Koalitionsverhandlungen:Die FDP darf nicht zaudern

Christian Lindner

Christian Lindner will die FDP erneuern.

(Foto: AFP)

Die Jamaika-Koalition wäre für die Partei eine Chance: In der Regierung könnte sie am besten zeigen, ob sie sich erneuert hat. Aber Regieren mit der FDP ist auch ein Risiko.

Kommentar von Mike Szymanski

Gemessen am Weg, den die FDP unter ihrem Aufbauhelfer Christian Lindner in den vergangenen vier Jahren zurückgelegt hat, könnte die Frage "Regieren oder nicht regieren?" von nachrangiger Bedeutung sein. Ein größeres Geschenk, als die Partei wieder in den Bundestag zu führen, konnte er seiner Partei nicht machen. Nichts hat sie mehr gedemütigt, als in Sonntagsfragen keine Rolle mehr zu spielen. Ohnehin ist Politik nicht unbedingt ein Geschäft für Genügsame.

Für Menschen wie Lindner gilt das schon gar nicht. Der hatte 2013 eine traumatisierte Partei übernommen. Er tat dies, weil er vor allem an sich selbst glaubte. Am Ende des Wahlabends 2017 stand beim Ergebnis eine Zehn vorne, und nachdem sich die SPD einer erneuten großen Koalition verweigerte, bedeutet diese Zehn fast schon den Zwang, als Teil einer Jamaika-Koalition in eine Regierung einzutreten. Für die FDP wäre diese Konstellation eine Chance, mehr als für alle anderen Beteiligten. Lindner verspricht eine runderneuerte FDP. Wie viel tatsächlich neu ist, kann sie in einem solchen Bündnis beweisen.

Jamaika ist für die Partei eine Chance - und voller Risiken

Mit der früher vor allem von Guido Westerwelle offen zur Schau getragenen Großspurigkeit könnte Jamaika sicher nicht funktionieren. Westerwelle war immer auch ein großer Spieler. Lindner aber ist vor allem Perfektionist. Programmatisch hatte der heutige Parteichef noch in seiner Zeit als Generalsekretär 2011 versucht, die FDP kompatibler für Bündnisse mit der SPD und mit den Grünen zu machen. Im Wahlkampf 2017 umwarb die FDP auch die Krankenschwester und die Angestellte. Die Besserverdienenden? Die Unternehmer? Willkommen, immer noch. Lindners großes Thema Digitalisierung? Groß genug, dass es alle potenziellen Partner auch zu ihrem Projekt machen könnten. Er polarisiert, aber nicht in einem Maße, dass mögliche Partner sich vor den Kopf gestoßen fühlen müssten. Die FDP als Teil eines Jamaika-Bündnisses, dies könnte beim Imagewandel helfen - etwas mehr Gefühl für jene, die sich bisher nicht von der FDP angesprochen fühlen sollten. Im Idealfall könnte Jamaika die logische Fortsetzung von Lindners Modernisierungsarbeit sein.

Die Risiken in einem Jamaika-Bündnis sind dennoch beträchtlich. Die FDP stellt jetzt zwar 80 Abgeordnete im Bundestag, aber ein großer Teil von ihnen hat weder Parlamentserfahrung geschweige denn Ahnung vom Regieren. Nimmt man die vier Jahre, die Lindner gebraucht hatte, um die FDP wieder bundestagsreif zu machen, als Maßstab, wären noch einmal vier Jahre erforderlich, um sie auch zuverlässig regierungsfähig zu machen. Aber gut möglich, dass Lindner diese Zeit nicht bleibt.

Er kennt die Gefahren. Er behauptet, die FDP sei nicht zum Regieren verdammt. Er taktiert, einerseits. Andererseits: Sollte Jamaika schon jetzt am Zaudern der FDP scheitern, dann werden viele Anhänger den Veränderungswillen der Liberalen anzweifeln. Dann hätte die alte FDP über die neue gesiegt, bevor Lindner anfangen konnte, nicht nur über bessere Politik zu reden, sondern sie auch zu machen.

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