Kohl-Protokolle:Dafür soll er zahlen

Lesezeit: 3 Min.

Das Landgericht Köln verurteilt Helmut Kohls Ghostwriter zu einer Million Euro Entschädigung.

Von Detlef Esslinger, München

Vor fast zehn Jahren präsentierte Heribert Schwan sein Buch "Vermächtnis" - ein Gericht verfügte nun erneut die Streichung von einigen Passagen. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Die Journalisten Heribert Schwan, Tilman Jens sowie die Verlagsgruppe Random House müssen dem früheren Bundeskanzler Helmut Kohl insgesamt eine Million Euro Entschädigung zahlen. Das hat das Landgericht Köln am Donnerstag entschieden. Außerdem dürfen die Autoren und der Verlag 116 Zitate aus dem Buch "Vermächtnis - Die Kohl-Protokolle" nicht mehr weiterverbreiten. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig; Random House kündigte Berufung an.

Es handelt sich um die mit Abstand höchste Summe, die ein Gericht in Deutschland bisher wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts verhängt hat. Bisher betrug der Rekordwert 635 000 Euro; diese Summe hatte ebenfalls das Landgericht Köln verhängt - im September 2015 zugunsten des Moderators Jörg Kachelmann, der gegen den Springer-Verlag geklagt hatte. In der Berufung reduzierte das Oberlandesgericht Köln den Betrag auf 395 000 Euro.

Der Streit zwischen Kohl und seinem früheren Ghostwriter Schwan beschäftigt die Justiz seit Jahren. 2001 und 2002 hatte Schwan den Altkanzler 600 Stunden lang interviewt. Die Gespräche dienten als Grundlage für die Memoiren Kohls, die Schwan als Ghostwriter verfasste. Drei Bände entstanden so, bei der Arbeit zum vierten Band zerstritten die beiden Männer sich. Jahre später beschloss Schwan, die Bänder für ein Buch zu nutzen, das er mit dem Autor Tilman Jens für den Heyne-Verlag schrieb (der zu Random House gehört). Darin brachte er etliche Schmähungen unter, die Kohl ihm einst aufs Band gesprochen haben soll. Danach ließ sich Kohl über viele Politiker aus, vor allem aus seiner CDU. "Schaumschläger", "trottelhaft katholisches Subjekt", "Verräter", "aus den Dessous herausgezogen", "Er ist natürlich einer der Dreckigsten" - das waren einige der Äußerungen, mit denen Schwan und Jens den Altkanzler in dem Buch zitierten. Daraufhin wurden sie und ihr Verlag von ihm auf fünf Millionen Euro verklagt. "Nie zuvor gab es einen vergleichbaren Fall von Missbrauch und Fälschung der Lebenserinnerungen eines Staatsmanns", schrieben seine Anwälte. Das "Machwerk" sei "an Geschmacklosigkeit, Skrupellosigkeit und Schändlichkeit nicht zu überbieten". Das Buch war Ende 2014 erschienen und wurde 200 000-mal verkauft.

Der Richter gesteht dem Altkanzler ein "Recht auf Genugtuung" zu

Das Landgericht Köln hatte seit Monaten angedeutet, dass es zu einer Entschädigung neigt. Dass es nun eine Million Euro wurden, bedeutet zweierlei: Erstens, dass die Richter hier "eine besondere Schwere" des Eingriffs ins Persönlichkeitsrecht sehen, wie sie in der Pressemitteilung zum Urteil schrieben. Nach ihrer Meinung durfte nur Kohl selbst entscheiden, welche seiner Aussagen veröffentlicht werden. Schwan habe seine Verschwiegenheitspflicht verletzt, sagte der Vorsitzende Richter Martin Koepsel bei der mündlichen Begründung. Kohl habe ein Recht auf Genugtuung. Dies wiege hier schwerer als das öffentliche Interesse. Zwar solle die Presse mit der Entscheidung nicht eingeschüchtert werden, doch müsse hier "eine spürbare Konsequenz" folgen.

Indem die Richter Kohl aber nur 20 Prozent der geforderten Summe zugestanden, bedeutet das Urteil zweitens zugleich, dass Kohl 80 Prozent der Kosten des Rechtsstreits tragen muss, Schwan, Jens und Random House jedoch nur 20 Prozent. Darauf wies deren Anwalt Roger Mann hin. Trotzdem handele es sich bei den eine Million Euro "um eine obszöne Summe, die man nicht ansatzweise nachvollziehen kann", sagte Mann der Süddeutschen Zeitung. Bisher sei es in dem Verfahren stets darum gegangen, ob Schwan überhaupt ohne Einwilligung von Kohl dessen Zitate verwenden durfte. Bei der mündlichen Urteilsverkündung aber habe das Gericht auf einmal argumentiert, Kohls Zitate seien verfälscht worden. Doch nur 13 der 116 im Prozess behandelten Zitate seien von Kohl bestritten worden. Mann will Berufung einlegen, sobald das schriftliche Urteil vorliegt. Kohls Anwalt Thomas Hermes kündigte an, eine Berufung zu prüfen. Er sprach von 116 "angeblichen" Zitaten. Zum Teil habe es sich um bewusste Falschzitate gehandelt, zum Teil um solche, die völlig aus dem Zusammenhang gerissen worden seien.

Die Entscheidung enthielt jedoch noch eine weitere Komponente: Den Autor Schwan verurteilte das Gericht zusätzlich dazu, Auskunft "über Art, Umfang und Verbleib von Kopien der Tonbänder" zu erteilen. Bereits früher hatte es entschieden, dass er die Originalbänder herauszugeben hat. Nachdem Schwan die Auskunft gegeben hat, kann Kohl sodann vor Gericht fordern, die Kopien von ihm zu bekommen.

© SZ vom 28.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: