Süddeutsche Zeitung

Kohleausstieg:Die deutsche Welt, wie sie gefällt

Der Kohleausstieg ist ein historischer Kompromiss: Die betroffenen Regionen können gut damit leben, und Deutschland wird zum Vorreiter. Nun müssen die Beschränkungen für Solar- und Windenergie aufgehoben werden.

Kommentar von Jan Heidtmann

Deutschland, Taka-Tuka-Land - wenn es so läuft, wie jetzt beschlossen, werden tatsächlich Träume von einer besseren Welt wahr: Eine der größten Industrienationen wird in sehr absehbarer Zeit keine Kohle mehr verfeuern und dann auch seine Energie längst nicht mehr aus Atomkraft gewinnen.

Es wäre international eine Zäsur, die Bundesrepublik stünde als Vorreiter da. Und das Beste am Traum von dieser Pippi-Langstrumpf-Welt, wie sie gefällt: Es stimmt, was Bundesfinanzminister Olaf Scholz am Morgen sagte - "Steinkohle und Braunkohle, alles wird spätestens 2038 zu Ende gehen." Bereits Ende Januar soll das Gesetz dazu in den Bundestag eingebracht werden.

Natürlich hätte man die in der Nacht getroffene Einigung früher haben können, die Empfehlung der Kohlekommission liegt seit einem Jahr vor. Der nun ausgehandelte Kompromiss zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der Kohleländer sieht dafür einen konkreten Plan zur Stilllegung der Kraftwerke vor. Er beginnt noch in diesem Jahr, am 31. Dezember soll im Rheinland eine der ältesten Dreckschleudern abgeschaltet werden, bis Ende 2022 werden es bereits acht Kraftwerke sein. "Je älter, desto früher" lautet das vernünftige Prinzip dieses Kündigungsschreibens.

Den Preis für diesen Kompromiss zahlen alle in Deutschland

Und es sind keine harten, kalten Kündigungen, die hier ausgesprochen werden. Wie für die Beschäftigten in den Steinkohlerevieren wird es auch für die Braunkohlekumpel ein sogenanntes Anpassungsgeld geben. Es soll bis 2043 gezahlt werden. Dazu kommen Gelder in Höhe von 40 Milliarden Euro, mit denen die betroffenen Regionen aus ihrer Abhängigkeit von der Kohle geholt werden sollen.

Cottbus, die ungekürte Hauptstadt der Lausitz zum Beispiel, soll zum Standort für Gesundheit ausgebaut werden, mitsamt Universitätsklinikum. Das stetige Lamento der Menschen in dieser Kohleregion, man werde alleingelassen, das insbesondere die AfD für sich nutzt: Es sticht nicht mehr. Jeder Sozialplan eines Großunternehmens nimmt sich gegen diese verbindlich zugesagten Hilfen mickrig aus.

Den Preis für diesen Kompromiss zahlen alle in Deutschland. Denn nicht nur angesichts der heftigen Brände in Australien kann man sich fragen, ob der Ausstieg schnell genug geht. Deutschland ist Braunkohleland Nummer eins, und jeder Tag, an dem die Kraftwerke noch laufen, schadet massiv der Umwelt und befeuert den Klimawandel. Beruhigend kann da höchstens sein: Je mehr Kraftwerke stillgelegt werden, desto mehr ist Deutschland auf Energie aus anderen Quellen angewiesen. Der Kohleausstieg wird dazu führen müssen, dass die Beschränkungen für Solar- und Windenergie aufgehoben werden - allen voran muss die geplante Abstandsregelung für Windräder vom Tisch.

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