Süddeutsche Zeitung

Wahlen in Kolumbien:"Ein Ingenieur, der die Diebe aus der Regierung vertreiben will"

Präsidentschaftskandidat Rodolfo Hernández hat gute Chancen, bei den Stichwahlen am Sonntag zu siegen. Es wäre ein erstaunlicher Erfolg für einen Politiker, der bis vor ein paar Monaten noch so gut wie unbekannt war.

Von Christoph Gurk , Buenos Aires

Vichada ist ein gutes Beispiel: Die Region ist eines von 32 Departementos, in die sich Kolumbien unterteilt. Es liegt im Osten des Landes, das Verwaltungsgebiet ist landwirtschaftlich geprägt, dünn besiedelt und ganz allgemein gesagt nicht gerade das Zentrum des Landes. Dennoch aber ist Vichada natürlich trotzdem ein integraler Bestandteil Kolumbiens, den man kennen sollte, als Kolumbianer und erst recht als Anwärter auf das Präsidentenamt des Landes. Doch als ein Fan im Februar dieses Jahres den Kandidaten Rodolfo Hernández dazu aufforderte, einen Gruß nach Vichada zu schicken, sagte dieser erst mal: "Vichada? Was ist das denn?"

Nach einigen Erklärungen schickte er dann eine Botschaft: "Wählt mich, ich werde euch nicht enttäuschen!", sagte Hernández lächelnd in die Kamera. Das erstaunlichste an all dem aber ist: Die Menschen in Vichada taten dies tatsächlich. Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 29. Mai hat niemand mehr Stimmen im Departemento Vichada bekommen als Rodolfo Hernandez.

Landesweit landete der 77-Jährige sogar auf dem zweiten Platz, und nun, bei den Stichwahlen am Sonntag, stehen die Chancen nicht schlecht, dass Hernández am Ende sogar als Sieger hervorgeht. Es wäre ein erstaunlicher Erfolg für einen Politiker, der bis vor ein paar Monaten noch so gut wie unbekannt war, gleichzeitig aber auch ein weiterer Beweis dafür, wie unzufrieden die Menschen in Kolumbien mit der herkömmlichen Politiklandschaft ihres Landes sind.

Kolumbien ist flächenmäßig die viertgrößte Nation Südamerikas. Schon vor der Pandemie gehörte das Land weltweit zu jenen, wo der Reichtum am ungerechtesten verteilt war. Durch Lockdowns und Wirtschaftskrisen hat sich die Situation nun noch einmal verschärft: Weit über ein Drittel der Kolumbianer lebt unter der Armutsgrenze, dazu kommt ein seit Jahrzehnten nicht enden wollender gewalttätiger Konflikt mit linken Guerillas, rechten Paramilitärs, Drogenbanden und dem Staat.

Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu heftigen Massenprotesten. Die konservative Regierung des amtierenden Präsidenten Iván Duque reagierte mit Unverständnis. Sondereinsatzkommandos der Polizei knüppelten Demonstranten nieder, und Duque scheidet nun als einer der unbeliebtesten Kandidaten in der Geschichte seiner Heimat aus dem Amt.

Viele Kolumbianer wünschen sich einen radikalen Kurswechsel

Es war also klar, dass sich viele Kolumbianer einen mehr oder minder radikalen Kurswechsel wünschten. Die meisten Analysten waren vor der Wahl aber davon ausgegangen, dass dieser Wandel in Gestalt von Gustavo Petro kommen würde, einem Ex-Guerillero, der Anfang der 90er-Jahre in die Politik ging, zum Bürgermeister Bogotás und Abgeordneten aufstieg und sich dann immer wieder anstrengte, der erste dezidiert linke Staatschef seines Landes zu werden. Beim ersten Mal, 2010, scheiterte Petro schon in der ersten Runde bei den Wahlen, beim zweiten Mal, 2018, in der Stichwahl. Nun sahen die Umfragen Petro klar an der Spitze, dicht gefolgt von Federico Gutiérrez, dem Kandidaten des konservativen kolumbianischen Establishments.

Nun aber kam es anders: Petro ist zwar Erstplatzierter, gegen ihn tritt nun aber nicht Gutiérrez in der Stichwahl an, sondern eben Rodolfo Hernández, ein millionenschwerer Unternehmer, der seinen Wahlkampf fast ausschließlich über die sozialen Netzwerke machte, Facebook, Twitter, ganz besonders aber Tiktok. Auf der Videoplattform postete "der Ingenieur", wie der 77-Jährige sich selbst gerne nennt, grell-bunte Kurzfilmchen von sich, in denen er sich mal beim Hanteltraining zeigte, mal als Figur aus einem Konsolenspiel, das seinen Gegner wortwörtlich plattmacht.

