Süddeutsche Zeitung

Koalitionsvertrag: Gesundheit:Rückkehr der Kopfpauschale

Die Arbeitgeber sollen von den die Belastungen im Gesundheitswesen in Zukunft weitgehend unberührt bleiben - Mehrkosten sollen Arbeitnehmer und Rentner tragen.

Guido Bohsem

In drei verschiedenen Runden ist das Thema Gesundheit in den vergangenen Wochen beraten worden. In einer Arbeitsgruppe, in der lauter Gesundheitsexperten saßen. In der großen Verhandlungsrunde, in der nicht nur Experten waren und zwischen den drei Parteichefs von CDU, CSU und FDP.

Das zentrale, wenn auch ziemlich magere Ergebnis nach all diesen Verhandlungen lautete am späten Donnerstagabend: "Zu Beginn der Legislaturperiode wird eine Regierungskommission eingesetzt."

Tatsächlich haben die drei Parteien nur eine einzige konkrete Vereinbarung darüber getroffen, wie es denn in Zukunft aussehen soll mit der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung.

Zahlen sollen die Arbeitnehmer

Die Arbeitgeber, so lautet dieser Konsens, sollen nicht belastet werden mit den Kosten, mit denen das Gesundheitssystem in den kommenden Jahren zu kämpfen hat.

Die Arbeitnehmer sollen die Belastungen weitgehend alleine tragen, die dadurch entstehen, dass es immer mehr ältere Menschen gibt und immer weniger junge, die höchsten Kosten aber in den letzten Wochen und Monaten vor dem Tod anfallen. Auch der Preis für den medizinischen Fortschritt, so die Koalitionäre, wird weitgehend den Arbeitnehmern und die Rentnern aufgebürdet.

"Wir werden das bestehende System überführen in ein neues System", sagte die Unions-Verhandlungsführerin Ursula von der Leyen (CDU). Starten soll es schon 2011. In diesem neuen System dürften die Kassen dann wieder eigenständig über ihre Beiträge entscheiden; außerdem werde Rücksicht genommen auf regionale Besonderheiten, so heißt es im Koalitionsvertrag. Was sich allerdings hinter diesen Überschriften verbirgt, lässt der Text offen, weshalb die angehenden Koalitionäre zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen kommen.

Kopfpauschale

Von der Leyen und auch ihr FDP-Verhandlungspartner Philipp Rösler erweckten den Eindruck, statt eines prozentual vom Bruttolohn erhobenen Beitrags werde es künftig eine Kopfpauschale geben.

Das heißt, egal ob Manager oder Putzfrau, jeder zahlt einen festen Geldbetrag an seine Kasse. Wer sich diesen Betrag nicht leisten kann, werde einen Ausgleich erhalten, so von der Leyen. Dieser werde mit Steuergeld finanziert und sei damit gerechter als das derzeitige Verfahren. In leichter Abwandlung wäre dies das Modell, das die CDU 2003 auf ihrem Parteitag in Leipzig beschlossen hatte. Das Modell, das danach von der CSU heftig bekämpft worden war.

Kein Wunder also, dass die CSU-Gesundheitsexpertin und Mitverhandlerin Barbara Stamm den Kompromiss im Koalitionsvertrag völlig anders interpretierte als Rösler und von der Leyen. Immerhin: Auch sie sprach sich für einen sozialen Ausgleich aus. Eine Kopfpauschale aber soll es ihren Worten nach nur für einen Teil des Arbeitnehmerbeitrags geben. Der Rest werde wie gehabt als Prozentsatz vom Einkommen erhoben.

Rütters weiß um die Unbeliebtheit der Pauschale

Verwirrend fanden diesen Auftritt viele. Einer aber war ganz besonders verwirrt, nämlich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU). Rüttgers will im Frühjahr 2010 wiedergewählt werden und er weiß, wie unbeliebt die Pauschale ist. Ein derart radikaler Umbau passt ihm deshalb gar nicht ins Konzept.

In der Vorbesprechung der Union zur letzten Verhandlungsrunde wollte er deshalb von Kanzlerin Angela Merkel wissen, ob das tatsächlich so geplant sei, erzählt einer, der dabei war. Merkel habe daraufhin mit einer ziemlich technischen Bemerkung geantwortet, die CSU-Chef Horst Seehofer mit den Worten ergänzte: "Nicht das ganze System wird auf die Prämie umgestellt." An Merkel gewandt habe Seehofer dann gefragt: "Habe ich das richtig dargestellt?" Worauf Merkel geantwortet habe: "Ja."

Hessens Ministerpräsident Roland Koch machte später öffentlich deutlich, wie wenig eigentlich feststeht: "Wenn wir über alles einig wären, hätten Sie das ja als einen Text", sagte er.

Einig sind sich die Koalitionäre darüber, was sie 2010 an Finanzreformen machen wollen, oder besser gesagt, nicht machen wollen. Denn trotz des erwarteten Finanzlochs von 7,4 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung soll erst einmal alles so bleiben wie es ist.

Unklarheit über die Finanzspritze

Den Einheitsbeitrag für den ungeliebten Gesundheitsfonds wollen FDP und Union bei 14,9 Prozent des Bruttolohns stabilisieren. Ein großer Teil des Defizits soll nach dem Willen von Union und FDP mit Steuergeld gestopft werden. Unklar ist noch, wie hoch die Finanzspritze ausfällt und ob sie in Form eines Darlehens oder eines Zuschusses an den Fonds fließen soll. Bislang war von vier Milliarden Euro die Rede.

Um die übrigen Miesen auszugleichen, bleiben finanzschwachen Kassen nur zwei Wege. Sie können sich mit einem stärkeren Konkurrenzen zusammenschließen oder sie können Zusatzbeiträge erheben. Die Regeln allerdings, nach denen diese Zusatzbeiträge erhoben werden dürfen, sind äußerst kompliziert und widersprüchlich. Davon sind alle Gesundheitsexperten der neuen Koalition überzeugt. Und trotzdem haben sie sich darauf verständigt, sie erst einmal nicht zu ändern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.42249
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.10.2009/ehr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.