Die Herrschafts- und Wirtschaftsform des Kolonialismus, die im 19. Jahrhundert als imperialistische Ausbeutung Afrikas und Asiens durch die europäischen Staaten (Großbritannien und Frankreich, Belgien, Niederlande, Italien und zuletzt Deutschland) den Höhepunkt erreichte, war zutiefst von der Ideologie des Rassismus geprägt. Kolonialismus gründete sich auf das Bewusstsein der "rassischen" Überlegenheit der Europäer als "Weiße", die das Recht beanspruchten, Menschen angeblich minderen Wertes zu beherrschen, ihrer Ressourcen zu berauben und bei Verstößen gegen die ihnen auferlegten Regeln und Strukturen nach Belieben zu bestrafen. Gerechtfertigt und dargestellt wurde die koloniale politische Praxis als Mission der Zivilisierung und der Kulturvermittlung. Der angebliche Zivilisierungsauftrag schloss körperliche Gewalt ("väterliche Züchtigung" bei Vergehen gegen die von der Kolonialherrschaft verfügte Ordnung) und Brechung von Widerstand bis zum Völkermord ein: an den Hereros in Südwestafrika 1904, im Maji-Maji-Aufstand in Ostafrika 1905/06 - zwei Beispiele aus der deutschen Kolonialgeschichte.
Die Zerstörung indigener, politischer und sozialer Strukturen, von Tradition und Kultur galt als Voraussetzung eines notwendigen Kulturtransfers. Die Ausbeutung der "unterentwickelten" Regionen der Erde wurde auch als christliche Heilsbotschaft durch die überlegenere weiße "Rasse" gerechtfertigt und die Kolonialisierung als Hilfe zur Entwicklung stilisiert.
Carl Peters und Adolf Lüderitz, die deutschen Kaufleute, die als Vortrupp der Kolonisation in Afrika mit Eingeborenen Handel trieben und ihnen zu dubiosen Bedingungen Land abkauften, das später als deutsches Staatsgebiet deklariert wurde, werden immer noch als Entdecker und Pioniere gefeiert, weil sie den Anfang des deutschen Kolonialismus in Afrika verkörpern. Die Verbrechen an den Völkern der Herero und Nama in Südwestafrika sind ungesühnt. Für die Landnahme gab es keine Entschädigung. Ein Bewusstsein für das Unrecht und seine Folgen steht, einhundert Jahre nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft, erst in den Anfängen.
Politische Ansätze, wie heute afrikanischen Gesellschaften zu helfen wäre, sind nicht vorhanden
Als Postkolonialismus wird das Fortwirken der ökonomischen und politischen Dominanz der ehemaligen Kolonialherrschaften bezeichnet. Die Debatte über Restitutionsleistungen und den Umgang mit der jeweiligen Kolonialgeschichte kam erst lange nach dem formalen Ende der Abhängigkeit und den afrikanischen Staatsgründungen seit den 1960er-Jahren in Gang. Auf der politischen Agenda stehen drei Komplexe aus dem Erbe des Kolonialismus. Erstens die offizielle Bitte der deutschen Regierung an die Adresse der Regierung Namibias um Vergebung für den Völkermord an den Herero und Nama. Zweitens der Umgang mit Kunstschätzen und anderen Kulturzeugnissen, die zur Kolonialzeit geraubt und in die Museen Europas verschleppt wurden. Drittens die Entwicklung von solidarischen Umgangsformen und daraus resultierenden seriösen Antworten auf die ökonomischen, sozialen und politischen Probleme des Kontinents Afrika: Armut und Fluchtbewegungen, zu der die Ausbeutung zur Kolonialzeit den Grund gelegt hat. Der Afrikabeauftragte der Bundesregierung, ein prominenter Bürgerrechtler der DDR, zog im Herbst 2018 Kritik auf sich, als er in einem Zeitungsinterview Ahnungslosigkeit angesichts des kolonialen Erbes erkennen ließ und sich Parolen der einstigen Kolonialpropaganda ("Zivilisationsmission") zu eigen machte. Er drückte aus, was viele empfinden. Ansätze zur politischen Reaktion auf die historischen Folgen des kolonialen Rassismus, die den Regierungen und Gesellschaften Afrikas wirksame Hilfe leisten würden, sind nicht zu erkennen.
Über den Umgang mit Kulturgut kolonialer Herkunft ist eine Debatte in Gang gekommen. Das riesige aus Afrika stammende Dinosaurierskelett im Berliner Naturkundemuseum ist eine weltweite Attraktion. Aber wem gehört sie wirklich? Wie geht man mit Ritualobjekten um, die in europäischen Museen profaniert und ausgestellt sind? Besonders sensibel sind menschliche Überreste aus Kolonialraub.
Das Buch "Deutschland postkolonial" geht über die klassische Kolonialhistoriografie - ohne sie zu vernachlässigen - und deren Konstrukte - die aufgelöst werden - hinaus, bezieht Fragestellungen der Mentalitätsgeschichte ein, wendet Strategien der Ressentimentforschung auf den Gegenstand Koloniales Erbe an. Das gewichtige Kompendium, das die Hamburger Afrikanistin Marianne Bechhaus-Gerst und der Berliner Historiker Joachim Zeller als Herausgeber verantworten, bietet weit mehr als interdisziplinäre Wissenschaft. Es ist politisch hochaktuell und hat das Potenzial, der öffentlichen Debatte über die ökonomischen und moralischen Nachwirkungen kolonialer Herrschaft und anhaltender Dominanz über die einstigen Kolonien das dringend notwendige Fundament zu geben.
