Süddeutsche Zeitung

Steinmeier in Kolumbien:Besuch bei einem komplizierten Freund

Lesezeit: 3 min

Von Boris Herrmann, Bogotá

"Ich bin und bleibe ein Freund der Kolumbianer", diese Erkenntnis hat Frank-Walter Steinmeier aus seinen Gesprächen in der Casa de Nariño, dem Regierungssitz in Bogotá, mitgenommen. Man darf unterstellen, dass die Zuneigung des Bundespräsidenten authentisch ist, er kennt Kolumbien gut, in seiner Zeit als Außenminister unterstützte er den Friedensprozess aktiv. Deshalb weiß Steinmeier auch, dass es hier um ein Land geht, das es mit sich selbst schon nicht ganz einfach hat. Und dann liegt es auch noch direkt neben Venezuela.

In der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta spitzt sich gerade der Machtkampf um Caracas zu. 100 Tonnen dringend benötigte Hilfsgüter hängen dort fest, weil Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro sie blockiert. Dessen Gegenspieler Juan Guiadó setzt wiederum alles daran, diese Container ins Land zu bringen, auch weil er dann bewiesen hätte, dass er selbst und nicht mehr Maduro die Grenzen kontrolliert. Gleichzeitig drohen die USA mal mehr, mal weniger subtil damit, Truppen auf kolumbianischen Boden zu verlegen, um gegebenenfalls nebenan militärisch aufzuräumen. Steinmeier wollte auf dieser Südamerika-Reise eigentlich nur Kolumbien und Ecuador besuchen, aber er ist auch mitten in der Venezuela-Krise gelandet.

Nach dem Empfang eilt der Gastgeber in die USA

Dass der rechtskonservative kolumbianische Präsident Iván Duque in diesem Kontext kein unkomplizierter Freund ist, hat Steinmeier bei seinen Gesprächen in Bogotá ebenfalls erfahren. Duque erwiderte den freundschaftlichen Gruß des Bundespräsidenten in aller gebotenen Höflichkeit - ehe er seinen deutschen Gast alleine zurückließ und zum Flughafen eilte, um eine noch engere Freundschaft zu pflegen, die zu Donald Trump. Auch in Washington ging es natürlich um Venezuela.

Im Grundsatz sind sich Deutschland, die USA und Kolumbien einig, alle drei Staaten erkennen Guiadó als legitimen Übergangspräsidenten an. Erhebliche Differenzen gibt es aber bei der Frage, mit welchen Mitteln der Druck auf Maduro erhöht werden sollte, um ihn zum Rücktritt zu zwingen. Steinmeier dürfte sich keine Illusionen darüber machen, mit wem Duque die Leitlinien seiner künftigen Venezuela-Politik abstimmt: eher nicht mit Berlin, schon viel eher mit seinem Freund im Weißen Haus.

Als Duque in der Casa de Nariño gefragt wurde, ob er sich eine Stationierung von US-Truppen an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze vorstellen könne, wich er einer eindeutigen Antwort aus. Aber so richtig zweideutig war es auch wieder nicht, was er zu sagen hatte. Maduros Blockade der Hilfsgüter bezeichnete er als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Und das war erst der Anfang. Die Welt müsse jetzt zusammenstehen und "alle notwendigen Maßnahmen ergreifen", um den "Völkermord in Venezuela" zu stoppen.

Steinmeier guckte in diesem Moment so, als ob er zunächst an einen Übersetzungsfehler glaubte. Aber Duque hatte tatsächlich "genocidio" gesagt. Das ist bei allen offensichtlichen Verbrechen des Maduro-Regimes dann doch ein sehr harter und unangemessener Begriff, vor allem für einen Politiker aus Deutschland. Steinmeier fasste die Lage so zusammen: "Autokratie und Misswirtschaft haben Venezuela an den Abgrund und in den Bankrott geführt." Deutschland unterstütze deshalb freie Wahlen sowie die Verteilung der Hilfsgüter vonseiten der Vereinten Nationen.

Die Vizepräsidentin sieht Hilfsgüter als "biologische Waffen"

Für einen Mann wie Steinmeier, der die Sprache der Diplomatie spricht, muss eine Reise in diese Region auch eine rhetorische Grenzerfahrung sein. Während Duque über einen Völkermord schwadronierte, meldete sich die venezolanische Vizepräsidentin Delcy Rodriguez im staatlichen Fernsehsender VTV zu Wort. Sie bezeichnete die von vielen Venezolanern sehnsüchtig erwarteten Nahrungsmittelpakete an der kolumbianischen Grenze als "biologische Waffen". Rodriguez behauptete: "Diese Hilfsgüter sind vergiftet, sie sind krebserregend, das haben verschiedene Studien gezeigt." Um welche Studien es sich handeln sollte, teilte sie nicht mit.

Es liegt auf der Hand, dass es Kolumbien mit diesem Nachbarn sehr schwer hat, nicht zuletzt deshalb, weil inzwischen mehr als eine Million venezolanische Flüchtlinge hierhergekommen sind. Der Bundespräsident ließ erkennen, dass er Duque deshalb mildernde Umstände für seine scharfe Rhetorik und seine Hardliner-Politik zubilligt. Steinmeier, dieser unerschütterliche Kolumbien-Freund, sagte mit Blick auf die Venezuela-Krise: "Das ist eine Last, die Kolumbien nicht alleine tragen kann."

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