Koalitionsverhandlungen:Worauf sich Union und SPD schon geeinigt haben

Koalitionsverhandlungen: Ganztagsbetreuung, mehr Ehrenamt und Schutz der Sparkassen: Auf einige Maßnahmen konnten sich Union und SPD schon einigen.

Ganztagsbetreuung, mehr Ehrenamt und Schutz der Sparkassen: Auf einige Maßnahmen konnten sich Union und SPD schon einigen.

(Foto: dpa(3))
  • Das ganze Wochenende wollen Union und SPD verhandeln und "Dissenspunkte" ausräumen. Über einige Punkte haben sie sich aber schon geeinigt.
  • Ein milliardenschweres Bildungspaket soll für Ganztagsbetreuung und gebührenfreie Bildung sorgen. Außerdem wollen Union und SPD das Kooperationsverbot abschaffen.
  • Mit zwölf Milliarden sollen Kommunen gefördert werden. Auch für das Ehrenamt will der Bund ihnen Geld geben.
  • Bei der Migrationspolitik einigten sich die Parteien auf einen Kompromiss. Die Zuwanderungszahl soll demnach nicht über 220 000 Menschen liegen. Die SPD betonte, dies sei keine Obergrenze.

Von Cerstin Gammelin, Berlin, Larissa Holzki und Paul Munzinger

Klingt abstrakt, ist aber sehr konkret: Am Freitag meldete Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), sich mit der Union auf die Einführung von "Musterfeststellungsklagen" geeinigt zu haben. Verbraucher können einfacher als bisher die gerichtliche Feststellung erwirken, dass ein Beklagter zu einer Zahlung verpflichtet ist (zum Beispiel ein Autohersteller, der seine Kunden beim Diesel betrogen hat): Ein Verbraucher würde in einem Musterverfahren klagen, alle anderen könnten sich später darauf berufen.

Union und SPD trafen sich am Freitag zur finalen Verhandlungsrunde, sie wollen offiziell bis Sonntag mit den Koalitionsgesprächen fertig werden. SPD-Chef Martin Schulz sieht allerdings keinen Zeitdruck. Es gebe noch "eine Menge Verhandlungsbedarf", etwa bei der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen und in der Gesundheitspolitik.

Es müsse "Sorgfalt vor Schnelligkeit" gehen. Union und SPD streiten zudem erbittert darüber, ob die Kosten der Luxussanierung von Wohnungen auf Mieter umgewälzt werden dürfen. Der Streit blockiert andere Einigungen wie etwa die über das Baukindergeld. Angela Merkel sah noch "ein Riesenstück Arbeit vor uns" und bestätigte "eine ganze Reihe sehr ernster Dissenspunkte". CSU-Chef Horst Seehofer sagte, er hoffe, "dass wir es schaffen in den nächsten Tagen".

Zuvor hatten sich CDU, CSU und SPD in den Arbeitsgruppen auf weitere Projekte verständigt - insbesondere sollen Bildung, Stadt und Land sowie gesellschaftlicher Zusammenhalt gefördert werden.

Bildung

Union und SPD haben ein Bildungspaket im Volumen von fast zehn Milliarden Euro bis 2021 beschlossen. SPD-Vizechefin Manuela Schwesig sprach von einem "Leuchtturmprojekt" einer neuen großen Koalition. Ziel sei, die Bildung gebührenfrei zu machen - von der Kita bis zur Hochschule. Konkret vereinbart wurde ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder vom Jahr 2025 an. Dazu wird der Ausbau der Ganztagsschulen und der Betreuungseinrichtungen mit zwei Milliarden Euro vorangetrieben. 3,5 Milliarden Euro sind in den nächsten vier Jahren für die digitale Ausstattung der Schulen eingeplant, nach 2021 sollen weitere 1,5 Milliarden Euro aus dem bereits 2016 angekündigten "Digitalpakt" fließen. Eine weitere Milliarde soll investiert werden, um das Bafög zu erhöhen, "förderbedürftige Auszubildende" sollen besser erreicht werden.