Der Band schlägt einen weiten Bogen vom Ende deutscher Kolonialherrschaft in Afrika und der Südsee über den Kolonialrevisionismus der Zwischenkriegszeit, die rassistischen Erinnerungskonstrukte und das postkoloniale Bewusstsein in Initiativgruppen, Medien, Kunst und Didaktik bis zum aktuellen Diskurs über Raub und Rückgabe von Kulturgut.
Psychopathen und Sadisten lebten vor 1919 ihre Neigungen aus - mit mörderischer Konsequenz
Das gut lesbare Handbuch geht über die Ankündigung des Titels weit hinaus. Es leistet nicht nur einen notwendigen Beitrag zum Erinnerungsdiskurs, der auf hohem Niveau (gelegentlich auch abgehoben) in den Feuilletons geführt wird, das Buch ist erfreulich konkret, faktenreich und trotzdem hoch reflektiert. Ein Beitrag spürt etwa den Wurzeln der skurrilen Germanophilie in Togo nach, ein anderer thematisiert das kollektive Gedächtnis im ehemaligen deutschen "Schutzgebiet" Kamerun anhand architektonischer Relikte wie des Palastes des Gouverneurs Jesko von Puttkamer, der als Inkarnation des Herrenmenschen die Kolonie von 1895 bis 1907 regierte, oder des 1966 von Bundespräsident Heinrich Lübke eingeweihten Seemannsheimes in Douala. Der politischen Instrumentalisierung des Themas im Kalten Krieg widmet sich eine Studie des Bandes, in der sowohl der Wettbewerb der beiden deutschen Staaten um die Gunst der jungen Nationen Afrikas wie dessen neokoloniale Methoden thematisiert sind. Nicht weniger kompetent sind die Felder "Postkolonialismus und Genozid" sowie Rassismus und Kolonialismus bestellt. Alle Beiträge zeichnen sich aus durch wissenschaftlichen, also unaufgeregten Zugriff bei eindeutigen moralischen Positionen. Das gilt insbesondere für die Exemplifizierung der aktuellen Debatten über menschliche Relikte aus einst kolonialen Territorien in deutschen Museen, ethnologischen oder anthropologischen Instituten, in denen die Tradition fürstlicher Wunderkammern und Kuriositätenkabinette fortgesetzt werden, das gilt für die koloniale Raubkunst in deutschen Galerien und nicht zuletzt für das vor der Eröffnung stehende Berliner Humboldt-Forum. Der Band ist eine dichte Gemeinschaftsarbeit von 32 Autoren (Herausgeberin und Herausgeber sind selbst außer der gemeinsamen Einführung mit je zwei profunden Studien beteiligt, auch das zeugt von der Seriosität des Unternehmens).
Bartholomäus Grill: Wir Herrenmenschen. Unser rassistisches Erbe: Eine Reise in die deutsche Kolonialgeschichte. Siedler, München 2019. 304 Seiten, 24 Euro.
Marianne Bechhaus-Gerst, Joachim Zeller (Hg.): Deutschland postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit. Metropol-Verlag, Berlin 2018. 579 Seiten, 29 Euro. E-Book: 23 Euro.
Bartholomäus Grill, Afrikakorrespondent erst der Zeit, dann des Spiegels, beschreibt die deutsche Kolonialgeschichte in Afrika, Ostasien und der Südsee im journalistischen Zugriff und heiligen Zorn darüber, was Ausbeuter in kommerzieller und christlicher Absicht im staatlichen Auftrag dem Kontinent angetan haben. Grill geißelt die Schandtaten des Carl Peters, der Völker um ihr Land betrog, die Verbrechen des "grimmigen Herrn Theodor von Gunzert", der pars pro toto als Bezirksamtmann im Namen der Reichskolonialverwaltung am Victoriasee prunkte und prasste, "Eingeborene" auspeitschen und aufhängen ließ. Es geht um die Untaten des Jesko von Puttkamer als Gouverneur von Kamerun und anderer Psychopathen, die ihre sadistischen Neigungen und Machtfantasien in unvorstellbaren Ausrottungsorgien gegen Afrikaner auslebten.
Sie fühlten sich als Herrenmenschen und trieben in der kurzen Zeit deutscher Kolonialherrschaft eine genozidale Kolonialpolitik mit langen Folgen. Sie wirkten zusammen mit den Betreibern von Monokulturen und arglistig agierenden Kaufleuten (denen in der Heimat dafür Denkmale gesetzt wurden), mit christlichen Missionaren und Wissenschaftlern (die wie der Nobelpreisträger Robert Koch im Kaiserlichen Krankenhaus Daressalam mit dubiosen Methoden experimentierten, um dem glücklicheren Teil der Menschheit Heil und Segen zu bringen).
Grills Buch vereint einen entschiedenen Standpunkt mit profunder Recherche, bietet in 13 Reportagen die Summe der Erfahrungen eines engagierten Journalisten. Das Buch ist als Einstiegslektüre für Ahnungslose wie für Interessierte, für Politiker, für Teilnehmer und Betrachter von Talkshows über unser koloniales Erbe dringend zu empfehlen: Ein Katalog nicht erkannter und nicht aufgearbeiteter Schuld.
Wolfgang Benz ist Historiker, Prof. em. der TU Berlin und Direktor des Instituts für Vorurteils- und Konfliktforschung Berlin.