Kolumbien: Íngrid Betancourt befreit:Der große Coup

Die wohl bekannteste Geisel der Welt ist frei. Nach sechs Jahren im kolumbianischen Dschungel ist die frühere Präsidentschaftskandidatin Íngrid Betancourt aus der Gewalt der Rebellen befreit worden - in einer spektakulären Aktion.

Nach gut sechsjähriger Gefangenschaft ist die prominenteste Geisel der kolumbianischen Farc-Rebellen, Íngrid Betancourt, befreit worden. Die 46-jährige Franko-Kolumbianerin sowie drei US-Bürger und elf weitere Geiseln seien in einer Geheimdienstaktion durch die Armee befreit worden, teilte die kolumbianische Regierung mit.

Ingrid Betancourt umarmt ihre Mutter, afp

Am Flughafen in Bogotá umarmt die befreite Íngrid Betancourt nach sechs Jahren wieder ihre Mutter.

(Foto: Foto: AFP)

Im Anschluss an die Befreiung wurden sie in die Hauptstadt Bogotá geflogen, wo Betancourt ihrer Mutter und ihrem Mann in die Arme fiel. "Das ist wie ein Wunder", sagte sie. Die Nachricht der unblutigen Geiselbefreiung löste in aller Welt Freude aus.

Betancourt, die eine Militärjacke trug, stieg am Militärflughafen in Bogotá als Erste aus der Maschine von Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe. Sie lächelte und umarmte ihre Mutter Yolanda Pulecio und dann ihren Mann Juan Carlos Lecompte.

Sie danke "Gott und den kolumbianischen Soldaten", sagte die 46-Jährige dem kolumbianischen Armeesender Caracol. Die Befreiungsaktion sei "vollkommen einwandfrei" verlaufen. "Ich glaube, dass das ein Signal des Friedens für Kolumbien ist."

"Sie sind frei"

Noch am Flughafen schilderte Betancourt Einzelheiten der Befreiungsaktion. Sie und die 14 weiteren Geiseln hätten nicht gewusst, dass es sich bei der Besatzung des Hubschraubers, mit dem sie angeblich in ein anderes Lager der Rebellen gebracht werden sollten, um Soldaten der kolumbianischen Armee gehandelt habe, die sich in die Rebellen-Gruppe eingeschleust hatten, sagte sie.

Die Soldaten seien wie die Guerillas gekleidet gewesen und hätten wie sie gesprochen. Erst als der Helikopter in der Luft war, habe einer der Soldaten gesagt: "Wir sind von der kolumbianischen Armee. Sie sind frei!"

Der sei dann fast abgestürzt, da die Geiseln vor Freude in die Luft sprangen, berichtete Betancourt. "Wir haben geschrien, geweint und uns umarmt. Wir konnten es nicht glauben", erzählte sie. "Das ist wie ein Wunder", sagte sie. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht fügte sie hinzu: "Danke Kolumbien. Danke Frankreich."

Die 46-Jährige schien bei guter Gesundheit zu sein. In einem Ende November veröffentlichten Video war sie stark abgemagert auf einer Holzbank im Dschungel zu sehen gewesen. Zudem gab es Berichte, die Franko-Kolumbianerin leide an Hepatitis B und an einer Hautinfektion.

Die Befreiung fand in einem Waldgebiet des Provinz Guaviare im Südosten des Landes statt, wie der kolumbianische Verteidigungsminister Juan Manuel Santos auf einer Pressekonferenz sagte. Seinen Angaben zufolge war es gelungen, eigene Leute in den "obersten Zirkel" der Farc einzuschleusen.

Aktive Rolle der USA

Da die Geiseln zunächst in drei Gruppen aufgeteilt worden seien, hätten die Undercover-Agenten zunächst mit einem gefälschten Befehl von Farc-Chef Alfonso Cano bewirkt, dass die Geiseln wieder zusammengeführt wurden. Die eingeschleusten Agenten machten den Farc-Rebellen demnach zudem glaubhaft, Cano habe den Transport der Geiseln in den Süden des Landes angeordnet. Daraufhin wurden die Gefangenen laut Santos in einen Hubschrauber verfrachtet, der in Wirklichkeit der Armee gehörte.

