Kolumne:Bierlein hinter der Bühne

Von der Nonchalance und Parkettsicherheit der Bundeskanzlerin bei einer Theaterpremiere voll Gehuste, Geschnäuze und Geklingele.

Von David Pfeifer

Kürzlich habe ich der Bundeskanzlerin die Hand geschüttelt. Da sie nicht mehr so lange im Amt sein wird, schlagen ihr jetzt schon vornostalgische Sympathien entgegen. Immerhin war sie die erste Frau in diesem Amt, und man weiß ja, wie die Alternative aussieht. Also freut man sich über die Zeit, die man noch mit ihr hat. Zumindest ging es mir so, als ich Brigitte Bierlein zum ersten und vermutlich auch letzten Mal die Hand gegeben habe und dachte: "Kann die nicht noch ein bisschen bleiben?"

Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Kanzlerin seit 14 Jahren Angela Merkel heißt, wechselte der Posten in Österreich in jüngerer Zeit häufig. Der sehr junge Altkanzler Sebastian Kurz wird bald wieder der Neukanzler sein, und dass er sich nach einer Premiere im Burgtheater hinter die Bühne begibt, um dem Intendanten und Regisseur Martin Kušej sowie dem Ensemble zu gratulieren, ist schwer vorstellbar. Die Umgebung wäre zu fremd.

"Die Hermannsschlacht" war die erste Inszenierung, die Kušej selber auf jene Bühne gebracht hat, deren Direktor er seit diesem Sommer ist. Für eine Reportage, die im Frühjahr im SZ-Magazin erscheinen soll, war ich in jüngerer Zeit häufig in Wien, um Martin Kušej bei der Arbeit zuzusehen. Deswegen habe ich "Die Hermannsschlacht" drei Mal an drei aufeinanderfolgenden Tagen gesehen, die letzte Durchlaufprobe, die Generalprobe und die Premiere Ende November. Das hört sich vielleicht nach Pfahlhocken für Bildungsbürger an, doch ich fand es unerwartet fantastisch, weil sich mit jedem Mal wieder etwas verschoben, verdichtet und verändert hat. Weil ich gut im Thema war (zur Vorbereitung hatte ich das Stück und Begleitliteratur gelesen), weil ich nicht nur mit dem Text, sondern auch mit der Interpretation vertraut war.

Die Generalprobe war der erhebendste Theaterbesuch, den ich bisher erleben durfte, und ich gehe zwar nicht andauernd, aber doch regelmäßig ins Theater, früher in Berlin, heute in München, am häufigsten aber in Wien, wo meine Eltern sich kennengelernt haben und heute wieder leben.

Die Premiere war dann eher durchwachsen, was allerdings nicht an den Schauspielern lag, sondern zu einem guten Teil am Publikum. Es wurde gehustet, als hätte ein Sanatorium einen Jahresausflug unternommen. Es klingelte nicht nur ein-, sondern zwei Mal ein Smartphone. Eines davon in der Handtasche der Frau direkt neben mir, die quälend lange brauchte, um die vielen glitzernden Schnallen ihrer Tasche aufzupopeln und es zum Schweigen zu bringen. Kurz darauf schnäuzte sich ein Mann in einer Loge sketchreif die Nase. Wenige Momente später stand ein Herr vor mir auf, um an sein (stumm geschaltetes) Smartphone ranzugehen. Er ging tatsächlich ran, schob sich durch die dritte Reihe nach draußen, kam nach fünf Minuten wieder und flüsterte seiner Begleitung zu, was er erfahren hatte. Da die Schauspieler ohnehin etwas leise sprachen, verstand man beide quasi gleich laut. Auf so einer Premiere sind halt sehr viele Leute, die Theater als gesellschaftliches Ereignis betrachten, also eher hingehen, um gesehen zu werden, als um sich etwas anzusehen.

Erst nach etwa 30 Minuten, als Markus Scheumann, der den Hermann spielt, ganz vorne an die Bühne trat und direkt ins Publikum sprach, konnte er die Leute einfangen. Es folgten noch drei düstere, gewaltige und verstörende Stunden. Mit einem sehr plakativen, aber überraschenden Ende.

Danach fragte ich hinter der Bühne jeden der Schauspieler, die ich zu greifen bekam, ob sie das Gehuste, Geschnäuze und Geklingele denn nicht mitbekommen hätten? Und, ja, natürlich hören sie alles. Und es ist irre störend. Deswegen muss ich sagen, neben Textaneignung, Spiel, Ausdruck undsoweiter, gebührt ihnen mein Respekt auch für die Konzentrationsleistung, weiterzuspielen, auch wenn das Publikum irgendwie gegen sie arbeitet. Das gehört zum Beruf. Ich kann zur Not auch einen Text schreiben, wenn jemand neben mir ein Regal andübelt - aber Spaß macht es keinen.

Auf jeden Fall war neben einigen Freunden und Kollegen auch die zierliche und trotzdem sehr beachtete Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein hinter der Bühne, schüttelte Hände, unter anderem die des Tonmeisters, neben dem ich gerade stand und der zufällig auch David heißt. Was er mache, wollte sie wissen, den Ton, sagte er. Das ist ja auch sehr wichtig, sagte die Kanzlerin, und Sie? "Ich habe nur zugesehen", sagte ich. "Das ist ja die wichtigste Aufgabe." Das geschah so charmant, nonchalant und parkettsicher, dass ich dachte: stimmt, gut zusehen muss man auch können. Das Smartphone ausmachen, nicht die Aufführung zerhusten oder zerschnäuzen. Und ob Sebastian Kurz wohl jemals zum Gratulieren ins Burgtheater kommen wird? Vermutlich schaut er lieber Netflix, da ist man vor Überraschungen und vor anderen Menschen sicher.

Dieser Text ist zuerst am 20. Dezember 2019 im Österreich-Newsletter der SZ erschienen.

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