Können Fahrverbote vermieden werden?:Doppelte Null-Lösung

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Die Bundesregierung feiert ihre Einigung als großen Erfolg. Doch die Zweifel, ob alte Motoren nachgerüstet werden, sind groß. Und auch die Umtauschaktion wirft viele Fragen auf - eine Übersicht.

Von Michael Bauchmüller

Die Koalition hat Großes geleistet, darin ist sich die Koalition einig. "Wir haben uns auf einen sehr, sehr großen Schritt geeinigt", sagt Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). "Wir haben etwas Gutes auf den Weg gebracht", sagt Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Und Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) findet: "Das ist ein sehr, sehr wichtiges Konzept für die Gesundheit der Menschen, die Zukunft der Dieselfahrzeuge und das Gerechtigkeitsgefühl." Die Worte sind groß nach der Einigung im Dieselstreit - aber was bedeuten sie für Dieselfahrer und Stadtbewohner?

Was ist das Problem?

In Deutschland haben 65 Städte ein mehr oder weniger großes Problem mit Stickstoffdioxid: Sie überschreiten den zulässigen Grenzwert von 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft, einige fast um das doppelte. Im städtischen Verkehr geht dieses Problem zu mehr als 70 Prozent auf das Konto von Dieselautos. Daran wiederum sind die Autohersteller nicht unschuldig: Sie hatten ihre Motoren zuletzt so konzipiert, dass sie die Stickoxid-Vorgaben vor allem im Prüflabor einhielten. So kam es, dass etwa Fahrzeuge der Euro-5-Norm den zulässigen Wert im realen Betrieb um das fünffache übertrafen. Stickstoffdioxid belastet vor allem Menschen mit Atemwegs- oder Herzerkrankungen. Nach einer Studie des Umweltbundesamtes lassen sich in Deutschland 6000 vorzeitige Todesfälle auf die Belastung mit Stickstoffdioxid zurückführen. Gerichte haben in einigen Städten nun Fahrverbote verlangt, darunter in Stuttgart und Frankfurt.

Wie genau soll die Luft in den Städten nun besser werden?

Die Koalition will mit einem Akut-Programm zunächst bei jenen Fahrzeugen ansetzen, die regelmäßig in den Städten unterwegs sind. Ein bereits bestehendes Programm zur Nachrüstung kommunaler Fahrzeuge soll in den 65 Städten ausgeweitet werden: Von 2018 an können sie sich zu 80 Prozent vom Bund fördern lassen, wenn sie schwere Lkws, etwa Müllautos, mit einer zusätzlichen Abgasreinigung ausstatten. "Auf diese Weise können etwa 28 000 Fahrzeuge nachgerüstet werden", heißt es im Konzept der Bundesregierung. Auch für Kleintransporter, wie sie Handwerker oder Paketboten nutzen, soll es eine solche 80-Prozent-Förderung für die Nachrüstung geben - letzteres aber nur, wenn sie mit den Autos in die belasteten Städte müssen. Über die "Kostentragung für den Restanteil", also die verbleibenden 20 Prozent, will die Regierung mit der Autoindustrie verhandeln.

In welchen Städten sind auch Privatfahrzeuge betroffen?

Die Koalition geht davon aus, dass sich das Stickoxid-Problem in vielen Städten von selbst erledigt - durch die stetige Erneuerung der Autoflotte, aber auch durch die Förderprogramme für kommunale Fahrzeuge und Lieferautos. Tatsächlich überschreiten derzeit 25 Städte den 40-Mikrogramm-Grenzwert um fünf Mikrogramm oder weniger. Die Bundesregierung zieht die Grenze nun bei 50 Mikrogramm je Kubikmeter Luft. Städte, die darüber liegen, betrachtet sie als "besonders belastet", hier soll es Angebote auch für private Fahrzeuge geben. Betroffen sind 14 Kommunen, darunter München, Stuttgart, Köln und Hamburg. Andere Städte mit Luftproblemen, wie Berlin (49 Mikrogramm), Hannover (48) oder Dortmund (50) fallen raus. Auch Frankfurt am Main gilt nicht als besonders belastet - obwohl ein Verwaltungsgericht hier ein Fahrverbot verlangt.

Stau in München: In den Morgenstunden ist die Luft oft nur "mäßig". (Foto: Amelie Geiger/dpa)

Treten Fahrverbote wie in Frankfurt also in Kraft?

Genau das soll das Konzept verhindern. Dazu bedient sich die Regierung auch eines Tricks: Sie ändert die Rechtsgrundlage. Das Bundesumweltministerium will mit einer Änderung des Immissionsschutzgesetzes festlegen, dass auch Autos der Schadstoffklassen Euro-4 und 5 in Städte mit Fahrverboten einfahren dürfen, wenn die Autos nicht mehr als 270 Milligramm Stickoxid je Kilometer ausstoßen. Dies und die Förderung der Umrüstung bei städtischen Fahrzeugen und Lieferwagen könnte eine Stadt wie Frankfurt nun in einen neuen "Luftreinhalteplan" einarbeiten - und damit ein Fahrverbot noch umschiffen. Gelingt dies nicht, bekommen Dieselbesitzer in und um Frankfurt ein Sonderprogramm - so wie die 14 besonders belasteten Städte: Umtausch und Nachrüstung.

Wie soll der Umtausch funktionieren?

