Koalitionsvertrag:Was aus Deutschland werden soll

Die Koalitionsgespräche gehen in die finale Runde. CDU, CSU und FDP wollen den Wehrdienst verkürzen. Andere Punkte sind noch strittig. Ein Überblick.

Noch sind viele Absätze fett gedruckt und mit Klammern versehen - das sind die strittigen Punkte. An anderen Stellen ist der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP aber offenbar so gut wie fertig. Spätestens am Samstag soll das Papier fertiggestellt werden. Sorgfalt ist geboten: In den kommenden vier Jahren wird sich die Regierung an dem Text messen lassen müssen.

Koalitionsvertrag, dpa

Die schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen gehen in den Endspurt. Am Samstag wollen CDU, CSU und FDP den fertigen Koalitionsvertrag präsentieren.

(Foto: Symbolfoto: dpa)

Der Entwurf des Vertrages, der sueddeutsche.de in Auszügen vorliegt, wird permanent modifiziert. Als neueste Änderung sickerte durch, dass Schwarz-Gelb den Wehrdienst deutlich verkürzen will: von derzeit neun auf sechs Monate. Die Regelung soll am 1. Januar 2011 in Kraft treten, meldete die Nachrichtenagentur dpa.

Die Koalitionäre haben zahlreiche Wahlversprechen in den Vertrag einbringen können: Die Laufzeit der Atomkraftwerke wird verlängert - als Brückentechnologie auf dem Weg zu alternativen Energiequellen. Die FDP hat eine stärkere Betonung der Bürgerrechte erreicht, die CDU setzt auf mehr Aufsicht und weniger Manager-Boni auf dem Finanzmarkt.

sueddeutsche.de gibt Einblick in einen Entwurf des Koalitionsvertrages und zeigt, was nach Willen von Schwarz-Gelb aus Deutschland werden soll. Klicken Sie sich durch die Themenfelder!

Innere Sicherheit: Keine Sperren, höhere Strafen

Innere Sicherheit: Keine Sperren, höhere Jugendstrafen

Das Thema Innenpolitik galt als großer Stolperstein der Koalitionsgespräche. Der Kompromiss ist ein Erfolg für die FDP: Die umstrittenen Netzsperren zum Schutz vor Kinderpornographie im Internet werden ein Jahr lang ausgesetzt. Kriminelle Seiten sollen gelöscht statt gesperrt werden - das hatte neben den Liberalen auch die Piratenpartei gefordert. Nach Ablauf der Frist will die Regierung prüfen, ob sie auf die Netzsperren dauerhaft verzichten kann.

Auch die Vorratsdatenspeicherung wird ausgesetzt - im Frühjahr 2010 wird das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Maßnahme urteilen. Online-Durchsuchungen sollen künftig nur noch vom Bundesgerichtshof auf Antrag der Bundesanwaltschaft angeordnet werden dürfen. Bislang waren dazu auch Amtsrichter befugt.

Union und FDP haben sich außerdem auf eine härtere Gangart gegenüber jugendlichen Straftätern geeinigt. Die Jugendhöchststrafe für Mord wird von zehn auf 15 Jahre angehoben. Und es wird ein Warnschussarrest von mehreren Wochen eingeführt, der Jugendliche von weiteren Straftaten abhalten soll.

Energie: Längere Laufzeiten, mehr Geld für Alternativen

Energie: Längere AKW-Laufzeiten, mehr Geld für Alternativen

Die deutschen Atomkraftwerke sollen länger am Netz bleiben. Darin sind sich die Koalitionäre einig. Genaue Fristen gibt es aber noch nicht. Im Entwurf des Koalitionsvertrages heißt es, Betriebszeiten und Sicherheitsstandards sollten "möglichst schnell" mit den Betreibern geklärt werden.

Das Verbot, neue AKW zu bauen, bleibt weiterhin bestehen. Die Energiekonzerne, die an den längeren Laufzeiten verdienen werden, sollen im Gegenzug mehr Geld für alternative Technologien bereitstellen.

Als Endlager für Atommüll hat Schwarz-Gelb den Salzstock in Gorleben im Auge. Er soll in einem "öffentlichen und transparenten" Prozess geprüft werden. Die Endlager Asse und Morsleben seien dagegen "in einem zügigen und transpartenten Verfahren" zu schließen. Die Energiekonzerne sollen an den Kosten des einsturzgefährdeten Atommülllagers beteiligt werden.

Steuern: Höhere Gebühren, weniger Bürokratie

Steuern und Finanzen: Höhere Gebühren, weniger Bürokratie

Um den Haushalt zu entlasten, planen Union und FDP offenbar eine Steuererhöhung durch die Hintertür: In Zukunft sollen kommunale Unternehmen genauso besteuert werden wie private, heißt es im Entwurf des Koalitionsvertrages. Derzeit zahlen Unternehmen der Kommunen keine Mehrwertsteuer, private Firmen hingegen 19 Prozent.

