Süddeutsche Zeitung

Koalitionsverhandlungen:Neuwahlen sind blanke Theorie

Weil die Suche nach einer Koalition für Kanzlerin Merkel schwierig werden könnte, fragen manche schon, was gegen eine Neuwahl spricht. Die Antwort ist einfach: Das Grundgesetz.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Ausschüttung der Glückshormone, die am Wahlabend Christdemokraten zu Punks mutieren ließ, ist beendet. Verkatert blickt die Union auf potenzielle Koalitionspartner. Die SPD zickt und bringt auch noch den Unsicherheitsfaktor Mitgliederbefragung ins Spiel. Die Grünen? Sind nach ihrem linksorientierten Wahlkampf jedenfalls mit der CSU kaum kompatibel. Und schon fragen die Ersten: Was spricht eigentlich gegen eine Neuwahl?

Nun, die Frage lässt sich leicht beantworten: das Grundgesetz. Vorgesehen ist es zwar schon, dass nach gescheiterter Regierungsbildung ein neuer Wahltermin angesetzt werden kann. Doch das ist Theorie. Jedenfalls, wenn die Opposition bei Verstand ist. "Die Kanzlerin allein kann eine Neuwahl nicht durchsetzen", sagt der Staatsrechtler Joachim Wieland.

Das Grundgesetz hat diverse Lehren aus den instabilen Jahren der Weimarer Republik gezogen. Die Rolle des Parlaments bei der Kanzlerkür wurde gestärkt, im Gegenzug wurden die Befugnisse des Staatsoberhaupts - das seinerzeit auch ohne Parlamentsvotum Kabinette einsetzen konnte - zurückgestutzt. Der Bundespräsident ist heute als Retter in der Krise vorgesehen. Ziel sind stabile Verhältnisse.

Der Paarlauf der Verfassungsorgane beginnt nach Artikel 63 mit einem Kanzlervorschlag des Bundespräsidenten. Joachim Gauck würde also - nichts anderes ist in Sicht - Angela Merkel benennen, die vom Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder (316 Stimmen) gewählt werden muss. Schlägt der erste Versuch fehl, kann der Bundestag binnen 14 Tagen einen eigenen Vorschlag machen; nötig ist wiederum die absolute Mehrheit. Spätestens an diesem Punkt dürfte die Sache gelaufen sein.

Einmal angenommen, jegliche Koalitionsverhandlungen wären bis dahin gescheitert: Die Opposition wird gleichwohl wenig Interesse daran haben, gegen Merkel zu stimmen und damit bei einer Neuwahl der FDP womöglich doch noch in den Bundestag zu verhelfen. Oder der Union zur absoluten Mehrheit.

Außerdem: Selbst wenn Angela Merkel im zweiten Versuch scheitern sollte, folgt umgehend ein dritter Wahlgang - und da reicht die einfache Stimmenmehrheit. Sofern die Union also nicht gegen die eigene Kandidatin stimmt, könnte Merkel Kanzlerin einer Minderheitsregierung werden. Falls der Bundespräsident dies will - denn hier kann er echte politische Macht ausüben: Ob er einen Regierungschef trotz unsicherer parlamentarischer Mehrheit ernennt oder doch lieber den Bundestag auflöst, ist seine Entscheidung.

Natürlich spricht vieles gegen Minderheitsregierungen. Andererseits ist die Union sozialdemokratischer und grüner geworden und sie konnte sich zudem bei der Euro-Rettung immer auf breite parlamentarische Unterstützung verlassen. Gauck könnte damit sogar eine Minderheitsregierung für politisch vertretbar erachten.

Der Weg zur Neuwahl sähe dann so aus: Die Minderheitsregierung müsste ein paar Abstimmungen verlieren, die Kanzlerin könnte die Vertrauensfrage stellen (und scheitern lassen), Joachim Gauck würde dann den Bundestag auflösen. Theorie, wie gesagt. Denn ob der Wähler es der Union wirklich danken würde, wenn sie trotz satter Mehrheit keine Regierung zustande brächte - dazu steht nichts im Grundgesetz.

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SZ vom 26.09.2013/fran
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