Süddeutsche Zeitung

Kolumne:Corona-Chaos

Wie die Bundesregierung in der Bekämpfung der Pandemie das Vertrauen vieler Menschen leichtfertig verspielt.

Von Felix Haselsteiner

Fangen wir mit einer kleinen guten Nachricht aus dieser Woche an: Österreich hat seinen Humor behalten. Während in Deutschland die "Gesellschaft für deutsche Sprache" sich für die humorlose Variante entschied und "Corona-Pandemie" zum Wort des Jahres 2020 kürte, feierte in Österreich der Babyelefant ein erneutes Comeback: Er ist nun nicht mehr nur Maskottchen des Landes mit der fraglichen Pandemie-Bekämpfung, sondern auch Titelträger "Österreichisches Wort des Jahres 2020". (Lesen Sie hier mehr dazu.) Herzliche Gratulation an den kleinen Kerl mit dem Rüssel, der im Frühjahr eine witzige Idee war, mittlerweile aber das animalische Emblem für die Hilflosigkeit der Bundesregierung ist.

Die Reihe der negativen Schlagzeilen war in den vergangenen Tagen derart beeindruckend, dass man fast nicht mehr hinterherkam mit dem Kopfschütteln. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) blamierte sich mit ihrer Webseite "Kaufhaus Österreich", Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP), die im März die Wiener Bundesgärten wegen der Ansteckungsgefahr zugesperrt ließ, mit ihrer durchsichtigen Menschen-brauchen-frische-Luft-Argumentation für den Start der Skisaison. Spitzenreiter im Kreise der Enttäuschungen war die Organisation der Massentests, die Bundeskanzler Sebastian Kurz vor einigen Wochen als ultimativen Hoffnungsschimmer angekündigt hatte. Wegen eines Datenleaks, bei dem höchst sensible persönliche Daten an Dritte flossen, musste die Anmeldeplattform für einige Stunden abgeschaltet werden.

Bei der Massentestung, die an diesem Freitag in Wien, Vorarlberg und Tirol begonnen hat, kommt es ja vor allem auf das Vertrauen der Testpersonen in das Verfahren an. Die Fehler bei der Vorbereitung werden wohl nicht unbedingt dazu beigetragen haben, die Teilnehmerzahl in die Höhe zu treiben. Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) sprach angesichts der Pannen von "keiner überraschenden Entwicklung". Wie so oft werde vom Bund viel angekündigt, nichts funktioniere. Fest steht: Die Testergebnisse sind noch nicht da, das Chaos aber schon.

Besonders unter Druck steht ein weiteres Mal das Gesundheitsministerium um Rudolf Anschober von den Grünen. Seit dem Frühjahr häufen sich die schlecht gemanagten Situationen. Zum Beispiel die Einführung der Corona-Ampel im Sommer oder die Verwirrung um die Corona-Verordnungen im Herbst. Nun mehren sich die Meldungen über massive Ausbrüche und viele Tote in Senioren- und Pflegeheimen.

Wenn es allerdings darum geht, Fehler mit fadenscheinigen Argumenten zu erklären, ist Kanzler Kurz nicht nur österreichischer, sondern vielleicht sogar internationaler Meister. Diese Woche packte er die ultimative Keule aus, die in Österreich immer zum Einsatz kommt, wenn alle Stricke reißen. Oder, wie meine Kollegin Marija Barišić kommentiert: "Wenn in Österreich etwas nicht funktioniert, kann man beginnen, von zehn herunterzuzählen - und bevor man bei fünf ankommt, sagt's meist schon der erste Politiker: ,Die Ausländer waren's'". Konkret sagte der Kanzler, Ende des Sommers hätten "vor allem Personen mit Wurzeln am Balkan und der Türkei das Virus nach Österreich geschleppt".

Es ist traurig, dass er das Versagen der eigenen Regierung auf die Nationalität von Reiserückkehrern schieben will, auch wenn er im Interview mit Armin Wolf in der Zeit im Bild 2 am Mittwoch noch versuchte zu retten, was längst nicht mehr zu retten war. Vielleicht ist es sogar der Tiefpunkt in einem Jahr, das für die Politiker und ihre Ministerien selbstverständlich herausfordernd war - in dem sie aber das Vertrauen vieler in Österreich lebender Menschen, das man lange Zeit in sie gesetzt hatte, leichtfertig verspielt haben.

Diese Kolumne ist zuerst am 4. Dezember 2020 im Österreich-Newsletter erschienen.

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SZ vom 05.12.2020
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