Für die Bürger könnte das höhere Gebühren für Abwasser- und Müllabfuhr nach sich ziehen. Bund und Ländern, die sich die Mehrwertsteuer teilen, könnte der Plan dem Bericht zufolge vier Milliarden Euro in die Kasse spülen. Das käme der FDP zugute, die ihr Wahlversprechen halten und Steuern senken will.

Weiteren Spielraum könnte die neue Regierung durch einen Neben- oder "Schattenhaushalt" gewinnen, der "krisenbedingte Belastungen durch die sozialen Sicherungssysteme" auffangen soll. Nachdem die Opposition von "Trickserei" sprach und verfassungsrechtliche Bedenken geäußert wurden, ruderten die Koalitionäre jedoch zurück: Die Einführung eines Nebenhaushaltes sei noch nicht entschieden, sagte Kanzleramtsminister Thomas de Maiziére.

Das Steuerrecht soll "spürbar" vereinfacht und "von unnötiger Bürokratie befreit" werden. Die FDP strebt eine Reform der Erbschaft- und Umsatzsteuer an. In dem Vertragsentwurf sind diese Punkte jedoch noch als strittig markiert. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent soll von einer Komission geprüft werden, um "Ungereimtheiten" zu beseitigen.

Finanz- und Arbeitsmarkt: Mehr Schonvermögen, kein Mindestlohn

Finanzmarkt: Mehr Aufsicht, weniger Boni

Die Bankenaufsicht in Deutschland soll in Zukunft bei der Bundesbank zusammengeführt werden. Die Manager-Gehälter sollen sich "stärker als bislang am langfristigen Erfolg ihres Unternehmens" orientieren, heißt es im Entwurf des Koalitionsvertrages. Den berüchtigten Bonus-Zahlungen werden Gehaltsabzüge (Malus-Regelungen) gegenübergestellt.

Um eine zweite Finanzkrise zu verhindern, strebt die Koalition außerdem eine schnelle Reform der EU-Finanzmarktaufsicht an. Die Einrichtung einer europäischen Ratingagentur werde geprüft, heißt es.

Arbeit und Soziales: Mehr Schonvermögen, kein Mindestlohn

Hartz-IV-Empfänger sollen unter der neuen Regierung mehr von ihrem Ersparten behalten dürfen: Das so genannte "Schonvermögen" wird erhöht. Künftig sollen Geldanlagen, die der Altersvorsorge dienen, bis zu einem Betrag von 750 Euro pro Lebensjahr unangetastet bleiben, wenn Arbeitslosengeld II beantragt wird. Das ist dreimal so viel wie bisher.

Einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn wird es mit Schwarz-Gelb nicht geben. Die bestehenden Branchen-Mindestlöhne bleiben jedoch bestehen - zumindest bis 2011. Dann soll überprüft werden, ob sie Arbeitsplätze gefährden, wie es die FDP befürchtet. Neue Branchen-Mindestlöhne sind nicht ausgeschlossen, heißt es im Koalitionsvertrag - sie müssten aber einvernehmlich beschlossen werden.

Bei der betrieblichen Mitbestimmung und dem Kündigungsschutz gibt es offenbar noch keine Einigung.

Gesundheit: Freie Beiträge, keine Praxisgebühr

Gesundheit und Pflege: Freie Kassenbeiträge, keine Praxisgebühr

Die Zukunft des Gesundheitsfonds wird im Koalitionsvertrag offenbar nicht festgeschrieben. Es soll aber eine Expertenkommission eingesetzt werden, die sich mit "langfristigen Perspektiven" in der Gesundheitspolitik befasst. Die ostwestfälische Tageszeitung Neue Westfälische hatte ohne Nennung von Quellen berichtet, der Gesundheitsfonds werde abgeschafft.

Als sicher gilt, dass die neue Regierung den Einheitsbeitrag abschaffen will. Die gesetzlichen Krankenkassen könnten also wieder über unterschiedliche Preise miteinander konkurrieren. Auch die Praxisgebühr von zehn Euro könnte bald passé sein.

Wie auch in der Pflegeversicherung müssen die Arbeitnehmer und Rentner mit höheren Beiträgen rechnen. So ist eine Art "Pflege-Riester" geplant. Jedes Kassenmitglied soll dazu verpflichtet werden, in eine private Pflegeversicherung einzuzahlen. Ziel ist es, ausreichend Kapital für das Alter aufzubauen.

Die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte ist offenbar vom Tisch. Auf ihr sollten Patientendaten, Untersuchungsergebnisse und verordnete Medikamente gespeichert werden, um Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Die FDP hält das einstige Prestigeprojekt aus Datenschutzgründen für zweifelhaft.

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