Koalitionsvertrag unterzeichnet:Kanzlerinnen-Schorle, handgemixt

Seehofer salutiert vor von der Leyen, Merkel mischt sich ihre Apfelschorle, Gabriel knufft Pofalla. Das bleibt von der feierlichen Unterzeichnung des Koalitionsvertrages zwischen Union und SPD. Das Motto: Bloß nicht so viel Show wie damals Westerwelle.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Unterzeichnung des Koalitionsvertrages; Merkel; Gabriel; von der Leyen; Hasselfeldt; Kauder

Nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages: Sigmar Gabriel, Ursula von der Leyen, Gerda Hasselfeldt, Angela Merkel und Volker Kauder (von links nach rechts)

(Foto: dpa)

Angela Merkel blättert im Koalitionsvertrag, als suche sie noch etwas. Irgendeine bisher geheime Stelle vielleicht, die sie jetzt dem SPD-Chef Sigmar Gabriel unter die Nase halten will? Nein, die Kanzlerin und CDU-Chefin sucht die Seite mit den Unterschriften. Blättert vor und zurück.

Endlich, sie hat sie gefunden, hält sie in die Kameras und lächelt wie ein Honigkuchenpferd. Es ist vollbracht. Drei Monate nach der Bundestagswahl ist der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD unterschrieben. Im Atrium des Paul-Löbe-Hauses haben sich die Koalitionspartner versammelt, wie schon 2005, als Merkel erstmals ihre Unterschrift unter einen Vertrag mit der SPD setzte.

Jetzt stehen die drei Parteivorsitzenden Merkel, Gabriel und CSU-Chef Horst Seehofer mit dem Schriftstück vor mehreren Hundert Menschen und genießen den Applaus. Alle drei sagen ein paar Sätze. Eine gute Zusammenarbeit wünschen sie sich. Merkel freut sich, dass sich Union und SPD in den Koalitionsverhandlungen "sogar zugehört haben". Beiden Seiten hätten voneinander gelernt. Sie macht eine dieser Merkel-typischen Offerten: "Ich biete allen an, dass wir uns auf die Arbeit freuen". Was für ein seltsam schöner Satz das ist.

Gabriel geht direkt darauf ein. Das "Angebot auf Freude an der Arbeit nehmen wir mal an", sagt er. Unterschlägt dabei aber, dass Merkels Angebot weiter ging: Sie bot auch an, "dass wir faire Partner sind". Aber das muss keine Absicht von Gabriel gewesen sein.

Seehofer macht es kurz: Jetzt werde es Zeit, dass regiert wird. Darum soll es keine langen Reden mehr geben, "sondern jetzt schnell an die Arbeit gehen". Er wünscht noch "alles Gute".

Als die Unterschriften trocken sind, werden Cola, Apfelsaft, Sekt und Wasser gereicht. Wasser der Marke L'eau Sans Souci, Wasser ohne Sorgen. Erstaunlich, welche Bedeutung sowas an einem solchen Tag haben kann. Aber noch hat die Koalition ja auch keine Sorgen. Sie steht erst am Anfang.

Die Stimmung ist heiter. Seehofer salutiert vor Ursula von der Leyen, bevor es losgeht. Ein Scherz, den hinterher auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder mit der ersten Frau an der Spitze des Verteidigungsministeriums macht. Von der Leyen wird das wohl noch öfter über sich ergehen lassen müssen. Sie schaut noch nicht so, als hätte sie Spaß daran.

Merkel nimmt sich ein Glas Wasser und ein Glas Apfelsaft und schüttet das Wasser kurzerhand in den Apfelsaft. Kanzlerinnenschorle, handgemixt.

Wie unprätentiös das alles ist. Vor vier Jahren noch, da hat der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle aus der Unterzeichnung des schwarz-gelben Koalitionsvertrages eine Machtdemonstration gemacht. Als wäre eine neue Ära angebrochen. Es war dann die Ära des Untergangs seiner Partei.

Ewiges Schulterklopfen

Gabriel kommt an die drei zusammengestellten Stehtische. Anstoßen mit Merkel. Er trinkt Wasser. Sie lächeln sich zu. An den Tischen hat sich inzwischen die gesamte Spitze der künftigen großen Koalition versammelt. Merkel, Kauder, von der Leyen, der designierte Außenminister Frank Walter-Steinmeier, Seehofer, die künftige Arbeitsministerin Andrea Nahles sowie SPD-Politiker Thomas Oppermann, der wenig später mit 90 Prozent zum neuen Fraktionschef der SPD gewählt wird.

Ronald Pofalla ist auch dabei, Merkels Kanzleramtschef und einer der Architekten der großen Koalition. Obwohl er nicht mehr dazugehören wird. Tränen soll es gegeben haben, als vergangenen Donnerstag Merkel und er das Ausscheiden aus der aktiven Bundespolitik besprochen haben. Gabriel knufft Pofalla an die Schulter. Wünscht ihm alles Gute. Derartige Kumpeleien sind dann doch noch etwas gewöhnungsbedürftig.

Es ist ein nicht enden wollendes Schulterklopfen. Gerd Müller etwa, der neue Entwicklungsminister von der CSU. Er kann keine zwei Meter gehen, ohne dass ihm jemand mit einem kräftigen Männer-Klaps auf den Rücken gratuliert.

Der einzige, der Merkel auf die Schulter klopfen darf, scheint Seehofer zu sein. Sie mag sowas sonst gar nicht. Kontrolle ist ihr wichtig. Fotografen bitten Seehofer, Merkel und Gabriel doch zu einem Dreier-Foto zu bewegen. Am besten mit Glas in der Hand und sich zuprostend. Seehofer nickt und grinst: "Ok. Wenn sie will. Ich bin ja nicht ihr Parteichef."

Merkel will. Gabriel auch. Aber nicht mit Glas. Und schon gar nicht zuprostend Mehrfach lehnt Merkel die Bitte ab. Ein wenig rumstehen und reden für die Fotografen gerne. Aber nur nicht den Eindruck erwecken, über die Stränge zu schlagen. Was angesichts der selbstgemixten Apfelschorle doch etwas lustig wirkt. Hinter ihr stehen Nahles und Alexander Dobrindt, der das Verkehrsressort übernimmt. Beide stoßen mit Sekt an.

Am Dienstag wird Merkel von Union und SPD zum dritten Mal zur Kanzlerin gewählt. Im Anschluss werden die Minister vereidigt. Und dann ist erst mal Weihnachten. Genug Zeit für manche, sich auf ihre neuen Ämter vorzubereiten. Seehofer will weg. Merkel ist es schon. "Machen sie es gut", sagt Seehofer zu Gabriel. "Ciao", sagt Gabriel. Sie geben sich die Hand. Sie sehen sich bald wieder. Sehr bald.

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