Koalitionsverhandlungen:Feilschen um das Regierungsprogramm

Union und FDP wollen in zehn Arbeitsgruppen ihre Politik für die nächsten Jahre festlegen. Eine Übersicht über die Konflikte und Kontrahenten.

Steuern, Finanzen, Haushalt

Es ist der Lackmustest für diese Koalition: Das große Wahlversprechen lautete "Steuersenkung" - und in den Verhandlungen muss festgelegt werden, was Union und FDP angesichts dramatischer Haushaltslöcher wirklich liefern können. Die FDP will eine Strukturreform, die das Steuersystem einfacher macht und eine Entlastung von bis zu 35 Milliarden Euro für die Bürger bringt. Auch die CSU drängt auf Steuerentlastungen. Die CDU will zunächst kleinere Veränderungen. Alles andere hat Kanzlerin Angela Merkel faktisch unter Finanzierungsvorbehalt gestellt.

In der Steuerfrage muss sich die Koalition entscheiden, welcher wirtschaftspolitischen Schule sie vertraut. Die FDP rechnet immer wieder vor, dass Steuersenkungen sich auf längere Sicht durch höheres Wachstum und damit verbundene höhere Steuereinnahmen selbst finanzierten. Die Union folgt dieser Lehre nur begrenzt: Auch wenn Merkel ebenfalls auf einen Wachstumsschub durch Steuersenkungen setzt, will sie Haushaltskonsolidierung und staatliche Investitionen vor allem im Bildungsbereich nicht aus den Augen verlieren. Weil es sich bei der Steuerpolitik um eine Kernfrage handelt, wird die Entscheidung wohl erst am Ende zäher Verhandlungen zwischen Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle getroffen werden.

In den Arbeitsgruppen dürften Kanzleramtsminister Thomas de Maizière und Hessens Ministerpräsident Roland Koch für die CDU, Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU) und FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms die Kontrahenten sein. Es wird erwartet, dass leichte Steuerentlastungen für Anfang 2010 vereinbart werden. Diese addieren sich mit sehr viel größeren Maßnahmen, insbesondere der steuerlichen Absetzbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen und Steuerentlastungen aus dem Konjunkturprogramm - das alles allerdings hat bereits die große Koalition beschlossen.

Inneres, Justiz

Da prallen Kulturen aufeinander: die Sicherheitskultur der Union, geprägt durch Innenminister Wolfgang Schäuble - und die alte Freiheitskultur der FDP, vertreten durch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die Koalitionsverhandlungen zur inneren Sicherheit sind also ein Kulturkampf. Die Union proklamiert ein ungeschriebenes Grundrecht auf Sicherheit, das der Staat fürsorglich für seine Bürger ausüben soll. Die FDP verficht das Recht der Bürger auf ihre geschriebenen Grund- und Freiheitsrechte, die ihnen nicht mit Hinweis auf Sicherheitsbedürfnisse weggenommen werden sollen.

Die Union will noch mehr Sicherheitsgesetze - mehr Computerdurchsuchung, Telefonüberwachung, Lauschangriff und Vorratsdatenspeicherung, Sicherungsverwahrung, schärfere Strafgesetze, undnochmehr. Die FDP will die Bürgerrechte stärken und, sie will die bisherige Verschärfungen der Strafgesetze überprüfen. Das Gesetz über das Bundeskriminalamt, das diesem BKA Ermittlungsbefugnisse auch im sogenannten "Vorfeld von Straftaten" gegeben hat, soll re-reformiert werden. Das Zeugnisverweigerungsrecht soll wieder in sein Recht gesetzt werden, das heißt: Es soll nicht mehr dadurch ausgehebelt werden können, dass der Staat die Personen, die die Aussage verweigern dürfen (Ärzte, Anwälte, Journalisten), einfach abhört.

Die FDP will auch das Gesetz über die Internetsperren, das noch nicht in Kraft ist, wieder aufheben. Bei der Auseinandersetzung der Koalitionspartner wird sich zeigen, ob sich die FDP in den elf Jahren Opposition als rechtsstaatsliberale Partei regeneriert hat. Am Ende der Regierungszeit Kohl hatte sie war es so gewesen, dass die Liberalen ihre Sensibilität für die Grundrechte verloren, die jahrzehntelang ihr Kennzeichen gewesen war. Der Rücktritt der damaligen FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die 1995 den Weg ihrer Partei nicht mitgehen wollte, war ein Menetekel. Jetzt, 14 Jahre später, ist sie die Verhandlungsführerin der FDP ihrer Partei auf dem Feld der inneren Sicherheit.

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Wirtschaft, Arbeit, Familie, Integration, Umwelt und Landwirtschaft

Wirtschaft, Energie, Europa

Der wichtigste Konflikt in Sachen Wirtschaft ist die Personalfrage. Bleibt Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) Wirtschaftsminister oder erfüllt sich die lange gehegte Sehnsucht von Rainer Brüderle (FDP) auf dieses Amt? Das Ministerium gilt als wenig operativ, ein guter Wirtschaftsminister verbreitet vor allem gute Stimmung. Zuletzt erlebte das Ministerium einen Bedeutungszuwachs beim Verkauf von Opel, obwohl der amtierende Minister das Projekt ablehnte. Guttenberg hat erkennen lassen, dass er neben der klassischen Energiepolitik gerne auch die Zuständigkeit auch für erneuerbare Energien in sein Haus holen will.

