Klimapolitik in NRW:Wüst wendet an der Abbruchkante

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"Die Zeit der Unsicherheit muss ein Ende haben": der neue NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bei seiner Regierungserklärung im Düsseldorfer Landtag. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Nordrhein-Westfalens neuer Ministerpräsident nutzt seine Regierungserklärung, um sich von seinem Vorgänger Laschet abzusetzen. Was er zum Ausstieg aus der Kohle verkündet, ist eine Sensation.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Hendrik Wüst bleibt kühl, auch jetzt, als er das heißeste Eisen seiner Amtszeit anpackt. Wie eingefroren steht Nordrhein-Westfalens neuer Ministerpräsident hinter dem hölzernen Rednerpult, nur seine Finger rühren sich ab und zu, um die 44 Blatt Papier seiner Regierungserklärung säuberlich auf Kante zu legen. Sein Blick wandert kurz durch den Plenarsaal des Düsseldorfer Landtags, dann starrt er wieder auf sein Manuskript. Wüst liest ab, er weiß: Jetzt kommt es auf jedes Wort an.

Wüst fängt da an, wo sein Amtsvorgänger Armin Laschet immer aufgehört hatte: mit der Mahnung, dass mehr Klimaschutz im Stammland von Kohle und Stahl nur gelingen könne, "wenn wir der Welt zeigen, wie man dabei zugleich gute Arbeitsplätze, Wohlstand und soziale Sicherheit bewahrt". Der 46-jährige Rechtsanwalt, im Alltag ein durchaus wortflinker Mensch, stockt ab und zu, wie splitternde Holzscheite zerhackt er manche Wörter zu Silben. Um dann doch zum Punkt zu kommen: "Für mich ist klar: Wir sind in Nordrhein-Westfalen zu einem Ausstieg aus der Kohle auch schon 2030 bereit", sagt er und holt Luft, "und wir wollen alles dafür tun, dass uns das gelingt."

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Das ist, zumindest für einen Vertreter der schwarz-gelben NRW-Koalition, eine Sensation. Und ein klarer Bruch mit Laschets Politik. Der gescheiterte Kanzlerkandidat und geschiedene NRW-Ministerpräsident hatte noch vor einer Woche vor Gewerkschaftern gewarnt, die potenziellen Ampel-Koalitionäre wollten Hals über Kopf aus der Kohle aussteigen. Niemand, so Laschet, dürfe rütteln am erst im Sommer vorigen Jahres beschlossenen Fahrplan, also am Kohleausstieg anno 2038: "Da kann man nicht ein Jahr später sagen - gilt alles nicht mehr, wir machen jetzt 2030."

"Die Zeit der Unsicherheit muss ein Ende haben", sagt der Neue

Doch genau das macht Hendrik Wüst, seit nur einer Woche nun auf Laschets früherem Posten, am Mittwoch im Landtag. Mehr noch, der neue Partei- und Regierungschef erklärt, er wolle von den fünf Weilern am Westrand des Tagebaus Garzweiler-II "so viele Dörfer wie möglich retten". Deutschland, so vermutet Wüst, werde fortan weniger Braunkohle benötigen - unter einer Bedingung: Die künftige Ampel-Koalition müsse "für Klarheit sorgen" und eiligst den Ausbau von Windkraft, Solarenergie und Stromnetzen vorantreiben. Dann werde NRW seine Planungen ändern und die sogenannte "Leitentscheidung" - verkündet in Düsseldorf vor gerade mal acht Monaten - prompt revidieren. "Ich will diese Klarheit und ich will sie jetzt", ruft Wüst in den Saal, "die Zeit der Unsicherheit muss ein Ende haben."

Die Bagger im Braunkohle-Tagebau Garzweiler sollen nach Wüsts Willen 2030 stoppen. (Foto: Michael Probst/AP)

Im Landtag erntet Wüst für seinen Vorstoß nur ein schütteres Echo: Nicht einmal die Hälfte der Abgeordneten von CDU und FDP klatschen Beifall, SPD und Grüne bleiben ungerührt. Das lauteste Lob kommt zwei Stunden später per schmuckloser E-Mail: Kohlegegner der Initiative "Alle Dörfer bleiben" erklären, die Botschaft aus Düsseldorf sei "ein riesiger Teilerfolg des Widerstands" an der Abbruchkante zum Tagebau. Allerdings müsse Wüst nun noch einen sechsten Ort retten: Auch die Schaufelbagger vor dem Dörfchen Lützerath, das seit Wochen zur neuen Frontlinie der Klima-Aktivsten heranwächst, müssten gestoppt werden.

Umfragen verheißen der CDU ein Fiasko

Wüst ahnt, dass es eng wird für ihn. Im Mai 2022, in weniger als sieben Monaten, lauern Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen. Aktuelle Umfragen verheißen der CDU ein neues Fiasko. Er wolle "nicht das Ende ausrufen, sondern den Anfang machen", sagt Wüst. Neben der Kohle-Wende verheißt er ein neues Kinderschutzgesetz sowie 370 000 zusätzliche Tablets für Schulkinder aus einkommensschwachen Familien. Ansonsten gerät dem Juristen seine Regierungserklärung zur notariellen Bilanz von viereinhalb Jahren unter Armin Laschet - mit viel Licht natürlich, und einem Wunsch zum Schluss: "Lassen Sie uns gemeinsam durchstarten."

Das wird so nicht kommen. Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD) nutzt seine Replik zu einer Attacke - und läutet den Wahlkampf ein. Wüst habe "verdammt viel in den Rückspiegel geguckt", der Neue verspreche nur Altbekanntes: "Sie sind ein Abwickler und kein Erneuerer!" Auch Josefine Paul, die Fraktionschefin der Grünen, mag "statt Aufbruch nur sehr viel Weiter-so" erkennen. Wüst studiert derweil fleißig Akten auf der Regierungsbank. Auch das ist ein Zeichen: Einer, dem so wenig Zeit bleibt wie ihm, muss jede Minute im Amt nutzen.

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