dem Land der Eltern berichten und auch noch die Landessprache des Einsatzortes perfekt sprechen können? Die Makel der ehemaligen Schmuddelkinder möchte man nicht plötzlich in Privilegien verwandelt sehen.

Es ist eine deutsche Obsession, die Qualität eines Textes mit der Herkunft des Autors zu verbinden

Es gebe nichts Langweiligeres als Menschen mit Migrationshintergrund, die über ihr Herkunftsland schreiben, war diese Woche wieder zu lesen. Dabei ist Deutschland das Herkunftsland der Kinder von Einwanderern. Ihr zweites Land kennen sie meist schlechter, aber viele kennen es gut. Wenn ein Deutscher ohne Migrationshintergrund interessant über Deutschland schreiben kann, dann kann das auch ein Deutscher mit Migrationshintergrund. Genauso, wie es ein Ausländer kann. Oder ein Auslandskorrespondent. Die hartnäckige Verknüpfung von der Qualität des Schreibens und der Herkunft des Schreibenden ist eine deutsche Obsession geworden.

Nur weil meine Eltern aus einem anderen Land stammen, und dieses Land auch zu meinem Leben gehört, werde ich mir im 21. Jahrhundert nicht mein Schreiben von den Migrationshintergrundlosen supervisieren lassen. Deniz Yücel hält es offenbar ähnlich. Solange keine anderen Beweise gegen ihn vorliegen, ist das Thema, das sein Schicksal aufwirft, die Pressefreiheit. Aufgebracht wurde jedoch, inmitten dieser schwierigen Situation, sein Migrationshintergrund. Das ist der Makel so mancher Intellektueller hierzulande: Sie meinen, sie könnten die Identität der zweiten und dritten Generation zum Thema machen, wann und wo es ihnen passt.

Daniel Pearls Doppelpass war bei den Kollegen in den USA damals kein Thema. Sein Idealismus war Thema, sein Anspruch. Kaum einer hätte Pearls Mut mit Leicht- oder Eigensinn verwechselt. Vielleicht verliefe so eine Diskussion in den USA von heute anders. Auch deshalb richtet sich Bret Stephens Appell, die intellektuelle Integrität zu verteidigen, an alle: sich nicht dazu verführen lassen, über das zu reden, was nicht auf der Agenda steht, sich nicht diktieren lassen, wann über Loyalität und Doppelpass, Identität und Herkunft zu schreiben ist oder nicht. Schon gar nicht, wenn es um das freie Wort und die Freiheit von Menschen geht.

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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