"Sehr intensiv" habe man zuletzt mit den Autoherstellern verhandelt, sagt Verkehrsminister Scheuer. Nun gebe es "attraktive Tauschangebote". So können in den betroffenen Städten 1,4 Millionen Autofahrer ihren alten Diesel beim Händler in Zahlung geben und ein neues Auto kaufen. Die Hersteller wollen einen Extra-Rabatt gewähren, der in ihrem Belieben steht. Bei Volkswagen etwa liegt die Prämie für den Umtausch eines Euro-4-Diesel im Schnitt bei 4000 Euro und für Euro-5-Diesel bei 5000 Euro. Bei Daimler sollen Kunden bis zu 10 000 Euro erhalten, wenn sie einen neuen Mercedes kaufen, und bis zu 5000 Euro beim Kauf eines jungen Gebrauchtwagens mit Stern. BMW bietet pauschal 6000 Euro für Neuwagen und 4500 Euro für junge Gebrauchte. Ob sich die Rabatte deutlich von denen unterscheiden, die Neuwagen-Käufer ohnehin angeboten bekommen, muss sich aber noch zeigen.

Welche Neuwagen erfüllen denn überhaupt die Vorgaben?

Unter den Diesel-Autos nur die wenigsten. Selbst Fahrzeuge der neuen Euro-6-Norm stoßen zu viel Stickoxide aus, nach Daten des Umweltbundesamtes in Schnitt mehr als 500 Milligramm je Kilometer. Um den Markt nicht abzuwürgen, sollen aber auch sie in die belasteten Städte dürfen. Wer den Grenzwert sicher einhalten will, sollte dagegen ein Fahrzeug der neuesten Norm Euro 6d Temp anschaffen - oder aber auf Benzin- oder Elektroantrieb setzen.

Wie funktioniert die Nachrüstung?

Wer sich die Anschaffung eines besseren Autos nicht leisten kann oder will, soll sein Fahrzeug nachrüsten können, so dass es unter die erlaubten 270 Milligramm kommt. Die Regelung gilt nur für Euro-5-Autos. Auch können nur Dieselbesitzer so nachrüsten, die in den 14 betroffenen Städten und deren Umland leben. Kommunen, in denen Gerichte ein Fahrverbot verhängen, können noch hinzukommen. Der Bund erwarte vom jeweiligen Hersteller, "dass er die Kosten hierfür einschließlich des Einbaus übernimmt", heißt es in der Einigung. Ob dies passiert, ist offen: BMW und Opel haben bereits erkennen lassen, dass sie die Nachrüstung nicht übernehmen wollen. Mercedes bleibt zurückhaltend. Allerdings braucht es noch eine Weile, bis die entsprechenden Systeme genehmigt sind. Auch kommt nicht jedes Auto für die Nachrüstung in Frage. Der Bund will nun die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Nachrüstsysteme "möglichst bald" auf den Markt kommen. Zuständig dafür ist das Verkehrsministerium - das allerdings bisher wenig Sympathien für die Nachrüstung hat erkennen lassen.

Machen ausländische Hersteller mit?

Die Bundesregierung hat bisher nur mit der deutschen Industrie verhandelt. "Wir brauchen auch die ausländischen Herstellerinnen und Hersteller", sagt Umweltministerin Schulze. "Aber man sieht, dass da jetzt Bewegung reinkommt." Tatsächlich hat Renault eine Prämie von bis zu 10 000 Euro für den Tausch von alt in neu ausgelobt, auch andere Hersteller wollen nach Angaben des Importeurs-Verbandes VDIK "attraktive Umtauschprämien" anbieten. Von Nachrüstungen dagegen wollen sie nichts wissen: Diese stießen beim Verband und seinen Mitgliedern "auf Bedenken", heißt es bei dem Verband, der die Interessen ausländischer Hersteller vertritt.

Was ist mit Pendlern?

Umtausch und Nachrüstung soll für alle gelten, die in den 14 Städten leben, zusätzlich für Dieselfahrer aus den Landkreisen um diese Städte herum. Hinzu sollen auch Pendler kommen, die noch weiter außerhalb wohnen, aber einen Job in der betroffenen Stadt haben. Das gleiche gilt für Selbständige, die dort ihren Firmensitz haben.

Sind Fahrverbote damit vom Tisch?

Keineswegs. Auf die Schnelle wird sich die Luft in den Städten kaum bessern, und noch in diesem Jahr könnten Gerichtsentscheidungen zu acht weiteren Städten fallen. "Fahrverbote lassen sich mit dieser doppelten Null-Lösung nicht vermeiden", sagt Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe. Er warnt vor einem Umtausch in "schmutzige Euro-6-Diesel" und gibt der Nachrüstung wenig Chancen - sie sei zu wenig verbindlich. Die Umwelthilfe hatte viele der Verfahren für bessere Luft angestrengt. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts müssen die Städte Fahrverbote verhängen, wenn sich die Luftqualität nicht anders verbessern lässt.

Wie sollen die Städte die Fahrverbote kontrollieren?

Die Städte haben bislang keine Möglichkeit, Fahrzeuge mit schlechten Abgaswerten zu erkennen. Äußerlich unterscheiden sich Diesel und Benziner nicht. Stattdessen soll im Zentralen Fahrzeugregister vermerkt sein, ob ein Auto nachgerüstet ist oder die Grenzwerte einhält. Anhand des Nummernschildes kann die Polizei dann nachprüfen, ob es in die Stadt einfahren darf. Entsprechende Kontrollen sollten aber nur "stichprobenartig" stattfinden, heißt es im Verkehrsministerium. Eine massenhafte Überwachung habe man nicht vor. Auch die Höhe von Bußgeldern müsse man erst festlegen. Ein blaue Plakette, wie sie etwa der Städtetag gefordert hat, ist damit vom Tisch. Experten halten diese Art Kontrolle allerdings für wenig wirksam. "Es ist eine Frechheit, wie die Politik da die Augen zudrückt", sagt der Duisburger Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer.

© SZ vom 04.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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