Arbeit

Als Generalsekretäre waren Dirk Niebel (FDP) und Ronald Pofalla (CDU) für den Krawall zuständig. Jetzt müssen sie die Arbeitsmarktpolitik verhandeln, wobei Pofalla wohl am Ende auch das Ministerium übernehmen wird. In den Koalitionsgesprächen kommt ihm die Aufgabe zu, im Namen der Kanzlerin alles abzuschmettern, was die FDP fordert. An den Vereinbarungen aus der großen Koalition zum Mindestlohn will die Union nichts ändern. Auch Lockerungen des Kündigungsschutzes lehnt Merkel ab. Einigkeit gibt es nur über eine Erhöhung des Schonvermögens für Hartz-IV-Empfänger, was Kosten für die öffentlichen Kassen verursachen wird.

Nico Fried

Familie, Integration, Kultur

Ein Knackpunkt zwischen Union und FDP ist das Betreuungsgeld: Die CDU, für die Staatsministerin Maria Böhmer (CDU) verhandelt, plant es für Familien, die keinen Krippenplatz beanspruchen - wohl auch, um konservativen Wählern entgegenzukommen. Die FDP, vertreten durch die junge Familienpolitikerin Miriam Gruß, lehnt das Modell ab. Sie will für jedes Kind vom ersten Geburtstag an einen Betreuungsgutschein, einlösbar etwa in Krippen oder Musikschulen. Das geht über den von der CDU beschlossenen Rechtsanspruch auf Betreuungsplätze ab 2013 hinaus. Unterschiede gibt es zudem beim familiären Status von Homo-Paaren.

Johann Osel

Umwelt, Landwirtschaft

Ex-Umweltministerin Angela Merkel hat beim Klimaschutz schlechte Erinnerungen an die FDP: Zu Lasten der Wirtschaft ging in den 90ern, in ihrer Amtszeit unter Kanzler Helmut Kohl, nichts. Nach dem Wahlerfolg 2009 muss sich zeigen, ob die FDP dazugelernt hat. Wichtigster Punkt der Verhandlungen werden die Laufzeitverlängerungen für Kernkraftwerke sein - und der Preis, den Schwarz-Gelb dafür von den Stromkonzernen verlangt. In der Union wird interessant sein, ob Merkel mit Tanja Gönner aus Baden-Württemberg ein neues Gesicht ins Kabinett holen wird. Sie verhandelt mit FDP-Umweltexperte Michael Kauch.

Nico Fried

Lesen Sie weiter, was in den Bereichen Bildung, Rente sowie Verteidigungs- und Verkehrspolitik verhandelt wird.

Bildung, Rente, Verteidigung und Verkehr

Rente, Gesundheit, Pflege

Ursula von der Leyen (CDU), die bisherige Familienministerin, verhandelt jetzt die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme. Von der Leyen soll möglicherweise in einem neuen Kabinett Gesundheitsministerin werden, ihr früheres Spezialgebiet. Die Mutti der Nation trifft in den Verhandlungen auf FDP-Nachwuchshoffnung Daniel Bahr. Einig sind sich Union und FDP beim Umbau der Pflegeversicherung zur Kapitaldeckung. Scheitern werden die Liberalen dagegen sowohl mit der Abschaffung des Gesundheitsfonds, wie auch mit der Forderung, die von der großen Koalition beschlossene Garantie zu kippen, dass Renten niemals sinken werden.

Bildung, Forschung

In der Bildungspolitik herrscht viel Einigkeit zwischen Union und FDP, etwa beim Festhalten am gegliederten Schulsystem. Die amtierende Ministerin Schavan (CDU) und der umtriebige NRW-Innovationsminister Pinkwart (FDP) liegen hier auf einer Linie. Differenzen gibt es in der Forschung bei Gentechnik und Embryonenschutz, hier will die FDP mehr Freiheit. Die Union will Bildungsausgaben bis 2015 auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen, die FDP schon bis 2010. Den geplanten Hochschulpakt wollen beide umsetzen, er steht derzeit unter Haushaltsvorbehalt. Die Kassenlage wird das Ressort ohnehin dominieren.

Johann Osel

Außen, Verteidigung

Außenpolitisch haben Union und FDP kaum Konflikte. Anders als die Union lehnt die FDP einen EU-Beitritt der Türkei nicht ab, wird sich dafür aber nicht verkämpfen. Ein deutscher EU-Kommissar aus der Union gilt als sicher. Die Liberalen, die in den Koalitionsgesprächen unter anderem ihre Verteidigungsexpertin Birgit Homburger vertritt, stehen hinter dem Afghanistan-Einsatz, fordern aber verstärkte Bemühungen beim Polizeiaufbau. Das größte Konfliktpotential steckt in der Wehrpflicht, deren Abschaffung die FDP schon lange fordert, während die Union, auch Noch-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), daran festhalten will.

Nico Fried

Bau, Wohnen, Verkehr

In den Verhandlungen über Bauen, Wohnen und Verkehr werden Union und FDP, vertreten unter anderemdurch Hans-Peter Friedrich (CSU) und Ernst Burgbacher (FDP), dem Publikum einen Klassiker präsentieren: den Börsengang der Bahn. Die FDP will am liebsten den Konzern stückeln und Fahrbetrieb und Schienennetz voneinander trennen. Dafür gibt es auch einige Sympathisanten in der Union, allerdings nicht die Kanzlerin. Dass für einen Börsengang der Bahn bei den Gesprächen ein konkreter Fahrplan herauskommt, ist unwahrscheinlich. Diskussionen könnte es auch über die Finanzierungsstruktur beim Straßenbau geben und über Änderungswünsche der FDP beim Mietrecht.

Nico Fried

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