Süddeutsche Zeitung

Kohl:Ein unanständiges Urteil

Viele Arten von Vermögen können vererbt werden - auch ein Schmerzensgeld. Warum gilt das nicht im Fall von Helmut Kohl?

Von Heribert Prantl

Das Urteil ist nicht nur falsch, es ist auch unanständig. Kohls ehemaliger Ghostwriter Heribert Schwan hat das Vertrauen des Altkanzlers missbraucht, er hat Aufzeichnungen mit Gesprächen an sich genommen, er hat sie ausgeschlachtet; unter Verwendung unautorisierter, aber deftiger Kohl-Zitate hat er ein eigenes Buch gebastelt und damit ein gutes Geschäft gemacht. Eine Million Euro hat das Landgericht in erster Instanz dem Altkanzler dafür als Geldentschädigung zugesprochen. Nun soll die Zahlungspflicht des ungetreuen Ghostwriters entfallen sein, weil Kohl tot ist. Der Geldanspruch sei nicht vererbbar, meint das Oberlandesgericht. Das ist hanebüchen.

Alle vermögensrechtlichen Positionen können vererbt werden, auch ein Schmerzensgeld; das Urheberrecht kann vererbt werden, Ansprüche aus dessen Verletzung auch. Das Gericht meinte nun, Kohl könne ja nicht mehr "Genugtuung" verschafft werden, da er nicht mehr lebe. Es argumentiert wie Schweinchen Schlau. Es verkennt, dass es nicht nur um Seelentrost, sondern um kommerzielle Ansprüche geht. Der Schädiger hat sich am Marktwert Kohls, der sich in den Kanzler-Memoiren materialisiert, bereichert.

Das war unanständig. Und es ist auch unanständig, wenn das Gericht dem Schädiger die finanziellen Vorteile seiner Unanständigkeit belässt.

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Quelle:
SZ vom 30.05.2018
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