Koalitionsverhandlungen:Großzügige Investitionen - verpasste Gelegenheiten

Koalitionsverhandlungen von Union und SPD

Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag vor den Koalitionsverhandlungen im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin.

(Foto: dpa)
  • Ende des Soli-Zuschlags, mehr Wohnungsbau, höheres Kindergeld - für fast alle Bevölkerungsgruppen ist im Koalitionsvertrag von Union und SPD Geld vorgesehen.
  • Es gibt jedoch auch Bereiche, in denen es die möglichen Koalitionäre versäumen, strukturelle Reformen anzugehen.
  • Das betrifft den Klimaschutz ebenso wie die Rente das Steuersystem.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Bis zu eintausend Euro mehr in der Tasche, finanzielle Hilfe beim Bauen, mehr Wohnungen, zusätzliche Pflegekräfte, bessere Kitas, höhere Renten - CDU, CSU und SPD wollen es in einer möglichen neuen großen Koalition großzügig angehen lassen. Für fast alle Bürger ist etwas dabei im Entwurf des Koalitionsvertrags.

Die neue Großzügigkeit speist sich aus dem Fakt, dass jetzt schon 46 Milliarden Euro an zusätzlichem Geld in der Haushaltskasse für die laufende Legislaturperiode absehbar sind. Und aus der Hoffnung, dass die Super-Konjunktur, die seit Jahren Überschüsse in die Kassen bringt, weiter anhält. Sodass am Ende auch die schwarze Null erhalten bleibt.

Allein zehn Milliarden Euro sollen verwendet werden, um den Wegfall des Soli-Zuschlags auszugleichen. Von 2021 an werden 90 Prozent aller Steuerpflichtigen die Sonderabgabe auf die Einkommensteuer nicht mehr zahlen müssen. Bei welchem Einkommen genau die Freigrenze liegen wird, lassen die angehenden Koalitionäre offen.

Der überwiegende Teil des zusätzlich verfügbaren Geldes fließt an Länder und Kommunen, die für bessere Bildung von der Kita bis zu Hochschulen sorgen sollen; es ist geplant, bis zu 1,5 Millionen mehr Wohnungen zu bauen, ländliche Räume zu entwickeln, Mobilität zu fördern und Flüchtlinge zu integrieren.

Das Kindergeld steigt bis 2021 um 25 Euro, der Kinderfreibetrag wird erhöht. Für arme Kinder ist ein Kinderzuschlag geplant. Das angekündigte Baukindergeld ist so zugeschnitten, dass sich vor allem Familien in ländlichen Regionen darüber freuen dürften, weil Bauen dort deutlich günstiger ist als in Städten. Für jedes Kind soll es 1200 Euro jährlich geben, über zehn Jahre hinweg. Allerdings nur, wenn das zu versteuernde Einkommen 75 000 Euro nicht überschreitet. Hinzu kommen 15 000 Euro Freibetrag pro Kind.

Investitionen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt

Problematisch ist, dass sich die angekündigten Vorhaben auf einen deutlich höheren Betrag summieren als 46 Milliarden Euro. Versprechen wie jenes, mehr Geld in den EU-Haushalt einzuzahlen, eine höhere Rente für ältere Mütter einzuführen, mehr Polizisten einzustellen oder die Verteidigungsausgaben gemäß des Wirtschaftswachstums zu erhöhen, können nur erfüllt werden, wenn noch mehr Geld eingenommen wird als gedacht.

Das gerade nach oben korrigierte Wirtschaftswachstum gibt zwar Anlass zu solcherart Optimismus. Andererseits deuten die aktuellen Abstürze an den Börsen darauf hin, dass es nicht mehr ewig so weitergehen wird.

Man kann die Pläne so interpretieren, dass CDU, CSU und SPD gut daran tun, in den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft zu investieren. Es gibt Geld für fast alle Bevölkerungsgruppen - das kann die Risse in der Gesellschaft, die in den vergangenen Jahren tiefer geworden sind, zunächst kitten.

Wo die möglichen Koalitionäre versagen

Man kann aus dem Entwurf des Koalitionsvertrags aber auch ein Versagen herauslesen. Obwohl es so viel überschüssiges Geld in den Kassen gibt wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik, versäumen es die angehenden Koalitionäre, dringende strukturelle Reformen anzugehen. Statt die Weichen für die Zukunft zu stellen, leben CDU, CSU und SPD von der Hand in den Mund. Was das Risiko birgt, sich später dafür rechtfertigen zu müssen - und Wähler zu verlieren.

Die Liste der verpassten Gelegenheiten ist lang. Zwar ist international längst vereinbart, von 2050 an möglichst ohne Kohleverbrennung zu wirtschaften. Dennoch gibt die angehende Koalition das Klimaziel 2020 verloren. Sie verzichtet auch darauf, klimaschädliche Emissionen an der Quelle zu reduzieren, etwa durch ein Datum für den Ausstieg aus der Kohleverstromung oder für den Abschied vom Verbrennungsmotor. Stattdessen wird auch der Diesel steuerlich weiter gefördert.

Oder die Rente. Statt den Einstieg in eine Bürgerversicherung zu wagen, in die alle Bürger einzahlen, wird Steuergeld in ein System gepumpt, das spätestens beim Rentenbeginn der Babyboomer am Ende ist.

Ähnliches gilt für das Steuersystem. Man verzichtete darauf, es gerechter zu machen und dazu die viel zu hohe Steuerquote zu senken und den Spitzentarif so weit nach hinten zu verschieben, dass er nur für Spitzenverdiener gilt. Auch beim Digitalen ist die Zukunft nicht nah. Einen Rechtsanspruch auf schnelles Internet soll es erst von 2025 an geben - das ist am Ende der nächsten Legislatur.

Pläne im Europa-Kapitel

CDU, CSU und SPD wollen auch Regulierungen aufweichen und Lobbygruppen bedenken. Sparkassen und Genossenschaftsbanken sollen weniger streng beaufsichtigt werden als Großbanken; die beklagten Exzesse bei Vorstandsgehältern werden nicht angegangen. Die Abgeltungsteuer soll nur auf Zinserträge abgeschafft werden, nicht auf Veräußerungsgewinne.

Immerhin, im Europa-Kapitel kündigen CDU, CSU und SPD an, gegen Steuerbetrug und Steuersparmodelle vorgehen zu wollen. Sie wollen sich für europaweit abgestimmte Mindestsätze bei den Unternehmensteuern einsetzen - und dazu mit Frankreich zusammen eine Initiative ergreifen.

Umgesetzt werden alle diese Vorhaben nur, wenn die SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag billigen. Sie sollen in den nächsten Wochen darüber abstimmen.

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