Nachhaltigkeitsziele:Ehemalige Staats- und Regierungschefs appellieren an künftige Koalitionäre

Lesezeit: 3 Min.

Kampf gegen die globale Armut: Ein Kind in der Zentralafrikanischen Republik schleppt Trinkwasser, das seiner Familie von Hilfsorganisationen zugeteilt wurde.
Kampf gegen die globale Armut: Ein Kind in der Zentralafrikanischen Republik schleppt Trinkwasser, das seiner Familie von Hilfsorganisationen zugeteilt wurde. (Foto: Sylvain Cherkaoui/obs/dpa)

In Berlin verhandeln Union und SPD nun auch über die künftige Entwicklungspolitik. Weil die in vielen Ländern zurückgefahren wird, wächst die Verantwortung Deutschlands – findet eine Gruppe einstiger Spitzenpolitiker.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Wenn sich der Rauch um Sondervermögen und Grundgesetzänderungen gelegt hat, geht es für Union und SPD wieder um die Zukunft – um die ihrer Regierung. Denn längst tagen schon die Arbeitsgruppen, die einen künftigen Koalitionsvertrag aushandeln sollen. Und eine dieser Arbeitsgruppen bekommt an diesem Mittwoch Post: Jene, die sich um „Außen und Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit und Menschenrechte“ kümmert. Der Absender ist nicht irgendjemand.

Vier ehemalige Staats- und Regierungschefs haben einen offenen Brief verfasst, er liegt der Süddeutschen Zeitung vor. „Die Welt zählt auf Sie“, heißt es darin. Es geht um Deutschlands Rolle bei der internationalen Entwicklungsfinanzierung, konkret: um die Frage, ob sich die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen noch erreichen lassen. Und das auch in Zeiten, in denen sich Staaten mehr und mehr aus der internationalen Zusammenarbeit zurückziehen.

Eigentlich soll die Welt bis 2030 zu einem besseren Ort werden

Die Unterzeichner sind keine Unbekannten. Mary Robinson etwa, die ehemalige Präsidentin Irlands und spätere UN-Hochkommissarin für Menschenrechte. Oder Helen Clark, bis 2008 Premierministerin Neuseelands und anschließend Chefin des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, UNDP. Die einstige norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg hat unterschrieben und auch Stefan Löfven, der bis 2021 Regierungschef in Schweden war. Mittlerweile ist er der Chef der europäischen Sozialdemokraten. Es ist ein Kreis von Besorgten.

Denn für die Nachhaltigkeitsziele tickt die Uhr. Beschlossen im Jahr 2015, sollen sie die Welt bis 2030 zu einem besseren Ort machen. „Wir beschließen, zwischen jetzt und 2030, Armut und Hunger überall zu beenden“, hielten die Staaten damals fest. „Wir versprechen, das niemand zurückgelassen wird.“ Es waren große Worte, gefasst in 17 Ziele und 169 Unterziele. Sie sollten die Erfolgsgeschichte der Millenniums-Ziele fortsetzen. Mit ihnen war es immerhin gelungen, die Zahl der Menschen in extremer Armut war auf 836 Millionen zu senken – gegenüber 1,9 Milliarden zu Beginn der Neunziger. Doch in den vergangenen Jahren sind die Fortschritte mau.

Kindersterblichkeit, Infektionskrankheiten – nicht nur Donald Trump will Hilfen kürzen

Das macht auch den vier einstigen Staatsleuten Sorgen, die sich nun an die Verhandlerinnen und Verhandler in Berlin wenden. Die letzten Jahre hätten gezeigt, dass Entwicklungsarbeit wirke, heißt es in dem offenen Brief. So sei es gelungen, die Kindersterblichkeit gegenüber dem Jahr 2000 zu halbieren. Die Müttersterblichkeit sei um ein Drittel zurückgegangen. Infektionskrankheiten seien zurückgedrängt worden, und Millionen Kinder, selbst in Konfliktgebieten, könnten heute zur Schule gehen, darunter auch sehr viele Mädchen. „Doch diese Erfolge sind in Gefahr“, warnen die Vier.

Tatsächlich sind derzeit einige Länder dabei, ihre Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zusammenzukürzen, und das auch jenseits der USA. Dort hatte Präsident Donald Trump kurz nach Amtsantritt einen Stopp der milliardenschweren Auslandshilfen der US-Entwicklungsbehörde US AID verordnet. Einstweilen hat der Oberste Gerichtshof den Stopp aufgeschoben. Aber Trump hält an den Plänen fest. In Großbritannien will Premier Keir Starmer in dem Bestreben, mehr Geld für die Verteidigung aufzutreiben, ausgerechnet den Entwicklungsetat kürzen – obwohl seine Labour-Partei in einem Manifest das Gegenteil versprochen hatte. Auch die Niederlande wollen die Mittel in den nächsten Jahren drastisch kürzen.

All das bedrohe den Multilateralismus, heißt es nun in dem Brief der Vier an die Koalitions-Unterhändler. „Jetzt ist es Zeit, Führung zu übernehmen“, mahnen sie. „Aus Berlin muss das klare Signal in die Welt gehen, dass Deutschland trotz des starken Gegenwinds weiter auf internationale Zusammenarbeit setzt –  mit dem klaren Ziel, die Welt gerechter zu machen.“ Die UN-Nachhaltigkeitsziele, kurz SDGs, müssten zum Kompass der Regierungsarbeit werden.

Ob das gelingt, ist offen. Die Verhandlungsgruppen haben Verschwiegenheit vereinbart. Und während die SDGs im Wahlprogramm der SPD als „Richtschnur für die Zusammenarbeit mit globalen Partnern“ gelten, tauchen sie im Programm der Union erst gar nicht auf. Nach wie vor ist Deutschland einer der wichtigsten Geber weltweit. Und darauf baut auch der Staatsleute-Appell. Ein Land müsse im Kampf um die 17 Ziele jetzt wieder vorangehen, und das könnte Deutschland sein. „Fangen Sie im Koalitionsvertrag an“, heißt es in dem Brief. „Und halten Sie daran fest, wenn die Tinte längst getrocknet ist.“

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Afrika
:Das verleugnete Land

Von Lesotho, behauptet Donald Trump, habe noch nie jemand gehört. Für Frank-Walter Steinmeier und Elon Musk gilt das schon mal nicht.

SZ PlusVon Paul Munzinger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: