Süddeutsche Zeitung

Gauck-Kür:Fast-Allparteien-Koalition verkündet ihren Kandidaten

Fast hätte es die Koalition zerrissen, am Abend dann die Erlösung: Union und FDP einigen sich auf Joachim Gauck als gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten - und präsentieren ihn auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit SPD und Grünen. Gauck bittet, in seinem künftigen Amt "die ersten Fehler gütig zu verzeihen und von mir nicht zu erwarten, dass ich ein Supermann bin".

Thorsten Denkler, Berlin

Fast hätte es die Koalition auseinandergerissen. Jetzt ist klar: Union und FDP haben sich in einer Marathonsitzung am Sonntag auf Joachim Gauck als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten geeinigt. Das bestätigte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntagabend nach Verhandlungen der Spitzen der fünf Parteien im Kanzleramt. SPD und Grünen hatten Gauck schon 2010 als Gegenkandidat zum zurückgetretenen Bundespräsidenten Wulff aufgestellt und unterstützen ihn weiterhin.

Gauck war zuletzt in die Gespräche eingebunden. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Parteichefs von SPD und Grünen sagte er: "Das ist natürlich für mich ein besonderer Tag." Am meisten bewege es ihn, dass ein Mensch, der noch im finsteren Krieg geboren worden sei und 50 Jahre in einer Diktatur gelebt habe, an die Spitze des Staates gerufen werde. "Die Vorschusslorbeeren, die ich jetzt gehört habe, die möchte ich erst verdienen." Es habe ihm unglaublich geholfen, dass sich die Parteien zusammengefunden hätten. Gauck ging vor allem auf die Kanzlerin ein. Sie habe ihm ihre Hochachtung versichert. "Das Wichtige daran ist, dass Sie mir Vertrauen entgegengebracht haben", sagte er zu Merkel.

Die Kanzlerin hat sich damit dem Druck der FDP ergeben, die Gauck offenbar um jeden Preis durchsetzen wollte. In der CDU hatte es bis zuletzt großen Widerstand gegen die Personalie Gauck gegeben. Es wurde befürchtet, dass diese als Eingeständnis dafür gesehen, mit Christian Wulff 2010 den falschen Kandidaten nominiert zu haben. Damals unterlag Gauck als Kandidat von SPD und Grünen Christian Wulff im dritten Wahlgang. Es gilt als wahrscheinlich, dass sich die Spitzen von SPD und Grünen dem Vorschlag der die Regierung tragenden Parteien anschließen.

Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" sagte Parteichef Philipp Rösler zu den FDP-Präsidiumsmitgliedern: "Man kann ein Amt oder eine Wahl verlieren, aber nie seine Überzeugung. Huber ist schwarzrot, Töpfer schwarzgrün und Gauck bürgerlichliberal." Der frühere Umweltminister Klaus Töpfer und der ehemalige Bischof Wolfgang Huber waren zuletzt ebenfalls als Favoriten gehandelt worden.

Auf der Pressekonferenz gab sich Rösler dann aber versöhnlich: Es sei gut, dass parteiübergreifend ein so guter Kandidat gefunden worden sei. Gauck könne verloren gegangenes Vertrauen in das höchste Staatsamt zurückbringen. Gauck sei eine Persönlichkeit, die die Menschen wieder mehr begeistern könne für die Demokratie. Er könne dem Amt wieder die Autorität verleihen, die ihm zustehe.

Merkel sagte, sie verbinde mit Gauck vor allem die gemeinsame Vergangenheit in der DDR. Für Gauck habe sich der Weg von der Kirche in die Politik von fast alleine ergeben. Ihn zeichne aus, ein "wahrer Demokratielehrer" geworden zu sein.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, die Kandidatur Gaucks sei ein gutes und wichtiges Signal an die Bevölkerung. Er bedankte sich bei den Spitzen der schwarz-gelben Koalition für die Zustimmung zu Gauck. Es sei bedauerlich, dass Gauck nicht schon 2010 gewählt worden sei. "Deswegen ist es gut, dass er jetzt ein gemeinsamer Kandidat ist."

Grünen-Chefin Claudia Roth sprach von einem historischen Moment. Gauck sei jemand, der der Demokratie wieder Glanz verleihen könne. "Er ist ein Mann, das schätzen wir sehr, der den Dialog liebt. (...) Er kann Worte zum Klingen bringen."

Zuvor war der Streit zwischen Union und FDP eskaliert. Als am Sonntagnachmittag klar war, dass kein Name beide Seiten gleichermaßen befriedigt, kamen die Präsidien von Union und FDP jeweils zu Telefonschalten zusammen.

CDU und CSU vertraten zunächst die Position: Joachim Gauck geht gar nicht. Nicht nur, weil er 2010 der Kandidat von Rot und Grün war. Sondern auch, weil er die Öffentlichkeit noch mit Positionen überraschen könnte, die nicht in die Zeit passten. Etwa Gaucks ablehnende Haltung gegenüber der Kritik an den Finanzmärkten.

"Wir setzen auf volles Risiko"

Stattdessen wurde von der Union neben Töpfer und Huber auch die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth ins Feld geführt. Bis auf Gauck lehnte die FDP per Beschluss allerdings alle anderen Kandidaten ab. In der Union wurde dem Koalitionspartner Blockadehaltung vorgeworfen.

Dass es den Freidemokraten bitter ernst war, wurde schon vor Beginn des Spitzentreffens im Kanzleramt klar: In der FDP-Führung wollte man nicht ausschließen, dass das Ringen um Gauck einen Bruch der schwarz-gelben Bundesregierung zur Folge haben könnte: "Alles hat seine Grenzen", sagte ein Spitzen-Liberaler zur SZ.

Nach zwei Jahren der Demütigung könne man nicht mehr alles von der Union schlucken, die in der Präsidentenfrage alle parteiübergreifenden Kompromisse blockiere. Die Liberalen hätten aus Koalitionsräson bislang stets die Präsidentenkandidaten mitgetragen, die die Union vorgeschlagen habe. Die Kanzlerin habe bei ihrer Personalauswahl "kein gutes Händchen bewiesen", hieß es. "Wir setzen auf volles Risiko", sagte ein anderes namhaftes Regierungsmitglied der FDP zur dpa.

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