Koalitionszwist in Baden-Württemberg:Kretschmann auf grün-roter Odyssee

Winfried Kretschmann

Bloß nicht die braven Bürger verschrecken: Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann will sich 2016 um eine volle zweite Amtszeit bewerben.

(Foto: dpa)

Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann setzt 2016 auf eine volle zweite Amtszeit. Doch in Stuttgart spürt der Grüne erstmals Gegenwind, auch der rote Koalitionspartner macht Ärger. Und der Chef? Fährt erst mal in Urlaub. Mit Homer.

Von Roman Deininger, Stuttgart

Zwei Reisen hat Winfried Kretschmann in seinem Sommerurlaub geplant, beide in anregender Begleitung. Zunächst fliegt der baden-württembergische Ministerpräsident mit Gattin Gerlinde nach Schottland, dann mit Homer in dessen griechische Heimat. Der erste grüne Regierungschef der Republik ist ja bekannt dafür, gern mal lesend den ganz großen Fragen nachzusinnen, man könnte sagen: Mit Büchern kann er noch viel besser als mit Menschen.

Vor seiner Abreise hat er nun noch rasch die ganz großen Fragen der Landespolitik abgehandelt. Kretschmann, 66, hat klargestellt, dass er bei der Landtagswahl 2016 eine volle zweite Amtszeit anstrebt. Und er hat grob umrissen, was er damit anstellen würde.

Der grüne Vordenker betet dabei das Lieblingsargument vieler Parteifreunde nach, demzufolge selbst ein Landesvater, der mit Homer urlaubt, in fünf Jahren nicht all die Scherben wegmachen kann, die 58 Jahre CDU-Herrschaft hinterlassen haben. Eine zweite Legislatur brauche man, "um die Dinge, die man angefangen hat, zu festigen", sagte Kretschmann den Stuttgarter Nachrichten. Beispiel Windkraftausbau: "Etwas zu korrigieren, was zwei Jahrzehnte lang ganz anders gemacht wurde, erfordert enormen Kraftaufwand. Deshalb geht es viel langsamer voran, als man selbst möchte."

Neuauflage von Grün-Rot denkbar

Die Gemächlichkeit der grün-roten Reformanstrengungen ist unbestritten - zu viel Tempo, befürchten die grünen Strategen, könnte jene braven Bürger verschrecken, die Kretschmann ins Herz geschlossen haben, nicht aber dessen Partei. Der grüne Wahlkampf wird sich deshalb wohl vorsichtshalber in der Bitte erschöpfen, der Ministerpräsident müsse doch Ministerpräsident bleiben dürfen.

Laut Umfragen ist eine Neuauflage von Grün-Rot zumindest denkbar: Grüne und SPD kämen derzeit gemeinsam auf 41 Prozent der Stimmen, genau so viel wie die CDU allein. Den Schwarzen könnte allerdings der natürliche Koalitionspartner FDP außerparlamentarisch abhandenkommen.

Verkompliziert werden die grünen Kalkulationen durch das Insistieren des roten Vizeregierungschefs Nils Schmid, selbst vorn stehen zu wollen. Bei den grünen Kretschmann-Jüngern gilt das als blasphemischer Gedanke. Doch Schmid, 41, hat nach Jahren des Darbens eine symbolische Kräftigung erfahren, seit er in dreistem Solotanz ankündigte, statt 2020 bereits 2016 die Nettonull erreichen zu wollen. Kretschmann musste murrend nachziehen.

Als er sich dann auch noch beim Koalitionszwist um die Details eines Behinderten-Gleichstellungsgesetzes in den Nahkampf begab, bekam er etwas, was er bisher nur aus Büchern kannte: schlechte Presse. Dazu gehörten auch Berichte über atmosphärische Störungen zwischen engen Mitarbeitern.

Und dann kosten ausgerechnet die Bürger der grünen "Bürgerregierung" Nerven, etwa in Tuningen, wo sie klar gegen einen Gefängnisbau votierten. Ungewohnt offen stellte Kretschmann daraufhin fest, dass man über so ein Gefängnis ja notfalls "hoheitlich entscheiden" könne.

Seinen Urlaub, fügte er an, habe er jetzt sehr nötig.

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