Schulsanierungen und Neubauten sollen erleichtert werden. Da das Grundgesetz Finanzhilfen des Bundes bisher nur an finanzschwache Gemeinden erlaubt, ist hierfür eine Verfassungsänderung nötig: Der Zusatz "finanzschwach" soll wegfallen. SPD, FDP und Grüne dringen schon länger darauf, das seit 2006 bestehende Kooperationsverbot abzuschaffen. Die Union hatte sich gesträubt, vor allem die CSU sah den Föderalismus in Gefahr. Nun lobt der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) die Einigung als "ein Stück Zukunft" - und betont: Der Bund investiere in die Infrastruktur der Schulen, inhaltlich bleibe die Bildung in der Verantwortung der Länder.

Für Hochschulen werden die Finanzierungsregeln gelockert. Bisher durfte der Bund nur bei kurzfristigen Programmen und Forschungsprojekten helfen. Jetzt sollen Bundesmittel für Gebäude und Lehrpersonal eingesetzt werden dürfen. Das erhöht die Planungssicherheit der Unis und soll die Lehre verbessern. Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen sollen vom Bund unterstützt werden, wenn sie ihren Frauenanteil erhöhen. "Wir wollen dazu beitragen, dass Frauen vermehrt Führungspositionen in Hochschulen und Forschungseinrichtungen übernehmen", heißt es in dem Papier.

Die berufliche Bildung soll "für uns gleichwertig mit der akademischen Bildung" sein, haben die Verhandler zudem in ihr Papier geschrieben. Vereinbart ist eine Mindestvergütung für die Ausbildung.

Migration

Bei der Migrations- und Flüchtlingspolitik einigten sich Union und SPD auf einen Kompromiss: In dem Papier der Arbeitsgruppe "Migration und Integration" heißt es, die Zuwanderungszahlen solle "die Spanne von jährlich 180 000 und 220 000 nicht überschreiten". Die SPD verzichtet damit auf den Zusatz der einschränkenden Formulierung "beim jetzigen Kenntnisstand". SPD-Vize Ralf Stegner betonte allerdings, die Zahl sei nur beschreibend und "keine Obergrenze". Das Asylrecht werde nicht begrenzt.

Der Nachzug der Kernfamilie von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutz, etwa aus Syrien, soll bis zum 31. Juli ausgesetzt bleiben. Danach dürfen auch subsidiär Schutzberechtigte wieder Angehörige nach Deutschland nachholen, allerdings nur in begrenztem Umfang von bis zu 1000 Menschen pro Monat. Hinzu kommt eine bereits bestehende Härtefallregelung.

SPD-Vize Ralf Stegner verkündete zudem, dass sich die Verhandlungsparteien auf ein Zuwanderungsgesetz für Fachkräfte geeinigt hätten. Man habe sich auf die Eckpunkte verständigt, " das wird es also in der nächsten Legislaturperiode geben", sagte Stegner.

Höheres Kindergeld und mehr Pflegekräfte

Kommunale Förderung und Diesel-Nachrüstung

Für die laufende Legislaturperiode will der Bund zwölf Milliarden Euro bereitstellen, um ländliche Räume sowie Städte zu fördern und kommunale Programme fortzuführen. "Unser Ziel sind gleichwertige Lebensverhältnisse in handlungs- und leistungsfähigen Kommunen, in Ost und West", heißt es in dem Papier der Arbeitsgruppe. Außerdem verständigten sich die Unterhändler darauf, Fahrverbote vermeiden zu wollen. Um die gesetzlichen Grenzwerte bei Luftschadstoffen in Ballungsgebieten einhalten zu können, soll Geld aus dem Dieselfonds verwendet werden.

Union und SPD verständigten sich zudem darauf, eine aufwendigere Nachrüstung von Diesel-Autos zu ermöglichen. Die Umstellung auf E-Autos soll beschleunigt, die Lkw-Maut reformiert und der öffentliche Nahverkehr gefördert werden.