Betancourt befand sich seit Februar 2002 in der Gewalt der Farc. Die drei mit ihr befreiten US-Bürger Marc Gonsalves, Thomas Howes und Keith Stansell wurden seit 2003 festgehalten und sind beim US-Rüstungskonzern Northrop Grumman angestellt. Sie flogen aus Bogotá weiter nach San Antonio im US-Bundesstaat Texas.

Betancourt selbst wolle "so schnell wie möglich" nach Frankreich zurückkehren. Das habe sie in einem Telefonat mit der Ehefrau des französischen Präsidenten, Carla Bruni-Sarkozy, gesagt, wie der Élysée-Palast mitteilte.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy dankte seinem kolumbianischen Kollegen Álvaro Uribe in einer Erklärung für die Befreiung Betancourts. Im Élyséepalast rief er umgeben von den Kindern Betancourts die Farc auf, ihren "absurden Kampf" aufzugeben. Betancourts Sohn Lorenzo Delloye sprach in einer ersten Reaktion von einer "riesigen, unbeschreiblichen Freude".

Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) gratulierte der kolumbianischen Regierung. "Wir teilen die Freude und Erleichterung der Familie und Freunde von Ingrid Betancourt, deren Geiselhaft nach über sechs Jahren nun endlich zu Ende gegangen ist", sagte Steinmeier am Donnerstag in Berlin. Es sei zu hoffen, dass nun auch die übrigen Entführungsopfer, deren Zahl noch immer in die Hunderte gehe, gewaltlos befreit werden könnten.

US-Präsident George W. Bush rief seinen kolumbianischen Kollegen Álvaro Uribe an, um ihm zu gratulieren, wie das Weiße Haus mitteilte. Auch der konservative US-Präsidentschaftsbewerber John McCain, der sich gerade zu einem Besuch in Bogotá aufhielt, begrüßte den Erfolg der Streitkräfte.

Die USA spielten bei der Befreiung nach eigenen Angaben eine aktive Rolle. Wie der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, Gordon Johndroe, in Washington sagte, war die US-Regierung über die Befreiungsoperation "in ihren Planungsphasen" informiert und leistete "spezifische Unterstützung". Welcher Art, könne er nicht mitteilen.

Geschwächte Rebellen

Der spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos sieht die linksgerichteten Farc-Rebellen nach der Befreiung ihrer prominentesten Geisel stark geschwächt. "Sie sind dabei, die Schlacht zu verlieren", sagte Moratinos am Donnerstag im Radiosender Cadena Ser. Der Gruppe fehle ein Anführer und es gebe für sie keine Möglichkeit, gegen die Armee zu gewinnen. "Sie müssen die Waffen auf den Tisch legen und Teil eines modernen und verantwortungsbewussten Staates werden", fügte Moratinos hinzu. Im Mai hatte die Farc den Tod ihres langjährigen Anführers Manuel Marulanda bekanntgegeben. Wenige Wochen zuvor war sein Stellvertreter Raúl Reyes getötet worden.

Auch nach Einschätzung politischer Beobachter in Bogotá stellt die Befreiung eine schwere Demütigung für die bereits geschwächte Farc und den bisher größten Triumph für die seit 2002 von dem konservativen Präsidenten Álvaro Uribe betriebene Politik der harten Hand dar. Zudem kam Uribe der Erfolg sehr gelegen, da er wegen eines Skandals um die mögliche Bestechung von Abgeordneten vor seiner Wiederwahl 2006 unter Druck geraten war.

Glückwünsche aus aller Welt

EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner erklärte in Brüssel, die Befreiung Betancourts sei das "Ende eines Albtraums". Sie fühle "eine riesige Erleichterung und eine große Freude".

Ein Sprecher der spanischen Regierung sagte in Madrid, sein Land sei "ungeheuer befriedigt" über die Befreiung. Ein Sprecher von Papst Benedikt XVI. sagte, die Nachricht sei "ein positives Zeichen für die Freiheit aller Geiseln". UN-Generalsekretär Ban Ki Moon habe die Nachricht von der Befreiung der 15 Farc-Geiseln mit Freude aufgenommen, teilten seine Sprecher mit.

Glückwünsche kamen unter anderem auch von den Staatschefs von Bolivien und Argentinien, Evo Morales und Cristina Kirchner. Amnesty International forderte die Farc in London auf, ihre etwa 700 anderen Geiseln ebenfalls freizulassen. In Bogotá und anderen kolumbianischen Städten versammelten sich aus Freude über Betancourts Freiheit Hunderte Menschen auf den Straßen.

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