Proteste in Kolumbien:Tod eines 18-Jährigen

Proteste in Kolumbien: Mahnwache in Bogotá: Am Sonntag bangten seine Mitschüler noch um Dilans Schicksal. Am Montag erlag der 18-Jährige seinen Verletzungen.

Mahnwache in Bogotá: Am Sonntag bangten seine Mitschüler noch um Dilans Schicksal. Am Montag erlag der 18-Jährige seinen Verletzungen.

(Foto: AP)
  • Auch nach fünf Tagen reißen die regierungskritischen Proteste in Kolumbien nicht ab.
  • Sie werden nun überschattet vom tragischen Tod eines 18-jährigen Schülers, den eine Tränengasgranate am Kopf traf.
  • Auf Videos wirkt es, als habe ein Polizist bewusst auf den Schüler gezielt.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Durch einen tragischen Todesfall haben die seit Tagen andauernden Proteste in Kolumbien nun auch einen Namen und ein Gesicht bekommen. Am Samstag war der 18-jährige Schüler Dilan Cruz im Zentrum von Bogotá auf einer Protestveranstaltung, als ihn eine Tränengasgranate am Kopf traf. Sanitäter mussten Cruz vor Ort reanimieren, er wurde in ein Krankenhaus eingeliefert, sein Zustand war kritisch.

Am Montagabend schließlich erlag Dilan Cruz seinen Verletzungen. Er starb an dem Tag, an dem er eigentlich seinen Schulabschluss hätte erhalten sollen. Das Zeugnis nahm an seiner Statt seine Schwester entgegen. "Wir wollen, dass das, was mit Dilan passiert ist, ein Weckruf für das ganze Land ist", sagte Denis Cruz unter Tränen im Colegio Ricaurte, Dilans Schule. "Die Gewalt muss aufhören."

Möglich ist jedoch, dass genau das Gegenteil passiert. Dass sich die Proteste nun weiter zuspitzen könnten. Dilans Tod löste landesweite Bestürzung aus, vor allem auch deshalb, weil Handyvideos scheinbar belegen, dass ein Polizist die Tränengasgranate ganz gezielt und aus nächste Nähe auf Cruz abgefeuert hat. Für viele Menschen sind die Aufnahmen ein weiterer Beweis dafür, dass Regierung und Sicherheitskräfte mit überzogener Gewalt auf die landesweiten Proteste der vergangenen Tage reagieren.

Vergangenen Donnerstag hatten sie mit einem Generalstreik und mehreren Protestkundgebungen begonnen. Die Kritik richtete sich unter anderem gegen eine geplante Arbeitsmarkt- und Rentenreform, dazu aber auch gegen Ungleichheit im Bildungssystem, Gewalt gegen Aktivisten, Umweltverschmutzung und einen zunehmenden Stillstand im Friedensprozess mit der ehemaligen Guerilla-Organisation Farc.

Schon vor Wochen hatten die unterschiedlichsten sozialen Gruppen und Gewerkschaften zu den Demonstrationen aufgerufen. Dann allerdings kam es zu schweren Unruhen in Chile und Bolivien. Die konservative Regierung war besorgt, dass auch in Kolumbien die Stimmung kippen könnte. Präsident Iván Duque ließ darum vorsorglich die Grenzen sperren und die Polizei sowie auch die Streitkräfte in höchste Alarmbereitschaft versetzen.

Präsident Duque steckt in einer tiefen Krise

250 000 Menschen sollen sich dennoch an den Kundgebungen am Donnerstag beteiligt haben. Sie verliefen weitestgehend friedlich, vereinzelt aber kam es zu Randale und Zusammenstößen mit der Polizei. Drei Menschen starben laut Angaben der Regierung, mehr als hundert Demonstranten und Polizisten wurden verletzt. In mehreren Städten verhängten die Verwaltungen daraufhin Ausgangssperren und allein in Bogotá waren laut Bürgermeister Enrique Peñalosa in der Folge fast 20 000 Polizisten und Soldaten im Einsatz. "Wir werden keinesfalls zulassen, dass eine winzige Minderheit aus Straftätern unsere Stadt zerstört", sagte er.

Viele Menschen reagierten auf die nächtliche Ausgangssperre mit "Cacerolazos": Von ihren Fenstern und Balkonen aus schlugen sie auf Pfannen und Töpfe, um so ihrem Unmut Luft zu machen. Am Samstag, Sonntag und Montag kam es wieder zu großen Demonstrationen mit teils mehreren Zehntausend Teilnehmern.

Angesichts der anhaltenden Protestwelle versprach Präsident Duque einen landesweiten Dialog. Am Sonntag traf er sich mit den Bürgermeistern der größten kolumbianischen Städte, und im Laufe dieser Woche soll es zu Gesprächen mit den Organisationen des Generalstreiks kommen. Noch bis zum 15. März soll der Austausch dauern, allerdings ist noch unklar, wie sich Bürger an diesem Dialog beteiligen können.

Präsident Duque ist zwar erst seit knapp einem Jahr im Amt, dennoch erlebt seine Regierung eine tief greifende Popularitätskrise. Die Zustimmungswerte sind gering, und bei den Kommunalwahlen im Oktober erlitt Duques Partei herbe Verluste. Viele soziale Gruppen und Gewerkschaften reagierten mit Misstrauen auf das Angebot zum Dialog. "Die Regierung von Iván Duque hat konkret keine der Motive für den Protest gelöst", hieß es in einer Mitteilung der Zentralen Arbeitergewerkschaft.

Dazu treibt die Menschen zunehmend auch ein weiterer Grund auf die Straßen: Die Gewalt, mit der Polizei und Militär gegen die Demonstranten vorgehen. Selbst friedliche Demonstrationen würden immer wieder mit Tränengas angegriffen, sagen Beobachter. Und das staatliche Büro zum Schutz von Bürger- und Menschenrechten zeigte sich besorgt über den "überzogenen Einsatz von Gewalt" vonseiten der Sondereinsatzkommandos . Der Angriff auf Dilan Cruz ist das deutlichste Beispiel. Immer wieder halten die Demonstranten Plakate in die Höhe. Darauf steht: "Wir sind alle Dilan."

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Milena Reyes war 14 Jahre lang Guerillera, dann gehörte sie zu dem Team, das mit der Regierung Frieden aushandelte. Nun führt sie ein ziviles Leben und blickt auf die Massenproteste im Land.

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