Rente

Bis 2025 soll das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent fallen und der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen. Eine Rentenkommission soll zudem Vorschläge für die Zeit nach 2025 erarbeiten.

Wer durch Krankheit frühzeitig Erwerbsminderungsrente erhält, soll in Zukunft so behandelt werden, als habe er bis zum aktuellen Renteneintrittsalter gearbeitet. Selbstständige wollen Union und SPD zur Altersvorsorge verpflichten. Wer zudem Jahrzehnte gearbeitet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt hat, soll nach 35 Beitragsjahren eine Grundrente von zehn Prozent über der Grundsicherung bekommen.

Familie und Wohnen

Auch im Bereich Familien haben sich CDU, CSU und SPD geeinigt. Demnach soll das Kindergeld zukünftig um 25 Euro pro Kind und Monat steigen und der Kinderfreibetrag dementsprechend angepasst werden.

Kinderrechte sollen eigens im Grundgesetz verankert werden. Eingeführt werden sollen auch Gutscheine für Haushaltshilfen, damit zum Beispiel jemand die Wohnung sauber macht, wenn Betroffene dies selbst nicht gut leisten könnten.

Mieter sollen besser davor geschützt werden, wegen Luxussanierungen ihre Wohnung zu verlieren. Das "gezielte Herausmodernisieren" soll künftig ordnungswidrig sein und Mieter zu Schadenersatz berechtigen, heißt es in einem Arbeitspapier.

Pflege

Um die Personalsituation in der Pflege zu entspannen, will die mögliche große Koalition sofort 8000 neue Pflegefachkräfte einstellen. Zudem planen die Parteien eine Ausbildungsoffensive und wollen zukünftig Anreizen für mehr Vollzeitarbeit schaffen. Durch flächendeckende Tarifverträge und eine Angleichung des Pflegemindestlohns in Ost und West soll zudem eine gleichmäßigere Bezahlung geschaffen werden.

Arbeitsmarkt

Das bislang gescheiterte Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit soll nun kommen - für Firmen ab 45 Mitarbeiter. Allerdings soll dieser Anspruch bei 45 bis 200 Mitarbeitern nur einem pro 15 Mitarbeiter gewährt werden müssen.

Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung soll um 0,3 Prozentpunkte sinken. Für Langzeitarbeitslose soll ein neues Förderinstrument "Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle" kommen.

Ehrenamts-Euro

Union und SPD wollen das ehrenamtliche Engagement stärken. Es trage "existenziell" zum Zusammenhalt der Gesellschaft bei und sei in ländlichen Regionen sogar "eine tragende Säule der Daseinsvorsorge sowie einer lebendigen und funktionierenden Demokratie", schreiben die Unterhändler. Die neue Groko plant "eine zentrale Anlaufstelle für das Ehrenamt" bei der Bundesregierung. Arbeitgeber sollen ihre Angestellten unterstützen, ehrenamtlich tätig zu sein. Dazu sollen "steuer- und abgabenrechtliche Hürden" abgebaut werden. Der Bund will jährlich einen Euro pro Einwohner zur Stärkung des Ehrenamtes an Kommunen überweisen, sofern diese dazu den gleichen Betrag bereitstellen.

Schutz der Sparkassen

Eine neue Groko will etwas gegen das Filialsterben der Banken tun. Die Arbeitsgruppe Finanzen und Steuern verständigte sich darauf, regionale Banken unter besonderen Schutz zu stellen. Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Förderbanken seien "wichtige Finanzpartner vieler Menschen und Unternehmen", schreiben die Unterhändler. "Wir kämpfen daher für ihren Erhalt." Konkret ist geplant, die genannten Banken von bestimmten Auflagen zu befreien. Ob damit die umstrittene europaweite Einlagensicherung oder Auflagen für Eigenkapital gemeint sind, bleibt offen. Ausdrücklich erwähnt wird, dass Bezahlen mit Bargeld weiterhin möglich bleiben wird.

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