Die Filmchen wurden hunderttausendfach, ja millionenfach geteilt, so richtig ernst aber nahm Hernández lange niemand, was auch daran lag, dass sein politisches Profil bis heute schwammig ist, nicht links, aber auch nicht wirklich rechts, ein Populist, dessen Hauptversprechen der Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft ist: "Ich definiere mich als Rodolfo Hernández, ein Ingenieur, der die Diebe aus der Regierung vertreiben will. Das ist alles".

Rodolfo Hernández kommt aus Piedecuesta, einer kleinen Stadt im Norden Kolumbiens, wo es seine Familie mit Zigarren und Zuckerrohrverarbeitung zu beschaulichem Wohlstand gebracht hatte. Hernández selbst stieg dann in die Immobilienbranche ein und machte ein Vermögen. Mit weit über 60 Jahren ging er in die Politik: Als absoluter Außenseiter gewann er 2015 die Bürgermeisterwahlen in Kolumbiens fünftgrößter Stadt, Bucaramanga. Hernández machte in dieser Zeit durchaus erfolgreiche Sozialpolitik und schaffte es, den Haushalt wieder in den Griff zu bekommen. Dafür wandte er auch ungewöhnliche Methoden an: So soll in Behörden sogar an Klopapier gespart worden sein, dazu ließ Hernández angeblich auch die Stühle aus den Cafeterias für die Stadtangestellten entfernen, damit diese nicht so lange Pausen machen können.

Es gibt Berichte über Schimpftiraden von Rodolfo Hernández gegen Mitarbeiter, einmal ohrfeigte er als Bürgermeister sogar einen Oppositionsabgeordneten. Bei den Wählern aber war Hernández extrem beliebt: Als er 2019 aus Amt ausschied, hatte er Zustimmungswerte von über 80 Prozent.

Adolf Hitler mit Albert Einstein verwechselt

Dass dennoch viele in Hernández lange Zeit nur einen lustigen Tiktok-Opi sahen, liegt auch an einer Reihe von Fehltritten und Fettnäpfchen, in die der 77-Jährige in der Vergangenheit trat: Mal sagte er, er sei ein Bewunderer des "großen deutschen Denkers" Adolf Hitler - um sich dann später zu korrigieren: Eigentlich habe er Albert Einstein gemeint. Hernández hat schon im Pyjama TV-Interviews gegeben und viel von seinem Land kenne er auch nicht, sagt er.

Vielen Kolumbianern aber scheint das egal zu sein. Sie haben vor allem genug von einer in ihren Augen korrupten und abgehobenen Politiker-Elite. Hernández sagt, er wolle bestechliche Beamten und Politiker gnadenlos verfolgen: "Die Korruption ist eine Krankheit, die sich nur mit Skalpell und ohne Betäubung entfernen lässt." Dazu gibt es Versprechen wie mehr Sozialwohnungen, bessere und vor allem zugänglichere Bildung, Steuersenkungen und eine Basisrente. Wie das alles finanziert werden soll, bleibt aber unklar.

Maßgeblich dürfte ohnehin ein ganz anderer Punkt für den Aufstieg von Rodolfo Hernández sein: Denn so enttäuscht viele Kolumbianer auch von den fast ausschließlich konservativen Regierungen der letzten Jahre und Jahrzehnte sind, so große Angst haben sie dennoch, dass die Linken nun mit Gustavo Petro das Amt übernehmen könnten. Rechte Kommentatoren heizen diese Befürchtungen an, mit Warnungen vor angeblich geplanten Enteignungen und der Abschaffung demokratischer Institutionen.

Gustavo Petro hat dies alles bisher vehement bestritten, er ist kein Radikaler, sondern im Grunde genommen ein Sozialdemokrat vom linken Flügel. Dennoch dürfte es für ihn schwer werden, noch mehr Wähler zu mobilisieren, als diejenigen, die auch schon in der ersten Runde für ihn gestimmt haben. Das Wahlergebnis soll laut Umfragen jedenfalls extrem knapp sein. Aber Vorhersagen können sich ja auch irren - bestes Beispiel dafür wäre: Rodolfo Hernández selbst.

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